Posttraumatische Belastungsstörung eines Leichenumbetters – Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung greift nicht

12. Mai 2023 -

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 27.04.2023 zum Aktenzeichen L 21 U 231/19 entschieden, dass eine von einem Leichenumbetter vorgebrachte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nicht als sogenannte „Wie-Berufskrankheit“ (also als einer Berufskrankheit gleichgestellt) anerkannt werden kann. Deshalb hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Aus der Pressemitteilung des LSG Berlin-Brandenburg vom 12.05.2023 ergibt sich:

Der im Jahr 1963 geborene Kläger war in den Jahren 1993 bis 2005 als Leichenumbetter beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. tätig und führte in Mittel- und Osteuropa mit Schaufel und Bagger die Exhumierung und Identifizierung von Weltkriegstoten sowie von Toten der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren durch. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Gebeine der Toten aus den Grabanlagen zu bergen, Alter, Geschlecht und – soweit möglich – die Todesursache zu bestimmen sowie Körperbau, Größe und gefundene Gegenstände zu protokollieren und fotografisch zu dokumentieren. Seit dem Jahr 2005 war er arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2017 wandte sich der Leichenumbetter an die beklagte Berufsgenossenschaft und trug vor, durch seine langjährige Tätigkeit sei es bei ihm zu gesundheitlichen Störungen mit einer lebenslangen Behinderung gekommen.

Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, seine Erkrankung einer Berufskrankheit gleichzustellen. Psychische Erkrankungen wie eine PTBS gehörten nicht zu den in der Berufskrankheiten-Liste aufgeführten Krankheiten. Die hiergegen gerichtete Klage des Leichenumbetters vor dem Sozialgericht Potsdam blieb ohne Erfolg.

Der 21. Senat des Landessozialgerichts hat die Entscheidung des Sozialgerichts Potsdam nunmehr bestätigt. Nach den aktuellen diagnostischen Kriterien (ICD-11) sei eine PTBS Folge eines extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignisses oder einer Reihe von entsprechenden Ereignissen. Diese Eingangsvoraussetzung sei nicht bereits durch die Berufsbezeichnung erfüllt, sondern es sei vielmehr auf die konkreten Einwirkungen abzustellen. Zudem ließen sich aus epidemiologischen Studien keine gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten eines Leichenumbetters und einer PTBS ableiten. Hinsichtlich eines solchen Zusammenhangs fehle es bereits an statistisch relevanten Zahlen zur Gruppe der Leichenumbetter. Auf Studien zu Berufen, die ähnliche Belastungen mit sich bringen, wie etwa Zivil- und Militärbestatter, forensische Pathologen oder Mitarbeiter von Rettungsdiensten, könne mangels Übertragbarkeit nicht zurückgegriffen werden. Nicht ausreichend für die Anerkennung „wie eine Berufskrankheit“ sei die bloße Denkbarkeit bzw. Möglichkeit einer psychischen Belastung durch das langjährige Exhumieren, Bergen und Vermessen von Leichen und Leichenteilen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der unterlegene Leichenumbetter kann bei dem Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.

Zum rechtlichen Hintergrund:

Maßgebliche Vorschrift ist § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Dort heißt es: „Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.“ In § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII heißt es: „Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind.