Bezeichnung des Chefs als Arschloch rechtfertigt keine fristlose Kündigung

18. Januar 2022 -

Das Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 04.07.2019 zum Aktenzeichen 7 Sa 38/19 entschieden, dass die Bezeichnung des Chefs einer kleinen Baufirma mit nicht mehr als 10 Arbeitnehmern als „Arschloch“ durch einen Bauarbeiter im Rahmen eines Streitgesprächs nicht ausreicht, um eine außerordentliche, fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

Es fehlt an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Aufgrund der Abwägung der Interessen der beteiligten Parteien und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erscheint es der Beklagten nicht unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.08.2018 fortzusetzen.

Allerdings hat der Kläger bei dem in allen Einzelheiten weitgehend unstreitigen Geschehen am 05.04.2018 seine arbeitsvertraglichen Pflichten gegenüber der Beklagten in mehrerlei Hinsicht schwerwiegend verletzt. Zum einen hat der Kläger den Chef, den Geschäftsführer und obersten Repräsentanten des Arbeitgeberunternehmens, beleidigt, indem er ihm durch die Bezeichnung als „Arschloch“ seine Missachtung kundgetan hat und dies noch durch einen unbeherrschten Tritt gegen eine Kabeltrommel bekräftigt hat. Zum anderen hat der Kläger sodann ohne berechtigten Grund zusammen mit seinem Kollegen S die Baustelle verlassen und ist der Arbeit im weiteren Verlauf des Tages unentschuldigt ferngeblieben.

Auch zur Überzeugung des Berufungsgerichts unterliegt es auf der ersten Stufe der vorzunehmenden Prüfung  der Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB keinem Zweifel, dass das Gesamtverhalten des Klägers vom 05.04.2018 grundsätzlich geeignet sein konnte, als wichtiger Grund im Sinne der Norm eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

Berücksichtigt man jedoch die Umstände des Einzelfalls und wägt vor deren Hintergrund die Interessen beider Vertragsteile gegeneinander ab, so ergibt sich auf der zweiten Prüfungsstufe eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB, dass das Verhalten des Klägers vom 05.04.2018 eine fristlose Kündigung noch nicht rechtfertigen konnte.

Bei dieser Einschätzung ist für das Berufungsgericht von erheblicher Bedeutung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien im Zeitpunkt der Vorfälle vom 05.04.2018 bereits seit knapp elf Jahren Bestand hatte und bis dahin unstreitig beanstandungsfrei verlaufen war. Bis zum 05.04.2018 hatte das Verhalten des Klägers offensichtlich keinerlei Anlass geboten, eine Abmahnung oder andere arbeitsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen in Erwägung zu ziehen.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die verbale Entgleisung des Klägers sich sehr wohl in einer emotionalisierten Gesamtsituation ereignete. Der Geschäftsführer der Beklagten hatte zuvor umfassend, wiederholend und nachhaltig seine Kritik daran geäußert, dass der Kläger und sein Kollege S im Zeitpunkt seines Erscheinens auf der Baustelle noch nicht mit der Arbeit begonnen hatten. In diesem Zusammenhang gab es auch Meinungsverschiedenheiten aller Beteiligten darüber, wo und in welcher Weise das Firmenfahrzeug im Umfeld der Baustelle hätte geparkt werden können oder sollen. Der Geschäftsführer der Beklagten hatte seine Kritik darüber hinaus auch seinerseits mit körperlichem Einsatz bekräftigt, indem er sich auf den Kanaldeckel stellte, obwohl der Mitarbeiter S sich gerade angeschickt hatte, diesen zum Zwecke der Arbeitsvorbereitung zu öffnen. Zwar entschuldigt dies die dann folgende beleidigende Reaktion des Klägers nicht, erklärt aber nachvollziehbar, dass  sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt subjektiv in einer emotionalen Stresssituation befunden hat.

Dabei erscheint sehr wohl auch zu bedenken, dass es sich bei dem Kläger um einen einfachen Bauarbeiter ohne herausgehobenen Bildungshintergrund handelt, eher einen „Mann der Tat“ als des differenzierten und abwägenden Wortes. Ebenso ist in Rechnung zu stellen, dass im sozialen Umfeld der Baubranche gemeinhin ein rauerer Umgangston gepflegt wird und zu erwarten ist als z. B. unter Bankangestellten im Büro. Dies bedeutet keineswegs, dass in der Baubranche Beleidigungen akzeptabel wären und folgenlos bleiben müssten. Jedoch ist bei der Gewichtung der Schwere eines Verstoßes die anzunehmende niedrigere Hemmschwelle im branchentypischen Berufsumfeld mildernd einzukalkulieren.

Bei der Bewertung, ob es der Beklagten in Anbetracht des Fehlverhaltens des Klägers in Würdigung nicht zuletzt seiner zuvor über knapp elf Jahre gezeigten unbeanstandeten Arbeit zumutbar war, das Arbeitsverhältnis zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen, kann nicht zu Lasten des Klägers gewertet werden, dass hier eine gesetzliche Kündigungsfrist von, aus der Sicht des Kündigungstages, noch mehr als 4 ½ Monaten einzuhalten war; denn die gesetzgeberische Intention, durch die verlängerten Kündigungsfristen für längerfristig beschäftigte Mitarbeiter in Anerkennung von deren langjähriger Unternehmenstreue deren sozialen Besitzstand zu erhöhen, würde auf diese Weise in ihr Gegenteil verkehrt.

Der Kläger hätte zwar auch nach Überzeugung des Berufungsgerichts gut daran getan, spätestens am Folgetag des Geschehens aktiv auf den Geschäftsführer der Beklagten zuzugehen, um sich bei diesem für sein Fehlverhalten zu entschuldigen und damit klar zu machen, dass er einsieht, sich ungebührlich verhalten zu haben. Immerhin hat der Kläger aber im Rahmen des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens zumindest mehrfach sinngemäß zum Ausdruck gebracht, dass er „auf sein Verhalten nicht stolz ist“.

Bei alledem verstärkt die weitere Pflichtverletzung des Klägers, die Baustelle verlassen zu haben und im weiteren Verlauf des Tages der Arbeit ferngeblieben zu sein, sein Fehlverhalten nicht so sehr, dass dadurch die Schwelle zur Unzumutbarkeit einer auch nur auf einige Monate befristeten Weiterarbeit überschritten worden wäre. Dieses Verhalten des Klägers stellte ersichtlich ein Fluchtverhalten dar, um sich der durch ihn selbst geschaffenen peinlichen Situation vorläufig zu entziehen. Die Beklagte hat im Laufe der Berufungsverhandlung selbst betont, dass die Beleidigung des Geschäftsführers ausschlaggebend für ihren Kündigungsentschluss gewesen sei und nicht so sehr das weitere Fernbleiben des Klägers von der Arbeit an diesem Tag, das im Übrigen zur Folge haben musste, dass der Kläger für diesen Tag auch keinen Vergütungsanspruch erworben hat . Soweit ersichtlich hat der Mitarbeiter S , welcher ebenfalls ohne rechtfertigenden Grund  zusammen mit dem Kläger die Baustelle verlassen hatte, seinerseits keine arbeitsrechtliche Sanktion erhalten.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen ist auf Seiten des Klägers zu berücksichtigen, dass ihm durch eine außerordentliche, fristlose Kündigung nicht nur die wirtschaftliche Existenzgrundlage von heute auf morgen entzogen worden wäre, sondern zumindest  in der näheren Zukunft auch seine Bemühungen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, erheblich erschwert worden wären.

Die Beklagte ihrerseits kann auf ihr berechtigtes Interesse daran verweisen, die persönliche Integrität ihres Repräsentanten zu schützen, aber auch sicherzustellen, dass die Autorität als Vorgesetzter im Arbeitsalltag nicht in Frage gestellt ist. Diese Belange können gegenüber einem bis dahin unbescholtenen langjährig beschäftigten Mitarbeiter im Zweifel aber auch durch deutliche klare arbeitsrechtliche Sanktionen unterhalb einer außerordentlichen fristlosen Kündigung gewahrt werden, zumal bei dem Vorfall selbst nur der Mitarbeiter S unmittelbar anwesend war. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles kann die Beklagte hier sogar darauf verweisen, dass der Kläger als Konsequenz seines arbeitsvertraglichen Fehlverhaltens vom 05.04.2018 den Verlust seines Arbeitsplatzes hinnehmen muss, wenn auch nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst nach Ablauf der Kündigungsfrist.