Land kann vom Schädiger Schadensersatz wegen psychischer Verletzung eines Polizeibeamten verlangen

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 08.12.2020 zum Aktenzeichen VI ZR 19/20 entschieden, dass ein Bundesland von demjenigen, der eines Polizeibeamten verletzt hat, Schadensersatz verlangen.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung können durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen.

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, wie das Berufsrisiko von Polizeibeamten und professionellen Rettungskräften, psychische Gesundheitsverletzungen zu erleiden, haftungsrechtlich zu werten ist.

Einerseits wird vertreten, psychische Gesundheitsverletzungen seien physischen Verletzungen vollkommen gleichzustellen, da es keinen Anlass für eine Unterscheidung. Andererseits wird vertreten, dass dann, wenn sich das typischerweise mit der konkreten Berufstätigkeit verbundene Risiko verwirkliche, besonders belastenden Situationen ausgesetzt zu werden, und ein entsprechender Berufsträger infolge dessen eine psychische Gesundheitsstörung erleide, der Schädiger nicht hafte, weil dieses Risiko freiwillig oder bewusst übernommen worden sei. Es sei in diesen Fällen in erster Linie Aufgabe der Dienststellen der Betroffenen, sie auf solche Aufgaben vorzubereiten und für eine notwendige Betreuung nach dem Einsatz sowie die etwaige Gewährung notwendiger Sozialleistungen zu sorgen. Teilweise wird die Frage, ob der Zurechnungszusammenhang zu bejahen ist, wenn die psychische Erkrankung auf einer normalen Einsatzsituation beruht, davon abhängig gemacht, ob der Schädiger den Not- und Einsatzfall vorsätzlich herbeigeführt oder den Einsatz vorsätzlich behindert oder erschwert hat. Argumentiert wird auch, die Vergleichbarkeit der Helfer mit Geschäftsführern, denen nach gefestigter Rechtsprechung und allgemeiner Meinung nach §§ 683, 670 BGB Schadensersatz zustehe, spreche dafür, generell nicht mehr auf ein Berufsrisiko zur Haftungsverneinung zurückzugreifen.

Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Risiko einer psychischen Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos dem Schädiger zuzuordnen. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten, gebietet eine solche Vorbereitung und etwaige Stärkung ihrer Psyche regelmäßig nicht, ihnen beim dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Erkrankung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen.

Es ist bereits nicht zu erklären, weshalb zwischen physischen und psychischen Primärschäden unterschieden werden sollte. Für den Bereich der Sekundärschäden und der haftungsausfüllenden Kausalität geht der Senat vielmehr regelmäßig von einer grundsätzlichen Gleichstellung der psychischen mit den physischen Schäden aus (vgl. Senatsurteil vom 11. November 1997 – VI ZR 376/96, BGHZ 137, 142, 147 f., juris Rn. 15). Es handelt sich bei den berufsspezifischen Einsatzrisiken regelmäßig auch nicht um psychische Belastungen im Rahmen des im Leben Üblichen, also nicht um die Verwirklichung eines allgemeinen, von jedermann zu tragenden Lebensrisikos.

Die Besonderheit psychischer Gesundheitsschäden soll aber darin bestehen, dass sie sich – auch ohne Verwirklichung sonstiger Gefahren für Leib und Leben – bereits daraus entwickeln können, dass sich der Betroffene berufsbedingt überhaupt in der jeweiligen Einsatzsituation befindet und der damit verbundenen psychischen Belastung ausgesetzt wird. Es kann objektiv um Belastungen gehen, die, gemessen an den äußeren Gegebenheiten der Belastungssituation, nicht über das hinausgehen, womit jeder Polizeibeamte bei durchschnittlichen Einsätzen üblicherweise rechnen muss. Da es zur Ausbildung und zum Beruf von professionellen Einsatzkräften gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten, wird eine Vergleichbarkeit mit dem vom Geschädigten regelmäßig hinzunehmenden allgemeinen Lebensrisiko gesehen. Diese Sicht greift zu kurz. Wie der Streitfall selbst zeigt, gehört es auch zum Berufsrisiko eines Polizeibeamten, beim Einsatz physische Verletzungen zu erleiden. Auch darauf wird er vorbereitet. Sportliche Fähigkeiten und körperliche Fitness werden bereits vor der Aufnahme in den Polizeidienst geprüft. Der Schutz vor physischen Schäden bzw. deren Entschädigungspflichtigkeit wird aber in der Regel vorbehaltlos als vom Schutzzweck der verletzten Norm erfasst angesehen, so etwa im Streitfall die Daumenverletzung oder der Schutz der Feuerwehrleute vor Körperschäden bei der Brandbekämpfung Auch wenn nach solchen beruflichen Einsätzen die psychische Erkrankung als Sekundärschaden aus dem Primärschaden der körperlichen Verletzung hervorgeht, wird der Zurechnungszusammenhang gemeinhin nicht in Frage gestellt. Da ein Routineeinsatz wie im Streitfall regelmäßig auch mit dem Risiko physischer Verletzungen einhergeht, die nicht entschädigungslos bleiben sollen, und es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten auch gehört, auf deren Vermeidung und Reduzierung durch Training und Schutzausrüstung vorbereitet zu werden, erschließt sich die Ungleichbehandlung der beruflichen Risiken nicht. Darüber hinaus wird bei der Argumentation mit dem freiwilligen Eingehen eines berufsspezifischen Risikos übersehen, dass die Organisation eines professionellen Gefahren-, Unfall- und Krisenmanagements mit Vorbereitung, Training und später begleiteter Aufarbeitung des belastenden Erlebens ebenso wie mit körperlicher Fitness und Schutzausrüstung der Einsatzkräfte den Schädiger bereits entlastet, weil sie durch den Schutz der Einsatzkräfte auch zur Konsequenz hat, sein Haftungsrisiko zu beschränken. Bei ausgebildeten, vorbereiteten und trainierten Einsatzkräften wird regelmäßig die Verletzungsgefahr im Vergleich zu Laien verringert oder eine Traumafolgestörung durch eine starke oder gestärkte Psyche verhindert. Wenn dies dann trotz aller professionellen Aufrüstung im Einzelfall nicht gelingt, weil das Erlebnis für die individuelle körperliche oder psychische Verfassung der Einsatzkraft zu belastend ist, rechtfertigt dies erst recht keine Risikoverlagerung auf diesen Geschädigten.

Im Übrigen stünde es dem Gesetzgeber frei, für professionelle Einsatzkräfte Sonderregelungen auch mit Regressbeschränkungen zu schaffen (vgl. für Arbeitsunfälle § 104 Abs. 1, §§ 105, 110 SGB VII).

Die Gefahr einer uferlosen Ausweitung der Haftung besteht nicht, wenn man bei der Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos bei einem Einsatz einen Zurechnungszusammenhang auch bei psychischen Primärschäden annimmt.

Eine Haftung für psychische Beeinträchtigungen, die als Primärschaden nach einem (Unfall)Geschehen geltend gemacht werden, kommt nach der Rechtsprechung des Senats nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigung selbst Krankheitswert besitzt.

In Abgrenzung zu Fällen bloßer Anwesenheit bei einem Unfallgeschehen ist maßgeblich für die Zurechnung regelmäßig auch, dass der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbar (Unfall)Beteiligten aufgezwungen hat.

Zwar genügt es für die Kausalität, dass das Verhalten des Schädigers für die Gesundheitsverletzung mitursächlich gewesen ist. Auch beeinflusst eine Vorschädigung des Geschädigten die Zurechnung regelmäßig nicht es besteht aber der „Filter der Adäquanz“ zur Ausgrenzung der Kausalverläufe, die dem Verantwortlichen billigerweise rechtlich nicht mehr zugerechnet werden können. Adäquat ist eine Bedingung dann, wenn das Ereignis im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen.