Rechtsanwalt muss sich nicht vom Gegner schlecht bewerten lassen

15. Mai 2023 -

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 31.08.2022 zum Aktenzeichen 4 U 17/22 entschieden, dass die Ein-Sterne-Bewertung nebst Kommentar „nicht empfehlenswert und „kritisch: Professionalität“ zur Leistung eines Rechtsanwalts auf einer Internetplattform ein Werturteil darstellt, das nach dem objektiven Sinngehalt einen Tatsachenkern aufweist, wonach die Bewertung auf Erfahrungen aus einem mandatsbezogenen geschäftlichen Kontakt beruht.

Der Kläger verlangte in erster Instanz Löschung und Unterlassung einer vom Beklagten im Internet abgegebenen Bewertung über die klägerische Rechtsanwaltskanzlei.

Der Kläger ist Rechtsanwalt und betreibt die Rechtsanwaltskanzlei „S… & K….“ in M…. Im Internetsuchdienst „Google“ ist die klägerische Kanzlei gelistet und wird über „Google My Business“ beworben.

Der Beklagte gab unter seinem Klarnamen folgende „Ein-Sterne-Bewertung“ über die klägerische Kanzlei bei „Google“ ab.

Der Beklagte war nicht Mandant des Klägers, sondern war in einem Prozess vor dem Landgericht Stuttgart Beklagter, in dem der Kläger die Klägerseite vertreten hatte. Zugleich verlangte der Beklagte im Zusammenhang mit dem vorgenannten Klageverfahren vom Kläger Auskunft über die Speicherung von Daten, die ihm von dem Prozessgegner als Mandanten zur Verfügung gestellt worden waren. Der Kläger forderte den Beklagten vorgerichtlich erfolglos zur Löschung der Rezension und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf.

Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm ein Unterlassungs- und Löschungsanspruch zustehe, weil die beanstandete Rezension in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingreife. Sie sei geeignet, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken. Wegen des Nichtbestehens von Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien sei im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung das Interesse des Klägers am Schutz seiner sozialen Anerkennung und seiner (Berufs-) Ehre höher zu gewichten als das Interesse des Beklagten an der Kundgabe seiner die Tätigkeit des Klägers betreffenden Wertschätzung.

Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten ein Anspruch gem. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 12 GG iVm. Art. 19 Abs. 3 GG auf Löschung der streitgegenständlichen Erklärung wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder gem. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 3 GG wegen eines Eingriffs in den sozialen Geltungsanspruch des Klägers als Wirtschaftsunternehmen zu.

Die gegenständliche, im Rahmen der Bewertung abgegebene Erklärung „nicht empfehlenswert und „kritisch: Professionalität“, wie auch die abgegebene „Ein-Sterne-Bewertung“ stellen sich als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und in den sozialen Geltungsanspruch des Klägers dar. Das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb schützt das Interesse daran, dass die wirtschaftliche Stellung nicht durch inhaltlich unrichtige Informationen oder Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind, geschwächt wird und andere Marktteilnehmer deshalb von Geschäften mit ihr abgehalten werden (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, NJW 2015, 773 Rn. 13). In dieses Recht und in den sozialen Geltungsanspruch des Klägers greift die Bewertung des Beklagten ein. Mit der Bewertung spricht der Beklagte dem Kläger, der eine Anwaltskanzlei betreibt, die Professionalität bei der Berufsausübung ab. Der Beklagte gibt vor diesem Hintergrund die nach dem Sterne-Bewertungssystem denkbar schlechteste Note ab und vergibt lediglich einen Stern. Hinzu kommt, dass er die anwaltliche Tätigkeit als nicht zu empfehlen einordnet. Diese Äußerungen sind ersichtlich geeignet, potentielle Geschäftspartner einen Geschäftskontakt überdenken zu lassen. Soweit ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein betriebsbezogenes Handeln erfordert, ist dieses zugleich gegeben.

Dieser Eingriff des Klägers ist rechtswidrig. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stellt einen offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Abwägung mit den im Einzelfall konkret kollidierenden Interessen anderer ergeben. Gleiches gilt für das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Der Eingriff in den Schutzbereich des jeweiligen Rechts ist nur dann rechtswidrig, wenn das Interesse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2014, VI ZR 39/14, NJW 2015, 773, Rn. 16).

Bei den gegenständlichen Äußerungen in der abgegebenen Bewertung handelt es sich um Meinungsäußerungen, die einen Tatsachenkern aufweisen.

Im Ausgangspunkt bedarf die Einordnung als Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung einer Sinndeutung der gegenständlichen Äußerung. Denn die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der rechtlichen Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 27.09.2016, VI ZR 250/13 Rn. 12; BGHZ 203, 239 Rn. 19; BGHZ 132, 13 [21]). Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut – der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann – und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteil vom 27.09.2016, VI ZR 250/13 Rn. 12; BGH, Urteil vom 12.04.2016, VI ZR 505/14 Rn. 11; BGH, Urteil vom 27.05.2014, VI ZR 153/13 Rn. 13).

Die Sinndeutung bildet die Grundlage für die Einordnung und Abgrenzung zwischen einer Tatsachenbehauptung und einem Werturteil. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (BGH NJW 2018, 3254 [3256 Rn. 19]; BGH, Urteil vom 27.09.2016, VI ZR 250/13 Rn. 25).

Gemessen hieran handelt es sich bei der Ein-Sterne-Bewertung sowie bei den Angaben „nicht empfehlenswert“ und „kritisch: Professionalität“ bei isolierter Betrachtung um reine Werturteile. Der Beklagte bringt damit für den Leser zum Ausdruck, dass es sich um eine subjektive Einschätzung zur Leistung des Klägers handelt, die durch das eigene Dafürhalten geprägt und nicht dem Beweis zugänglich ist.

Nach dem Kontext der Äußerungen enthalten diese über ihren Wortlaut hinaus aus Sicht eines durchschnittlichen Lesers der Bewertung aber auch tatsächliche Elemente, da der Beklagte damit zugleich behauptet, dass er mit dem für die Bewertung der Kanzlei relevanten Leistungsangebot in Kontakt gekommen ist. Damit ist nicht zwingend die Aussage verbunden, dass der Beklagte Mandant des Klägers gewesen ist. Es genügt vielmehr schon jeder leistungsbezogene bzw. mandatsbezogene geschäftliche Kontakt zwischen den potentiellen (Vertrags-) Parteien, etwa bei der mündlichen Vereinbarung eines ersten Beratungstermins oder bei einer schriftlichen Anfrage an die Kanzlei (vgl. ebenso LG München, Urteil vom 20.11.2019, Az. 11 O 7732/19 – juris Rn. 40). Hierunter fällt jedoch nicht ein Kontakt des Bewertenden als Gegner eines Mandanten dieser Kanzlei. Erfahrungen, die in diesem Zusammenhang gesammelt werden, stellen keinen leistungsbezogenen bzw. mandatsbezogenen geschäftlichen, sondern nur einen gelegentlichen sonstigen Kontakt dar. Ein durchschnittlicher Leser, der typischerweise die Online-Bewertungen betrachtet, um sich im Vorfeld der Vertragsanbahnung zu informieren, geht davon aus, dass der Bewertung in diesem Sinne ein leistungs- bzw. mandatsbezogener geschäftlicher Kontakt zu Grunde liegt; zumal eine Bewertung, die auf einem sonstigen gelegentlichen Kontakt als Prozessgegner eines Mandanten der Kanzlei beruht, keine belastbare Aussagekraft für die vorzunehmende Bewertung der Leistung der Kanzlei besitzt und damit nicht zu der von der Rechtsordnung grundsätzlich gebilligten und gesellschaftlich erwünschten Funktion von Bewertungsfunktionen von Online-Plattformen iSd. Schaffung von Markttransparenz beitragen kann (vgl. etwa BGHZ 209, 139-157, Rn. 40). Denn es ist allseits bekannt und gesellschaftlich anerkannt, dass der tätige Rechtsanwalt als Interessenvertreter des Mandanten fungiert. Die erfolgreiche Wahrnehmung der Interessen des eigenen Mandanten bedeutet oft nachteilige Konsequenzen für den Gegner des Mandanten. Die Erfahrungen des Prozessgegners lassen insofern typischerweise keinen gleichermaßen sachlichen Rückschluss auf die Qualität der anwaltlichen Leistungen zu; zumal der tätige Rechtsanwalt unter Umständen im Innenverhältnis – in Unkenntnis des Prozessgegners – an die Weisungen des Mandanten gebunden ist und das Handeln nach Außen keine hinreichende Bewertungsgrundlage darstellt. Dieses Verständnis prägt auch den Erwartungshorizont des durchschnittlichen Lesers einer geschalteten Bewertung, der diese – wie dargelegt – typischerweise im Vorfeld der Begründung eines Mandatsverhältnisses zur Informationsgewinnung in Anspruch nimmt.

Gegenteiliges folgt im Übrigen auch nicht aus den vereinbarten Nutzungsbedingungen zwischen der Onlineplattform google.com und dem Beklagten. Diese könnten aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse ohnehin nur als Auslegungshilfe herangezogen werden. Zwischen den Parteien steht insofern außer Streit, dass hierin keine spezifischen Regelungen zur Bewertung von Rechtsanwaltskanzleien enthalten sind, sodass das Verständnis des durchschnittlichen Lesers grundsätzlich von dessen allgemeinen Erwartungshorizont an die Grundlagen der Bewertung unter Berücksichtigung der genuinen Umstände einer Tätigkeit als Interessenvertreter geprägt wird.

Dem Landgericht ist angesichts dessen bei der Bestimmung des Verständnisses eines durchschnittlichen Lesers beizupflichten. Dabei übersieht der Beklagte, dass das Landgericht nicht auf das Verständnis eines (durchschnittlichen) Richters abstellt, sondern das Verständnis des durchschnittlichen Lesers aufgrund der Erfahrung und Expertise der zuständigen Kammer in Äußerungssachen per eigener Sachkunde zu Recht bestimmt (vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Staudinger/Hager (2017) C. Das Persönlichkeitsrecht, Rn. C 72 m.z.N.).

Obgleich die streitgegenständliche Bewertung neben Werturteilen auch eine Tatsachenbehauptung enthält, ist diese insgesamt als Werturteil (mit Tatsachenkern) einzuordnen. Liegen – wie vorliegend – sowohl wertende als auch tatsächliche Elemente vor, kommt es auf den Kern oder die Prägung der Aussage an, insbesondere ob die Äußerung insgesamt durch ein Werturteil geprägt ist und ihr Tatsachengehalt gegenüber der subjektiven Wertung erkennbar in den Hintergrund tritt oder aber ob der sich Äußernde überwiegend über tatsächliche Vorgänge berichtet und dabei nur nebenher wertet (BVerfG, Beschluss vom 21.12.2016 – Az. 1 BvR 1081/15 – juris Rn. 21; BGH, Urteil vom 24.01.2006 – Az. XI ZR 384/03). Im konkreten Fall prägen die Aussage die wertenden Elemente, da erkennbar die subjektive Einschätzung der Qualität der anwaltlichen Leistung im Vordergrund steht; dahinter tritt der tatsächliche Kern zurück.

Meinungsäußerungen genießen grundsätzlich einen weiten Schutz. Bei wertenden Äußerungen treten die Belange des Persönlichkeitsschutzes gegenüber der Meinungsfreiheit regelmäßig zurück, es sei denn, die in Frage stehende Äußerung stellt sich als Schmähkritik oder Formalbeleidigung dar oder enthält einen Angriff auf die Menschenwürde des Betroffenen. In anderen Fällen bedarf es einer abwägenden Prüfung im Einzelfall, ob die Vermutung für die Freiheit der Rede durch gegenläufige Belange des Persönlichkeitsschutzes überwunden wird (vgl. BVerfG NJW 2006, 3769, 3772). Die zu Gunsten des Beklagten streitende Meinungsäußerungsfreiheit findet jedoch dort ihre Grenze, wo es für eine bestimmte und einen anderen belastende Meinung schlechthin keine tatsächlichen Bezugspunkte gibt (vgl. hierzu etwa BVerfG NJW 2012, 1643; BGH MDR 2016, 518). Fehlen also tatsächliche Bezugspunkte, auf die sich eine Meinung stützt oder sind die tatsächlichen Bezugspunkte unwahr, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig gegenüber dem kollidierenden Schutzgut zurücktreten.

Bei den gerügten Äußerungen handelt es sich nicht um Schmähkritik. Dieser Begriff ist wegen des die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts von Verfassung wegen ohnehin eng zu verstehen. Die Äußerungen beziehen sich auf die Qualität der anwaltlichen Tätigkeit des Klägers. Die Äußerung weist damit einen deutlichen Sachbezug auf und wendet sich gerade nicht vorrangig im Wege der Diffamierung gegen die Person des Klägers.

Im Streitfall sind deshalb die Schutzinteressen des Klägers mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit abzuwägen. Dabei ist den Schutzinteressen des Klägers der Vorrang einzuräumen. In der konkreten Gestaltung ist der tatsächliche Bestandteil der Äußerung, auf dem die Bewertung aufbaut, unwahr, wenn der behauptete leistungs- bzw. mandatsbezogene geschäftliche Kontakt nicht bestanden hat. Ein berechtigtes Interesse des Bewertenden, einen tatsächlich nicht stattgefundenen geschäftlichen Kontakt zu bewerten, ist nicht ersichtlich.

Dies ist vorliegend der Fall. Es steht außer Streit, dass der Beklagte zu keinem Zeitpunkt einen mandatsbezogenen geschäftlichen Kontakt zum Kläger hatte. Der Eindruck, den der Beklagte vom Kläger im Rahmen der streitigen Auseinandersetzung gewonnen hat, genügt insofern nicht. Dies gilt auch für den Kontakt im Rahmen einer Anfrage des Beklagten wegen eines möglichen Datenschutzverstoßes aufgrund des Umgangs mit Daten aus einem Klageverfahren, in dem der Kläger den Gegner des Beklagten vertreten hat. Auch dies stellt keinen mandatsbezogenen geschäftlichen Kontakt dar, sondern steht vielmehr im Zusammenhang mit dem Klageverfahren zwischen dem Beklagten und einer vom Kläger vertretenen dritten Person und beruht damit letztlich auf Erfahrungen des Beklagten als Prozessgegner.

Vor diesem Hintergrund müssen die Interessen des Beklagten im Rahmen einer Gesamtabwägung hinter den Schutzinteressen des Klägers zurücktreten. Die beanstandete Bewertung ist rechtswidrig und daher zu löschen.