HUAT-Projekt für Gasfernleitungsanbindung zwischen Ungarn und Österreich

16. März 2022 -

Das Gericht der Europäischen Union hat am 16.03.2022 zum Aktenzeichen T-684/19, T-704/19 die Bestimmungen der Verordnung 2017/459 über das Verfahren zur Schaffung neuer Kapazität für den Gastransport für nicht anwendbar erklärt.

Aus der Pressemitteilung des EuG Nr. 46/2022 vom 16.03.2022 ergibt sich:

Folglich wird die auf der Grundlage dieser Bestimmungen erlassene Entscheidung der ACER zur Schaffung neuer Kapazität für den Transport von Schwarzmeergas zwischen Ungarn und Österreich für nichtig erklärt.

Im Jahr 2015 begannen die FGSZ Földgázszállító Zrt. (FGSZ), die ungarische Gasfernleitungsnetzbetreiberin, sowie ihre bulgarischen, rumänischen und österreichischen Pendants ein Projekt zur regionalen Zusammenarbeit, mit dem durch die Einfuhr von Schwarzmeergas die Energieunabhängigkeit erhöht werden sollte. Das „Rohuat/BRUA“ genannte Projekt sah die Schaffung neuer Kapazität insbesondere zwischen Ungarn und Österreich vor.

Im Mai 2017 wurde das Projekt in zwei verschiedene Projekte aufgeteilt, darunter das Projekt betreffend die Ungarn mit Österreich verbindende Fernleitungsinfrastruktur (im Folgenden: „HUAT“-Projekt). Gemäß der Verordnung 2017/459 (im Folgenden: „Netzkodex“-Verordnung)1 führten FGSZ und die österreichische Gasfernleitungsnetzbetreiberin (GCA) eine Analyse der Marktnachfrage für das „HUAT“-Projekt durch. Am 6. April 2018 legte FGSZ der Magyar Energetikai és Közmű-szabályozási Hivatal (MEKH), der ungarischen Regulierungsbehörde für Energie und öffentliche Dienstleistungen, den Vorschlag für das „HUAT“-Projekt vor und wies darauf hin, dass sie die Durchführung dieses Projekts nicht befürworte. Am 9. April 2018 legte GCA den Vorschlag für das „HUAT“-Projekt der österreichischen Regulierungsbehörde für den Elektrizitäts- und Erdgassektor (E-Control) vor. Am 27. April 2018 erließ E-Control eine Entscheidung, mit der der Vorschlag für das „HUAT“-Projekt genehmigt wurde, während MEKH den Vorschlag mit einer Entscheidung vom 5. Oktober 2018 ablehnte.

Am 10. Oktober 2018 teilte die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) MEKH und E-Control mit, dass sie gemäß der „Netzkodex“-Verordnung und der „ACER“-Verordnung2 befugt sei, über den Vorschlag für das „HUAT“-Projekt zu entscheiden, da diese nationalen Regulierungsbehörden keinen abgestimmten Beschluss erlassen hätten. Mit Entscheidung vom 6. August 2019 genehmigte die ACER den Vorschlag.

MEKH und FGSZ erhoben gegen die Entscheidung der ACER jeweils Klage beim Gericht der Europäischen Union. MEKH machte in ihrer Klage insbesondere eine Einrede der Rechtswidrigkeit der Bestimmungen der „Netzkodex“-Verordnung geltend, auf deren Grundlage die Entscheidung der ACER erlassen worden war3. Nach Ansicht von MEKH erlaubt es nämlich die Grundverordnung 4, die als Grundlage für den Erlass der „Netzkodex“-Verordnung gedient habe, der Kommission nicht, einen Netzkodex zu erlassen, der ein Verfahren zur Schaffung neuer Kapazität vorsieht, das dazu führen kann, dem Betreiber die Verpflichtung aufzuerlegen, die für die Schaffung einer solchen Kapazität erforderlichen Investitionen zu tätigen.

Mit seinem heutigen Urteil stellt das Gericht fest, dass die „Netzkodex“-Verordnung tatsächlich ein Verfahren festlegt, das dazu führen kann, dass die Fernleitungsnetzbetreiber verpflichtet sind, die zur Schaffung neuer Kapazität erforderlichen Investitionen zu tätigen.

Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der dieses Verfahren vorsehenden Bestimmungen der „Netzkodex“-Verordnung weist das Gericht darauf hin, dass es nach der Grundverordnung in erster Linie Sache des Europäischen Netzes der Fernleitungsnetzbetreiber (Gas) (ENTSO [Gas]) – der Struktur für die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Netzbetreibern auf Unionsebene – ist, in bestimmten, von der letztgenannten Verordnung abschließend aufgeführten Bereichen Netzkodizes auszuarbeiten. Mithin kann die Kommission nur dann, wenn ENTSO (Gas) keinen Netzkodex ausgearbeitet hat, einen oder mehrere Netzkodizes in diesen Bereichen erlassen. Insoweit stellt das Gericht fest, dass nach dem Wortlaut der Grundverordnung der Bereich der Regeln für die Kapazitätszuweisung und das Engpassmanagement der einzige Bereich ist, für den die Erstellung eines Netzkodex auf dem Gebiet der Schaffung neuer Kapazität eventuell denkbar sein könnte.

Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass der Begriff „Kapazität“ im Sinne der Grundverordnung nur die aktuelle Netzkapazität meint und dass das Engpassmanagement nur auf der Grundlage der vorhandenen Kapazität erfasst wird.

Zudem wird in der Grundverordnung deutlich zwischen den vorgenannten, abschließend aufgeführten Bereichen, hinsichtlich derer ENTSO (Gas) für die Ausarbeitung der maßgeblichen Regeln im Rahmen von Netzkodizes zuständig ist, und der Setzung eines Rahmens im Hinblick auf die für die Schaffung neuer Kapazität im Netz erforderlichen Investitionen unterschieden, hinsichtlich derer ENTSO (Gas) nur eine Unterstützungs- und Koordinierungsfunktion ausübt. Die Entwicklung des Netzes in der gesamten Union fällt nämlich grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, so dass sich die Rolle von ENTSO (Gas) lediglich auf die Koordinierung der Ausübung dieser Zuständigkeit und die Identifizierung etwaiger Lücken im Investitionsbereich, insbesondere hinsichtlich der grenzüberschreitenden Kapazität, bezieht.

Folglich weist die Grundverordnung weder ENTSO (Gas) noch der Kommission eine Regelungskompetenz für den Erlass von Vorschriften zu, die einen Rahmen zur Schaffung neuer Kapazität im Netz setzen. Zu diesem Punkt hebt das Gericht hervor, dass ein Fernleitungsnetzbetreiber nach der „Gas“-Richtlinie5 verpflichtet ist, die für das ordnungsgemäße Funktionieren des Netzes und gegebenenfalls für die Schaffung neuer Kapazität erforderlichen Investitionen zu tätigen. Nach dieser Richtlinie ist es jedoch allein Sache der Mitgliedstaaten, über ihre jeweilige nationale Regulierungsbehörde die Einhaltung dieser Verpflichtungen zu gewährleisten.

Unter diesen Umständen kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass aufgrund dessen, dass die Grundverordnung ENTSO (Gas) nicht dazu ermächtigt, in einen Netzkodex Regelungen aufzunehmen, die geeignet sind, einem Gasfernleitungsnetzbetreiber eine Verpflichtung zur Schaffung neuer Kapazität aufzuerlegen, die Kommission, als sie anstelle von ENTSO (Gas) handelte, nicht für den Erlass der Bestimmungen der „Netzkodex“-Verordnung zuständig war, die ein Verfahren regeln, das zur Auferlegung einer solchen Verpflichtung führen kann. Daher erklärt das Gericht diese Bestimmungen der „Netzkodex“-Verordnung für nicht anwendbar und die auf der Grundlage dieser Bestimmungen erlassene Entscheidung der ACER für nichtig.

1 Verordnung (EU) 2017/459 der Kommission vom 16. März 2017 zur Festlegung eines Netzkodex über Mechanismen für die Kapazitätszuweisung in Fernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 984/2013 (ABl. 2017, L 72, S. 1).

2 Verordnung (EG) Nr. 713/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ABl. 2009, L 211, S. 1, im Folgenden: „ACER“- Verordnung). Diese Verordnung wurde ersetzt durch die Verordnung 2019/942 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ABl. 2019, L 158, S. 22), die am 4. Juli 2019 in Kraft trat.

3 Kapitel V der „Netzkodex“-Verordnung.

4 Verordnung (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 (ABl. 2009, L 211, S. 36, im Folgenden: Grundverordnung).

5 Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. 2009, L 211, S. 94).