Mehrjährige Haftstrafen wegen tödlicher Stöße in S-Bahn-Gleis

23. Dezember 2019 -

Das Landgericht Nürnberg hat mit Urteil vom 18.12.2019 zum Aktenzeichen JK I KLs 601 Js 51129/19 nach dem Tod von zwei Jugendlichen durch Stöße auf ein S-Bahn-Gleis in Nürnberg die Angeklagten zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt.

Aus der Pressemitteilung des OLG Nürnberg Nr. 40/2019 vom 18.12.2019 ergibt sich:

Die Angeklagten seien der Körperverletzung mit Todesfolge in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig.

Das LG Nürnberg hat den Angeklagten K. zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten C. zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Das Landgericht ist im Hinblick auf den Schuldvorwurf davon überzeugt, dass sich der Angeklagte K. am nicht geöffneten Rucksack eines der getöteten Jugendlichen zu schaffen gemacht habe. Darauf angesprochen hätte der Angeklagte K. aggressiv und provokativ reagiert. Die beiden späteren Opfer hätten sich nicht provozieren lassen und sich ruhig verhalten. Vielmehr hätten sie versucht, die Situation zu beschwichtigen. Danach sei es aus welchem Grund auch immer zu einer Eskalation der Auseinandersetzung gekommen. Die Gewalt ging von der Gruppe aus, zu der die Angeklagten gehörten. Beide Angeklagte hätten dann im Rahmen der Auseinandersetzung auf engstem Raum zwischen Treppengeländer und Bahnsteig die beiden getöteten Jugendlichen in das Gleisbett geschubst, wo diese unmittelbar danach von dem mit 88 km/h durchfahrenden Zug erfasst wurden. Ein weiterer Zeuge, der ebenfalls ins Gleisbett gefallen war, konnte sich noch retten. Der Zug habe zuvor Warnsignale abgegeben.

Diese Überzeugung des Landgerichts beruhe vor allen Dingen auf der Augenscheinnahme des Videos, welches in verschiedenen Varianten mehrfach angeschaut worden sei. Zudem habe man auf einer von einem Zeugen aufgenommenen Audiodatei zunächst ein schwaches und dann sehr deutliches Warnsignal gehört. Die zentrale Frage sei gewesen, ob die Angeklagten mit Tötungsvorsatz gehandelt hätten oder nicht. Die Angeklagten hätten bestritten, dass sie die beiden Zeugen bewusst vor den Zug gestoßen haben.

Für ein bewusstes Schubsen hätte sich das Landgericht davon überzeugen müssen, dass die beiden Angeklagten den Zug wahrgenommen haben. Auf dem Video sei sozusagen „von der Loge“ aus alles zu sehen. Die Frage sei aber, ob die Angeklagten während der Auseinandersetzung auch den Zug gesehen hätten. Das Landgericht habe daran Zweifel. Die Angeklagten seien mit der körperlichen Auseinandersetzung beschäftigt gewesen und hätten nicht auf etwaige Züge geachtet. Das Landgericht sei auch nicht überzeugt davon, dass die Angeklagten die Zuggeräusche bzw. den ersten Warnpfiff wahrgenommen hätten. Der Zug sei sehr leise, es sei am Bahnsteig sehr laut gewesen. Eine akustische Warndurchsage gäbe es nicht. Bei Abgabe des zweiten Warnsignals seien die beiden getöteten Jugendlichen bereits im Fall gewesen. Soweit Zeugen Äußerungen gehört hätten, die in Richtung eines bewussten Schubsens gehen, seien diese Äußerungen nicht zuordenbar und es sei nicht klar, ob die Angeklagten sie gehört hätten bzw. wem sie gegolten hätten. Dies seien Fragen, die nicht aufgeklärt werden konnten. Das Landgericht habe auch kein Motiv finden können, warum die beiden Angeklagten die beiden Jugendlichen hätten töten wollen. Auch hätten sich die beiden Angeklagten nach dem Vorfall in Panik und geschockt entfernt. Dies spreche dagegen, dass sie bewusst jemanden in das Gleisbett geschubst hätten.

Das Landgericht habe keinen bewussten Tötungsvorsatz aber auch kein billigendes in Kauf nehmen des Todes feststellen können. Rechtlich liege daher eine Körperverletzung mit Todesfolge vor. Im Hinblick auf den Tod hätten die beiden Angeklagten grob fahrlässig gehandelt. Das Landgericht sei erschüttert über das Verhalten der Bahn, die auch nach dem Vorfall keine Maßnahmen ergriffen habe. Es wäre ohne weiteres möglich, etwa Lautsprecherdurchsagen zu machen, die vor durchfahrenden Zügen warnen.

Aufgrund des Alters zur Tatzeit sei hier Jugendrecht anzuwenden. Eine Jugendstrafe sei hier unvermeidlich, weil die Schwere der Schuld deren Verhängung gebiete. Es seien nicht nur zwei Menschen getötet worden, sondern das Maß der Fahrlässigkeit der beiden Angeklagten sei ein hohes. Das Jugendgerichtsgesetz gebe vor, dass Jugendstrafe so zu bemessen sei, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. Es gehe hier nicht um Vergeltung oder Abschreckung. Jugendstrafe und Generalprävention hätten nichts miteinander zu tun. Allerdings sei auch ein Schuldausgleich ein Gesichtspunkt, den man berücksichtigen könne. Am Gebot des Erziehungsgedankens hatte sich das Landgericht bei der Strafzumessung zu orientieren. Unter Abwägung aller für und gegen die Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erachtete die Jugendkammer die verhängten Jugendstrafen für erforderlich. Die Täter sollten eine Strafe erhalten, die ihnen die furchtbare Dimension ihrer Tat vor Augen führt, habe einer der Nebenkläger geäußert. Das Landgericht meint, dass sie bei ihrem Urteilsspruch dem aber auch der Verantwortung für die beiden Angeklagten Rechnung getragen habe.