Keine Entscheidung über ungeklärte Rechtsfragen zur menschenwürdigen Gefängnisunterbringung in PKH-Verfahren

Das Bundesverfassungsgericht hat am 17.02.2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 3182/15 und 1 BvR 1624/16 entschieden, dass die Vorverlagerung ungeklärter Rechtsfragen zur menschenwürdigen Unterbringung von Gefangenen ins Prozesskostenhilfeverfahren verfassungswidrig ist.

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 43/2020 vom 03.06.2020 ergibt sich:

Beide Beschwerdeführer hatten vor dem Landgericht erfolglos eine Amtshaftungsklage gegen den Freistaat Bayern wegen menschenunwürdiger Unterbringung in Untersuchungshaft erhoben, die sie u.a. auf eine Unterbringung in zu kleinen Hafträumen mit einem Mithäftling und auf mangelhafte sanitäre Ausstattung stützten. Das Oberlandesgericht wies in beiden Fällen den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung der Berufung zurück, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichenden Erfolgsaussichten habe. Die Grenze zur menschenunwürdigen Behandlung sei durch die Bedingungen der Haftunterbringung nicht überschritten gewesen. Die Flächen der Hafträume seien jeweils ausreichend bemessen. Ausgehend insbesondere von der Größe der Hafträume und ihrer Ausstattung könne eine menschenunwürdige Unterbringung nicht angenommen werden.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die erstinstanzliche Abweisung einer Amtshaftungsklage gegen den Freistaat Bayern wegen menschenunwürdiger Unterbringung in Untersuchungshaft und die Zurückweisung eines Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in der Berufungsinstanz.

Das BVerfG hat den Verfassungsbeschwerden teilweise stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Nach Auffassung des BVerfG hat das Oberlandesgericht, indem es der beabsichtigten Berufung ungeachtet ungeklärter Rechtsfragen zur Menschenwürdigkeit der Unterbringung die Erfolgsaussicht von vornherein abgesprochen hat, den Anspruch des Beschwerdeführers auf Rechtsschutzgleichheit verletzt. Die maßgeblichen Rechtsfragen durften nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden, sondern bedürfen einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren, die es dem Beschwerdeführer ermögliche, diese ggf. einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen. Solange diese Fragen nicht durch klärende Leitentscheidungen des BGH entschieden seien, müsse, wenn es auf diese im Einzelfall ankomme, Prozesskostenhilfeanträgen stattgegeben werden.

Wesentliche Erwägungen des BVerfG

Die Entscheidungen des OLG München verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit.

  1. Die Gewährleistung der Rechtsschutzgleichheit gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Zwar kann die Gewährung von Prozesskostenhilfe in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise davon abhängig gemacht werden, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen.

Danach dürfen bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt werden können. Steht eine höchstrichterliche Klärung einer Rechtsfrage noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen fehlender Erfolgsaussichten ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Ansonsten würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen.

  1. Gemessen an diesen Grundsätzen halten die Prozesskostenhilfe versagenden Beschlüsse des Oberlandesgerichts einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Oberlandesgericht hat seine Einschätzung fehlender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung auf ein Verständnis der Menschenwürdegarantie in der Haftunterbringung gestützt, das in der bisherigen Rechtsprechung der Fachgerichte noch keine hinreichende Klärung gefunden hat. Im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung ist das Oberlandesgericht im Ansatz davon ausgegangen, dass die Frage nach der Menschenwürdigkeit der Unterbringung von Gefangenen von einer Gesamtschau der tatsächlichen Umstände der Haftsituation abhängt, wobei als Faktoren in erster Linie die Bodenfläche pro Gefangenem und die Situation der sanitären Anlagen, namentlich die Abtrennung und Belüftung der Toilette, zu beachten sind; außerdem finden Merkmale wie der Umfang der täglichen Einschlusszeiten und die Belegdichte des Haftraums Berücksichtigung. Die Frage, wie diese Faktoren zu bewerten sind, insbesondere, ob oder unter welchen Bedingungen auch eine anteilige Grundfläche unterhalb von 6 m² pro Gefangenem den Anforderungen der Menschenwürdegarantie genügen kann, ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Die Kammer hatte in einigen Beschlüssen bereits im Jahr 2016 mit im Wesentlichen identischer Begründung die Ablehnung von Prozesskostenhilfeanträgen beanstandet. An Leitentscheidungen des BGH, die für die Einzelfallbeurteilung der Menschenwürdigkeit der Unterbringung gehärtete Parameter vorgeben und für die Betroffenen wie für die Justizvollzugsanstalten vorhersehbar die Anforderung an menschenwürdige Haftbedingungen näher bestimmen, fehlt es jedoch nach wie vor, so dass auch der vorliegenden Verfassungsbeschwerde stattzugeben war.

Die damit verbundenen Fragestellungen durften demnach nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden, sondern bedürfen einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren, die es dem Beschwerdeführer auch ermöglicht, diese ggf. einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen.