Hohe Hürden für verkaufsoffene Sonntage

23. Juni 2020 -

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 22.06.2020 zu den Aktenzeichen 8 CN 1.19 und 8 CN 3.19 seine Rechtsprechung zu Vorschriften konkretisiert, die eine Sonntagsöffnung im öffentlichen Interesse zulassen und bestimmen, dass die Öffnung rechtfertigende Umstände unter bestimmten Voraussetzungen zu vermuten sind.

Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 36/2020 vom 22.06.2020 ergibt sich:

Regelungen, mit denen eine Öffnung von Verkaufsstellen an Sonntagen erlaubt werde, müssten das verfassungsrechtlich geforderte Mindestniveau des Sonntagsschutzes wahren.

Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren 8 CN 1.19 gegen eine Satzung der Großen Kreisstadt Herrenberg, die eine sonntägliche Öffnung von Verkaufsstellen im gesamten Stadtgebiet aus Anlass des Historischen Handwerkermarktes und der Herrenberger Herbstschau im April und im Oktober 2017 und 2018 erlaubte.
Der Verwaltungsgerichtshof hatte den dagegen gerichteten Normenkontrollantrag abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, der verfassungsrechtliche Sonntagsschutz sei gewahrt. Dazu genüge, dass Sonntagsöffnungen seltene Ausnahmen blieben und die anlassgebenden Märkte und Ausstellungen keine bloßen Alibiveranstaltungen seien.
Im Verfahren 8 CN 3.19 richtet sich der Normenkontrollantrag gegen eine Rechtsverordnung der Stadt Mönchengladbach zur Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags anlässlich der Veranstaltung „Blaulichtmeile“, einer Leistungsschau des Technischen Hilfswerks und weiterer Organisationen. Das Oberverwaltungsgericht hatte den Normenkontrollantrag abgelehnt. Dem verfassungsrechtlichen Sonntagsschutz sei durch das Regelungskonzept des Landes Nordrhein-Westfalen Rechnung getragen. Danach müsse die Veranstaltung, mit der die Ladenöffnung im Zusammenhang stehe, nach Charakter, Größe und Zuschnitt ein hinreichendes Gewicht haben, um den öffentlichen Charakter des Tages prägen und eine Ausnahme von der verfassungsrechtlichen Regel der Sonn- und Feiertagsruhe rechtfertigen zu können. Auf eine Prognose der Besucherzahlen könne unter bestimmten engen Voraussetzungen verzichtet werden.

Das BVerwG hat in beiden Verfahren die Urteile der Normenkontrollgerichte geändert und festgestellt, dass die angegriffenen Bestimmungen der Großen Kreisstadt Herrenberg und der Stadt Mönchengladbach unwirksam waren.

Nach Auffasung des BVerwG verlangt das verfassungsrechtlich geforderte Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes, dass der Gesetzgeber die Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe zur Regel erheben muss. Ausnahmen darf er nur aus zureichendem Sachgrund zur Wahrung gleich- oder höherrangiger Rechtsgüter zulassen. Außerdem müssten die Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben.

Die Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 1 des Ladenöffnungsgesetzes Baden-Württemberg (LadÖG) durch den Verwaltungsgerichtshof (Verfahren 8 CN 1.19) stehe mit diesen Anforderungen nicht im Einklang. Bei der Interpretation dieser Vorschrift habe der Verwaltungsgerichtshof das verfassungsrechtliche Regel-Ausnahme-Verhältnis auf die zeitliche Dimension verkürzt und nicht berücksichtigt, dass es auch den zulässigen räumlichen und gegenständlichen Umfang der jeweiligen Sonntagsöffnung begrenzen könne. Zudem gehe er zu Unrecht davon aus, eine strenge Beschränkung der Höchstzahl verkaufsoffener Sonntage rechtfertige es, die Anforderungen an den Bezug der sonntäglichen Ladenöffnung zu der anlassgebenden Veranstaltung auf den Ausschluss bloßer Alibiveranstaltungen zu senken. Bei verfassungskonformer Auslegung von § 8 Abs. 1 Satz 1 LadÖG lieeß diese Norm eine gebietsweite Sonntagsöffnung aus Anlass der beiden Veranstaltungen nicht zu, weil deren Ausstrahlungswirkung sich nicht auf die außerhalb der Kernstadt gelegenen, bis zu 6 km entfernten Teilorte erstrecke. Da der Satzungsgeber eine Beschränkung der Sonntagsöffnung auf die Kernstadt erwogen und abgelehnt hatte, konnte die Regelung auch nicht für deren Gebiet – teilweise – aufrecht erhalten werden.

Bei der Auslegung des § 6 Abs. 1 des Ladenöffnungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (LÖG NRW) sei das Oberverwaltungsgericht den verfassungsrechtlichen Anforderungen ebenfalls nicht in jeder Hinsicht gerecht geworden (Verfahren 8 CN 3.19). Zwar sei es im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber bei einer sonntäglichen Ladenöffnung im öffentlichen Interesse, die im Zusammenhang mit örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen erfolge, den Kommunen den Nachweis dieses Zusammenhangs durch eine Vermutungsregelung erleichtere. Greife sie ein, sei es zulässig, auf die Prognose der Besucherzahlen zu verzichten, die von der Veranstaltung einerseits und der Ladenöffnung andererseits angezogen werden. Doch sei die Vermutung an enge Voraussetzungen geknüpft, um den verfassungsrechtlich gebotenen Sonn- und Feiertagschutz zu wahren, und beim Eingreifen besonderer Umstände als widerlegt anzusehen. Solche Umstände könnten sich beispielsweise aus einem erheblichen Umfang der Zahl der geöffneten Verkaufsstellen sowie deren Fläche ergeben und Anlass zu der Annahme geben, dass unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Regel-Ausnahme-Verhältnisses eine werktägliche Prägung in den Vordergrund trete. Dies sei hier im Hinblick auf ein von der Sonntagsöffnung erfasstes Einkaufszentrum der Fall. Auf einen Vergleich der zu erwartenden Besucherströme habe daher nicht verzichtet werden dürfen. Da nach den bereits vom Oberverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen die Zahl der Besucher, die von der Ladenöffnung angezogen wurden, die Zahl der Interessenten an der „Blaulichtmeile“ weit überstieg, sei die angegriffene Verordnung rechtswidrig.