Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei Urlaubsansprüchen und langanhaltender Arbeitsunfähigkeit

04. Mai 2022 -

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat mit Urteil vom 17.02.2022 zum Aktenzeichen 5 Sa 872/21 entschieden, dass wenn ein Arbeitnehmer auch bis nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt bleibt, es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, den Arbeitnehmer von dem Bestehen von Urlaubsansprüchen und deren Befristung in Kenntnis zu setzen, nicht verwehrt ist, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen. Ist der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal.

Die Parteien streiten um Urlaubsabgeltung für die Kalenderjahre 2016 und 2017. Der Kläger war seit 1992 bei der Beklagten beschäftigt. Aufgrund einer schweren Nervenschädigung an der linken Hand erlitt der Kläger eine Verkrümmung mehrerer Finger. Ab dem 04.01.2010 war der Kläger arbeitsunfähig. Ab September 2010 erhielt der Kläger Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung, die die Beklagte für den Kläger 1996 abgeschlossen hatte. Ab 03.07.2011 erhielt der Kläger für die Dauer von 12 Monaten Arbeitslosengeld I gemäß § 145 SGB III. Von Januar 2013 bis Juli 2014 absolvierte der Kläger eine Weiterbildung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Danach leistete der Kläger verschiedene Praktika, u.a. in einer Behindertenwerkstatt. Ab 01.10.2017 erhielt der Kläger dort zunächst eine befristete, ab 01.10.2020 eine unbefristete Beschäftigung. Das Arbeitsverhältnis zur Beklagten beendete der Kläger durch fristlose Eigenkündigung zum 25.02.2021. Er verlangt von der Beklagten Urlaubsabgeltung für die Jahre 2016 und 2017. Die Beklagte sei ihrer Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen. Ein entsprechender Hinweis der Beklagten am „schwarzen Brett“ reiche diesbezüglich nicht aus. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für die Kalenderjahre 2016 und 2017. Diese waren unbeachtlich einer unterstellten Verletzung der der Beklagten obliegenden Mitwirkungspflichten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs des Klägers am 31.03.2018 (Anspruch für 2016) und 31.03.2019 (Anspruch für 2017) erloschen, da der Kläger in diesen Jahren durchgehend arbeitsunfähig war und dieses auch in den Übertragungszeiträumen für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung geblieben ist, so dass diese vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses im Februar 2021 erloschen waren, weshalb keine abzugeltenden Urlaubsansprüche für diese Jahre mehr bestanden. Seit der insoweit grundlegenden Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2012 entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass Urlaubsansprüche bei langandauernder Erkrankung zwar nicht gem. § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des 31.12. des Kalenderjahres bzw. dem 31.03. des Folgejahres erlöschen, sondern aufgrund richtlinienkonformer Auslegung erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Zwar bestehen die erforderlichen Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers (vgl. EuGH, Urteil vom 06.11.2018 – C-684/16; BAG, Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 423/16) auch während einer langandauernden Erkrankung, die sich über mehrere Jahre erstreckt. Jedoch ist die Befristung des Urlaubsanspruchs bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es – was erst im Nachhinein feststellbar ist – objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren. Das LAG Hamm hatte am 24.07.2019 – 5 Sa 676/19 – noch entschieden, dass die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bis zur Wiedergenesung ruhen. Die 5. Kammer schließt sich aber nun den Ausführungen des BAG (EuGH-Vorlage vom 07.07.2020 – 9 AZR 401/19 (A)) an. Vorliegend hat der Kläger aufgrund der dauerhaft weiter bestehenden Arbeitsunfähigkeit für die vertraglich geschuldete Tätigkeit auch in den streitbefangenen Jahren nicht die Möglichkeit gehabt, Urlaub wirksam zu beantragen, da die Beklagte aufgrund der Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage gewesen wäre, diesen Urlaub durch Freistellung in natura zu erfüllen, da der Kläger bereits aufgrund der vorliegenden Arbeitsunfähigkeit von der Arbeitspflicht – unabhängig von den in diesen Jahren vorgenommenen Weiterbildungsmaßnahmen bei anderen Betrieben – befreit war.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den mündlichen Ausführungen des Klägervertreters im Kammertermin. Soweit diesen zu entnehmen gewesen sein sollte, dass die Beklagte gehalten gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger auch formal durch eine Kündigung zu beenden, da diesem dann die Urlaubsansprüche erhalten geblieben wären, verkennt er den Inhalt der Mitwirkungsobliegenheiten. Diese sind dazu bestimmt, dem Arbeitnehmer die tatsächliche Verwirklichung des Urlaubsanspruches zu ermöglichen. Eine Verpflichtung, dem Arbeitnehmer einen Abgeltungsanspruch zu ermöglichen, ergibt sich hieraus nicht.