Bundesverfassungsgericht zum Umgangsrecht einer Kindesmutter

Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Beschluss vom 16. Juni 2021 zum Aktenzeichen 1 BvR 709/21 zum Umgangsrecht einer Beschwerdeführerin mit ihren Kindern, die vom Kindesvater betreut werden.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 22. Dezember 2020 verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

Das Umgangsrecht eines Elternteils steht ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteils unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Beide Rechtspositionen erwachsen aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und müssen von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden. Der Elternteil bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, muss grundsätzlich den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ermöglichen. Können sich die Eltern über die Ausübung des Elternrechts nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt. Eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangsrechts ist nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwenden.

Auch das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein, um der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen. Diesen Anforderungen werden die Gerichte nur gerecht, wenn sie sich mit den Besonderheiten des Einzelfalles auseinandersetzen, die Interessen der Eltern sowie deren Einstellung und Persönlichkeit würdigen und auf die Belange des Kindes eingehen. Die Gerichte müssen ihr Verfahren so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können.

Die von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen Feststellungen und die von ihnen im Einzelnen vorgenommene Abwägung hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen. Ebenso ist es grundsätzlich den Fachgerichten überlassen, welchen Weg sie wählen, um zu den für ihre Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen. Der verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt jedoch, ob die fachgerichtlichen Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruhen. Die Intensität dieser Prüfung hängt davon ab, in welchem Maße von der Entscheidung Grundrechte beeinträchtigt werden.

Daran gemessen hält die der Beschwerdeführerin erteilte Auflage, jeglichen Umgang mit ihren Töchtern in Abwesenheit ihres Ehemannes stattfinden zu lassen, verfassungsrechtlicher Prüfung stand.

Das Oberlandesgericht hat das Elternrecht der Beschwerdeführerin nicht dadurch verletzt, dass es die genannte Auflage fachrechtlich in Übereinstimmung mit einer vielfach vertretenen Auffassung auf § 1684 Abs. 3 Satz 1, § 1687 Abs. 2 BGB gestützt und deren Notwendigkeit anhand der Kindeswohldienlichkeit nach § 1697a BGB beurteilt hat. Für die verfassungsrechtliche Prüfung ist nicht maßgeblich, ob fachrechtlich wegen der Art und Schwere der Einschränkung des Rechts des Umgangsberechtigten, die Kontakte des Kindes während des Umgangs zu bestimmen, die hier erteilte Auflage lediglich nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB im Fall einer Kindeswohlgefährdung erteilt werden könnte. Selbst wenn von einer erheblichen Einschränkung des Umgangsrechts auszugehen wäre, ist diese verfassungsrechtlich zulässig, wenn sie bei auf den Einzelfall bezogener Betrachtung erforderlich ist, um eine Gefährdung der körperlichen oder seelischen Entwicklung des Kindes abzuwenden.

Das hat das Oberlandesgericht vorliegend trotz einzelner wenig präziser Formulierungen im Ergebnis angenommen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht dabei die Ursachen von Gefährdungen für das Wohl der beiden Töchter der Beschwerdeführerin nicht ausschließlich in dem Vorhandensein oder Fehlen pädophiler Neigungen bei deren Ehemann gesehen hat. Die von diesem selbst eingeräumten grenzüberschreitenden Verhaltensweisen gegenüber Minderjährigen konnten ebenso in die Beurteilung der Gefährdung einbezogen werden wie der näher dargelegte Umstand, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann in Kenntnis der Vorwürfe gegen diesen selbst Situationen herbeigeführt haben, die mit ernsthaften Gefährdungen für das Wohl der beiden Töchter verbunden sein können und wie die Aussage des Therapeuten des Ehemanns, er habe zwar keine pädophilen Neigungen des Ehemanns aber andere Risikofaktoren für grenzüberschreitendes Verhalten festgestellt. Auch wenn der Ehemann in Abrede stellt, die seiner rechtskräftigen Verurteilung zugrunde liegenden Taten so wie vom Strafgericht festgestellt begangen zu haben, hat er selbst angegeben, einem Minderjährigen in beiderseits unbekleidetem Zustand an das Geschlechtsteil gegriffen und dabei eine unmissverständlich sexualbezogene Äußerung getätigt zu haben. Angesichts dessen hat das Oberlandesgericht die Bedeutung und Tragweite von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht verkannt, indem es gemeinsame Saunabesuche mit den Töchtern der Beschwerdeführerin, das gemeinsame unbekleidete Im-Bett-Liegen mit diesen und die zeitweilige Durchführung der Umgangskontakte in einem Wohnwagen auf dem Campingplatz eines Naturistenvereins in die Beurteilung der Gefährdung der Töchter einbezogen hat. Aus diesen von der Beschwerdeführerin mit getragenen Verhaltensweisen konnte das Oberlandesgericht auch den Schluss ziehen, dass diese nicht in der Lage ist, dieser Gefährdung selbständig entgegenzuwirken.

Aus früherer Rechtsprechung der Kammer folgt nichts Gegenteiliges. In den dort zugrunde liegenden Ausgangsverfahren hatten die Fachgerichte Gefährdungen des Kindeswohls beim Umgangsrecht ‒ anders als vorliegend ‒ allein auf pädophile Neigungen eines daran Beteiligten gestützt, solche aber nicht in einer Verfassungsrecht genügenden Weise festgestellt.

Auch die Durchführung des Verfahrens im Beschwerderechtszug genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das Oberlandesgericht hat sich mit der persönlichen Anhörung der Kinder und der Eltern, der zeugenschaftlichen Vernehmung des Therapeuten des Ehemannes der Beschwerdeführerin und durch die Heranziehung der beiden im Sorgerechtsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten eine ausreichend zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung verschafft.