Britischer Solicitor kann nach Brexit nicht mehr bei deutscher Rechtsanwaltskammer zugelassen sein

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 07.03.2024 zum Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 29/23 entschieden, dass ein als Solicitor im Vereinigten Königreich zugelassener Jurist nach dem Brexit nicht mehr als europäischer Rechtsanwalt Mitglied einer deutschen Rechtsanwaltskammer zugelassen sein kann.

Die Parteien streiten um den Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt.

Der Kläger, ein deutscher und britischer Staatsbürger, ist seit dem 1. März 1996 zugelassen. Am 5. November 2002 erfolgte seine Aufnahme in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt.

Nach dem sogenannten „Brexit“ am 31. Januar 2020 wurde die Anlage zu § 1 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) mit Wirkung zum 1. Januar 2021 dahingehend geändert, dass ein in Großbritannien zugelassener Solicitor nicht mehr unter die Berufsbezeichnungen fällt, unter denen eine Tätigkeit als europäischer Rechtsanwalt möglich ist (Art. 1 der Verordnung zur Anpassung des anwaltlichen Berufsrechts an den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union vom 10. Dezember 2020, BGBl. I 2020, 2929). Mit Bescheid vom 31. Mai 2021 widerrief die Beklagte die Aufnahme des Klägers als europäischer Rechtsanwalt nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 EuRAG. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 4. November 2021 zurück. In der Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof vom 16. Januar 2023 über die gegen den Widerruf in Gestalt des Widerspruchsbescheids gerichtete Klage des Klägers hat letzterer bei der Beklagten einen Antrag auf Eingliederung gemäß § 11 EuRAG gestellt. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EuRAG ist die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer zu widerrufen, wenn die Person aus sonstigen Gründen den Status eines europäischen Rechtsanwalts verliert. Der Anwaltsgerichtshof hat festgestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm vorliegend erfüllt sind, nachdem ein in Großbritannien zugelassener Solicitor nicht mehr in der Anlage zu § 1 EuRAG genannt wird. Dies begegnet keinen Bedenken und wird vom Kläger nicht angegriffen.

Bei der Entscheidung über den Widerruf der Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EuRAG handelt es sich ausweislich des Wortlauts der Norm um eine gebundene Entscheidung. Danach ist die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen zu widerrufen. Diesem Gesetzesbefehl hatte die Beklagte im Fall des Klägers Folge zu leisten.

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht daraus, dass sich in den Gesetzesmaterialien die Formulierung findet, es sei „grundsätzlich“ angezeigt, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus dem Vereinigen Königreich nicht mehr an den Privilegien partizipieren zu lassen, die wie die §§ 2 ff. EuRAG auf der Richtlinie 98/5/EG fußten und nicht durch Artikel 27 des Austrittsabkommens geschützt seien (Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften, BR-Drucks. 196/20, S. 73).

Zwar könnte, wie auch der Anwaltsgerichtshof nicht verkannt hat, die Formulierung „grundsätzlich“ in einem streng juristischen Verständnis darauf hindeuten, dass in besonderen Fällen von einem Widerruf abgesehen werden kann. Hierfür spricht jedoch, wie der Anwaltsgerichtshof ebenfalls zutreffend erkannt hat, angesichts der weiteren Begründung des Gesetzesentwurfs nichts. Danach sollte mit der Änderung des § 4 EuRAG eine „klarstellende“ Regelung geschaffen werden, nach der eine Aufnahme als europäische Rechtsanwältin oder europäischer Rechtsanwalt zu widerrufen „ist“, wenn die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt seinen Status als europäische Rechtsanwältin oder Rechtanwalt verloren hat, wie dies insbesondere beim Austritt eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union der Fall ist. Genau dieser von der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannte Fall ist vorliegend gegeben. Dementsprechend lässt sich aus der Gesetzesbegründung kein Anhaltspunkt dafür herleiten, dass in einem solchen Fall in einer Ausnahmekonstellation doch von einem Widerruf der Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer abgesehen werden können soll. Das spricht dafür, dass der – in der Gesetzesbegründung auffallend häufig gebrauchte – Begriff „grundsätzlich“ nicht im Sinne eines Regel-Ausnahme – Verhältnisses zu verstehen ist.

Ob der Begriff – abweichend von den vorstehenden Ausführungen – dahingehend zu verstehen ist, dass ein Widerruf im Falle seiner Unverhältnismäßigkeit ausnahmsweise nicht erfolgen soll, bedarf keiner Entscheidung. Denn der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (nachfolgend zu bb)).

Der Anwaltsgerichtshof hat zu Recht dahinstehen lassen, ob von einer in einem Gesetz vorgesehenen gebundenen Entscheidung (ausnahmsweise) aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abgewichen werden kann. Seine sorgfältig und umfassend begründete Auffassung, der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte sei verhältnismäßig, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

In diesem Zusammenhang bedarf es ebenfalls keiner Entscheidung, ob im Fall des Widerrufs einer Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EuRAG für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit und insbesondere der Verhältnismäßigkeit des Widerrufs auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens abzustellen ist (so für den Widerruf einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO: Senat, Beschlüsse vom 1. Februar 2021 – AnwZ (Brfg) 34/20, juris Rn. 6 und vom 29. Juni 2011 – AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.) oder ob insofern auch nachträgliche Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Denn auch im letzten Fall erweist sich der Widerruf als verhältnismäßig, insbesondere – entgegen der Auffassung des Klägers – als angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne; nachfolgend zu (2) (a) (dd)).

Zutreffend ist der Anwaltsgerichtshof davon ausgegangen, dass im Hinblick auf den Kläger kein atypischer Fall gegeben ist, den der Gesetzgeber nicht vor Augen hatte. Der Kläger irrt, wenn er meint, der Beurteilungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit in Grundrechtseingriffe beschränke sich bei britischen Staatsangehörigen – im Unterschied zu ihm als deutschem Staatsangehörigen – auf Art. 3 GG. Die Unanwendbarkeit des Art. 12 Abs. 1 GG auf Ausländer bedeutet nicht, dass die Verfassung sie in diesem Bereich schutzlos lässt oder ihre Rechte auf den Gleichheitssatz des Art. 3 GG beschränkt. Der systemgerechte Ansatz liegt vielmehr bei dem subsidiären allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfG, NJW 1988, 2290, 2291; BVerfGE 104, 337, 345 f.; Senat, Urteil vom 22. Mai 2023 – AnwZ (Brfg) 23/22, BRAK-Mitt. 2023, 313 Rn. 36). Insofern sind erhebliche, eine Atypizität begründende Unterschiede hinsichtlich des einem deutschen Staatsbürger im Unterschied zu einem britischen Staatsbürger zukommenden grundrechtlichen Schutzniveaus in der konkret vorliegenden Konstellation nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht dargelegt.

Soweit der Kläger geltend macht, es habe für die „Brexit-Folgenregelung“ keine Übergangsregelungen gegeben, trifft dies nicht zu. Vielmehr enthält Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königsreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Abl. EU C 384 I vom 12.11.2019, S. 1) einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2020. Soweit der Kläger darüber hinaus meint, der Grundsatz des Vertrauensschutzes gebiete für die Exekutive, im Rahmen der Individualprüfung in Ausnahmefällen auf einen Widerruf der Aufnahme zu verzichten, führt er dies nicht näher aus und sind hierfür vorliegend auch keine Gründe ersichtlich.

Der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte erweist sich nicht im Hinblick auf die Schwere dieses Eingriffs in die Berufsfreiheit des Klägers als unangemessen.

Der Anwaltsgerichtshof hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass der Widerruf der Kammeraufnahme einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit des Klägers darstellt. Ebenso zutreffend hat er jedoch eine existenzvernichtende Wirkung des Eingriffs verneint.

Zu Recht und vom Kläger nicht angegriffen hat der Anwaltsgerichtshof ausgeführt, dass die Eingriffsintensität dadurch verringert wird, dass der Kläger – auf der Grundlage seines Vortrags – mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Eingliederung nach §§ 11 ff. EuRAG hätte stellen können. Aus dem klägerischen Vortrag folgt, dass er mehr als drei Jahre als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt in Deutschland und auf dem Gebiet des deutschen und des europäischen Rechts tätig war (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 EuRAG). Wenn der Kläger geltend macht, ohne die Berechtigung zur Beratung im deutschen Recht und Gemeinschaftsrecht sei seine wirtschaftliche Existenz ganz erheblich beeinträchtigt, lässt dies den Schluss zu, dass er in den genannten Rechtsgebieten eine „effektive und regelmäßige Tätigkeit“ (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EuRAG) ausgeübt hat. Zutreffend hat der Anwaltsgerichtshof in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Einfügung des § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 EuRAG für den Kläger absehbar war und ihm daher rechtzeitig – zur Vermeidung der mit dem Widerruf der Aufnahme in die Beklagte verbundenen erheblichen beruflichen und wirtschaftlichen Folgen – ein Antrag auf Eingliederung möglich gewesen wäre.

Ähnliches gilt für einen Antrag des Klägers auf Feststellung einer gleichwertigen Berufsqualifikation gemäß § 16 ff. EuRAG. Auch insofern ist angesichts des Vortrags des Klägers zu seiner Erfahrung und seinen Kenntnissen im deutschen Recht nicht ersichtlich, weshalb ein solcher Antrag, wenn der Kläger ihn rechtzeitig gestellt hätte – gegebenenfalls nach Ablegung einer Eignungsprüfung (§ 16a Abs. 3 EuRAG) -, ohne Aussicht auf Erfolg gewesen wäre. Im Falle seines Erfolgs wäre die Intensität des Grundrechtseingriffs in Gestalt des Widerrufs der Aufnahme des Klägers in die Beklagte ebenfalls erheblich gemindert gewesen.

Schließlich ist es, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausführt, dem Kläger unbenommen, gemäß § 206 Abs. 1 und 2, § 207 Abs. 1 BRAO die Aufnahme in die Beklagte als sogenannter „WHO-Rechtanwalt“ zu beantragen. Zwar wäre in diesem Fall seine Befugnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen gemäß § 206 Abs. 3 Nr. 1 BRAO auf das Recht des Herkunftsstaats und des Völkerrechts beschränkt. Durch eine solche Befugnis würde aber – wenn auch in beschränktem Umfang – ebenfalls die Intensität des Grundrechtseingriffs in Gestalt des Widerrufs der Aufnahme des Klägers in die Beklagte gemindert.

Ob in vorliegendem Zusammenhang die – nach der letzten behördlichen Entscheidung und nach der mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof eingetretene – Änderung der beruflichen Tätigkeit des Klägers infolge der Insolvenz der I.        zu berücksichtigen ist (siehe oben zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage), kann offenbleiben. Denn selbst, wenn dies der Fall sein sollte, folgt daraus nicht, dass der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte unverhältnismäßig ist.

Die durch den Widerruf der Aufnahme in eine Rechtsanwaltskammer geschützte Funktionsfähigkeit der deutschen Rechtspflege und der ebenfalls hierdurch bewirkte Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen sind überragende Gemeinschaftsgüter, die die vorliegende – in ihrer grundrechtlichen Einordnung hier unterstellte (ebenso Seite 11 des angefochtenen Urteils) – subjektive Berufswahlregelung zu rechtfertigen vermögen (vgl. Senat, Urteil vom 22. Mai 2023, aaO Rn. 61). Der Anwaltsgerichtshof hat zutreffend ausgeführt, dass im Falle von nur im Ausland zugelassenen Rechtsanwälten eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege darin liegt, dass diese Rechtsanwälte über keine mit in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälten vergleichbare – durch formalisierte Nachweise dokumentierte – Qualifikation verfügen. Sollte der Kläger durch seine langjährige Tätigkeit als Solicitor in Deutschland und seine in dieser Zeit erfolgte Befassung mit dem deutschen Recht eine inhaltlich dem deutschen Rechtsanwalt vergleichbare Qualifikation erworben haben, hätte es ihm freigestanden, dies im Rahmen eines Antrages auf Eingliederung (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EuRAG) oder auf Feststellung einer gleichwertigen Berufsqualifikation (§ 16 Abs. 1 Satz 1 EuRAG) formell nachzuweisen. Allein seine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit als Solicitor in Deutschland genügt zu einem solchen Nachweis nicht. Denn sie bedeutet nicht zwingend eine hinreichende Befassung mit dem deutschen Recht. Der Umstand, dass der Kläger dennoch in Deutschland als (europäischer) Rechtsanwalt tätig werden durfte, war – wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat – allein der Bindung an das europäische Recht geschuldet. Nachdem letzteres auf britische Juristen keine Anwendung mehr findet, gelten auch in Bezug auf den Kläger die vorgenannten Grundsätze zum Schutz der Funktionsfähigkeit der deutschen Rechtspflege und der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen als überragenden Gemeinschaftsgütern.

Bei Abwägung der für diese Gemeinschaftsgüter bestehenden Gefahren mit dem grundrechtlich geschützten Interesse des Klägers erweist sich nach alledem der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte als angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne).