Rechtsreferendariat: Wahlstation im Ausland während Corona-Pandemie?

Das Oberverwaltungsgericht von Schleswig-Holstein hat mit Beschluss vom 22.12.2020 zum Aktenzeichen 2 MB 43/20 entschieden, dass die Regelungen der Landesverordnung über die Ausbildung der Juristinnen und Juristen (Juristenausbildungsverordnung – JAVO) vorrangig den Zweck verfolgen, inhaltliche Anforderungen an den Vorbereitungsdienst aufzustellen und den Organisationsablauf mit dem Ziel der Sicherstellung einer sachgerechten Ausbildung zu regeln.

Die Zuweisung in die Wahlstation im Ausland kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob für das Land, in welchem die Wahlstation abgeleistet werden soll, zum Zeitpunkt des Antritts der Station eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes (hier: wegen SARS-CoV-2) besteht. Eine solche Verknüpfung ist vom Zweck des § 32 Abs. 3 Satz 2 JAVO nicht gedeckt.

Die Zuweisung in die Wahlstation findet nach den Regelungen in § 30 Abs. 3 Satz 1, § 32 Abs. 3 Satz 2 JAVO statt. Nach § 32 Abs. 3 Satz 2 JAVO kann die Ausbildung in der Wahlstation mit dem Schwerpunktbereich Staat und Verwaltung neben den unter § 32 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 JAVO benannten Stellen auch bei einer einschlägigen überstaatlichen, zwischenstaatlichen oder ausländischen Stelle oder einer sonstigen Stelle, bei der eine sachgerechte Ausbildung gewährleistet ist, durchgeführt werden. Nach § 30 Abs. 3 Satz 1 JAVO überweist die Präsidentin oder der Präsident des Oberlandesgerichtes die Rechtsreferendarin oder den Rechtsreferendar in die einzelnen Stationen.

Bei Annahme einer gebundenen Entscheidung mangelt es bereits an einer gesetzlichen Ermächtigung für den Widerrufsvorbehalt. Insbesondere knüpft die Regelung in § 32 Abs. 3 Satz 2 JAVO lediglich an eine sachgerechte Ausbildung an, die unstreitig ist. Die Regelungen in §§ 30, 32 JAVO enthalten darüber hinaus, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, keine weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen, die hier nicht erfüllt wären, oder etwaige Ausschlussgründe, die bei Annahme einer gebundenen Entscheidung eine Versagung der Zuweisung oder einen Widerrufsvorbehalt rechtfertigen könnten.

Aber auch wenn mit der Antragsgegnerin von einer Zuweisung in ihrem Ermessen auszugehen wäre, wäre der Widerrufsvorbehalt rechtswidrig.

Soweit die Antragsgegnerin die Auffassung vertritt, dass sich aus § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JAG i. V. m. § 4 Abs. 2 Satz 2 Landesbeamtengesetz (LBG) ergibt, dass die Zuweisung des konkreten Tätigkeitsbereichs und damit vorliegend die Zuweisung in die einzelnen Stationen stets im Ermessen des Dienstherrn liege, kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr regeln die auf § 14 JAG beruhenden Vorschriften in §§ 30 ff. JAVO abschließend die Zuweisung in die einzelnen Stationen (Pflicht- und Wahlstationen) im juristischen Vorbereitungsdienst und stellen damit anderweitige Regelungen gemäß §§ 8, 9 JAG, § 4 Abs. 3 LBG i. V. m. § 4 Abs. 2 Satz 2 LBG dar, die einen Rückgriff auf die Regelungen im Beamtenrecht zu Abordnung, Versetzung und Umsetzung nicht gestatten. Zwar ist der Antragsgegnerin darin zuzustimmen, dass ihr bei der Zuweisung in die einzelnen Pflichtstationen gemäß § 32 Abs. 2 JAVO, insbesondere in die Stationen in Straf- und Zivilsachen gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 1 und 2 JAVO, ein Auswahlermessen eröffnet ist und sie hierbei insbesondere organisatorische Fragen, wie beispielsweise die zur Verfügung stehenden Ausbildungskapazitäten, berücksichtigen kann. Etwas anderes gilt jedoch für die Wahlstation. Nach § 32 Abs. 3 Satz 1 JAVO findet die Ausbildung während der Wahlstation nach Wahl der Rechtsreferendarin oder des Rechtsreferendars in einem der nachfolgend aufgezählten Schwerpunktbereiche statt. Soweit die Antragsgegnerin diese Regelung dahingehend versteht, dass damit diese Wahl nicht auch durchdringen müsse, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 32 Abs. 3 Satz 1 JAVO, dass eine Einschränkung der Wahlmöglichkeit der Referendarin oder des Referendars nicht besteht.

Wenn die Antragsgegnerin aus ihrem Verständnis des sich aus § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 JAG i. V. m. § 4 Abs. 2 Satz 2 LBG für sie ergebenden Ermessensspielraums im Ergebnis sodann herleitet, die systematische Beziehung des Vorbereitungsdienstes zum Dienstrecht führe dazu, dass mehr Raum für dienstliche, vor allem für organisatorische Erwägungen verbleibe, und ausführt, das Verwaltungsgericht habe gewichtige dienstliche und Ausbildungsbelange übersehen, so dringt sie hiermit ebenfalls nicht durch.

Die isolierte Anknüpfung des Widerrufsvorbehalts an eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes, die im Falle einer Reisewarnung zum Widerruf der Zuweisung führt, ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin jedoch nicht mehr vom Zweck der Regelungen in der Juristenausbildungsverordnung gedeckt, die in erster Linie inhaltliche Anforderungen an den Vorbereitungsdienst aufstellen und den Organisationsablauf mit dem Ziel der Sicherstellung einer sachgerechten Ausbildung regeln wollen (vgl. auch § 1 Abs. 1 Satz 2 JAVO). Denn diese Verknüpfung kehrt in unzulässiger Weise das geltende Regel-Ausnahme-Prinzip des § 32 Abs. 3 Satz 2 JAVO, wonach im Grundsatz nach Anzeige der Wahlstation eine (vorbehaltlose) Zuweisung zu erfolgen hat, um.

Das Vorbringen der Antragsgegnerin zu den Nachteilen, die durch eine mögliche Erkrankung der Referendarinnen/Referendare oder eine Quarantäneabsonderung für den weiteren Ablauf des Vorbereitungsdienstes entstehen könnten, überzeugt nicht.

Ohne Erfolg trägt die Antragsgegnerin hierzu vor, dass sich im Falle einer Erkrankung zusätzliche organisatorische Probleme ergeben würden, unter anderem, weil die Antragstellerin im Vorbereitungsdienst verbliebe und der Platz nicht nachbesetzt werden könnte. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Gefahr einer Erkrankung sowohl im In- als auch im Ausland gleichermaßen besteht. So weist die Freie und Hansestadt Hamburg, in der die Antragstellerin wohnhaft ist, einen 7-Tage-Inzidenzwert von derzeit 148 Fällen pro 100.000 Einwohner auf. Eine Einstufung als Risikogebiet kommt jedoch bereits ab einer Einstufung ab 50 Fällen pro 100.000 Einwohner in Betracht. Ausweislich der Ausführungen des Robert-Koch-Instituts auf seiner Homepage basiert die Einstufung als Risikogebiet auf einer zweistufigen Bewertung. Zunächst wird festgestellt, in welchen Staaten/Regionen es in den letzten sieben Tagen mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner gab. In einem zweiten Schritt wird nach qualitativen und weiteren Kriterien festgestellt, ob z.B. für Staaten/Regionen, die den genannten Grenzwert nominell über- oder unterschreiten, dennoch die Gefahr eines nicht erhöhten oder eines erhöhten Infektionsrisikos vorliegt. Bereits hieraus ergibt sich, dass das Ansteckungsrisiko für die in Hamburg wohnende Antragstellerin in Hamburg ebenso groß oder höher sein kann, als in einem Land, für welches eine Reisewarnung gilt.

Die Argumentation der Antragsgegnerin ist auch in sich nicht schlüssig. Denn eine Einschränkung für Gebiete innerhalb Deutschlands, die deutlich erhöhte Inzidenzwerte aufweisen, besteht im Gegensatz zu Auslandsstationen nicht. Für Personen, die in ihrem Bundesland verbleiben oder die sich in einem anderen Bundesland mit vergleichbaren oder höheren Inzidenzwerten aufhalten, besteht jedoch eine ebenso hohe oder sogar noch höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie sich mit dem Coronavirus infizieren, denn mittlerweile gelten alle Bundesländer, also auch Schleswig-Holstein, als Risikogebiete und Lübeck hat sogar die 200er-Marke überschritten. Das von den Auslandsrückkehrern ausgehende Infektionsrisiko stellt sich jedenfalls bei vergleichbaren Inzidenzwerten somit nicht anders dar, als wenn sie daheim geblieben wären. Aus den vorgenannten Gründen überzeugen auch die Ausführungen der Antragsgegnerin zur Gesunderhaltungspflicht der Antragstellerin nicht.

Das Vorbringen der Antragsgegnerin zu nachteiligen Auswirken von Quarantänemaßnahmen greift ebenfalls nicht durch. Zwar gilt hier gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 der Landesverordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Bekämpfung des Coronavirus des Landes Schleswig-Holstein (Corona-Quarantäneverordnung vom 6. November 2020), dass sich Personen, die auf dem Land-, See- oder Luftweg aus dem Ausland nach Schleswig-Holstein einreisen und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt in den letzten zehn Tagen vor Einreise in einem Risikogebiet im Sinne des Absatzes 4 aufgehalten haben, verpflichtet sind, sich für einen Zeitraum von zehn Tagen nach ihrer Einreise in Quarantäne zu begeben haben. Gemäß § 3 Abs. 1 der Corona-Quarantäneverordnung kann die Quarantäne jedoch ab dem fünften Tag nach der Einreise beendet werden, sofern ein negatives Testergebnis in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorgelegt wird. Insofern ist nicht ersichtlich, dass, selbst bei einer fünftägigen Absonderung, eine erhebliche Beeinträchtigung des Organisationsablaufs und der Ausbildungsziele zu befürchten steht. Im Übrigen ist auch an dieser Stelle die isolierte Betrachtung einer Reisewarnung nicht schlüssig. Denn ausweislich des Rundschreibens vom 12. Mai 2020 der Antragsgegnerin knüpft die (endgültige) Zuweisung in die Wahlstation im Ausland an den Antritt der Wahlstation an. Sofern jedoch eine Zuweisung, wenn auch – wie hier – unter Widerrufsvorbehalt, erfolgt und eine Reisewarnung aufgrund des derzeit dynamischen Pandemiegeschehens erst kurze Zeit vor der Rückreise der Referendarin/des Referendars ausgesprochen wird, so stellt sich hinsichtlich der möglicherweise erforderlichen Quarantänemaßnahmen bei einer Rückkehr die gleiche Problematik. Diese nimmt die Antragsgegnerin in diesen Fällen jedoch ausweislich ihrer grundsätzlichen Zuweisung in Nichtrisikogebiete (vgl. Informationsschreiben vom 12. Mai 2020, Seite 4, 1. Absatz) bewusst in Kauf, ohne dass diese Ungleichbehandlung sachlich nachvollziehbar wäre.

Wenn die Antragsgegnerin weiter darauf hinweist, dass die Antragstellerin möglicherweise bei Nichtbestehen der Aufsichtsarbeiten einen Ergänzungsvorbereitungsdienst gemäß § 32 Abs. 9 Satz 1 JAVO ableisten müsste und die Möglichkeit, eine Einreisequarantäne mit Erholungsurlaub abzudecken, nicht ohne weiteres bestehe, zumal im Ergänzungsvorbereitungsdienst eine grundsätzliche Urlaubssperre gelte, so geht dieses Vorbringen ins Leere. Zum einen ist auch nach der von der Antragsgegnerin zitierten Ziff. I Nr. 3 des 7. Teils der Richtlinien für die Ausbildung der Juristinnen und Juristen der Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 4. Juni 2018 die Gewährung von Erholungsurlaub in besonderen Ausnahmefällen möglich. Zum anderen ist bereits nicht vorgetragen, welche gravierenden nachteiligen Auswirkungen eine mögliche fünftägige Absonderung für die Ableistung des Ergänzungsvorbereitungsdienstes nach sich ziehen sollte. Hinzu kommt noch, dass aufgrund des von der Antragstellerin beabsichtigten Rückflugs bereits am 21. März 2021 ohnehin nicht zu erwarten ist, dass sie, selbst bei einer Quarantänemaßnahme, weiteren Erholungsurlaub benötigen könnte.

Soweit die Antragsgegnerin befürchtet, dass bei Nichtberücksichtigung der Reisewarnungen in der Wahlstation aus Gründen der Gleichbehandlung Ähnliches auch für die Referendarinnen/Referendare in der Verwaltungs- und Anwaltsstation (§ 32 Abs. 6 und 7 JAVO) zu gelten hätte und sich hierdurch die Fälle, in denen sich Probleme ergeben könnten, zunehmen würden, ist dies von ihr vor dem Hintergrund, dass sich die Anknüpfung der Zuweisung an eine Reisewarnung nicht im Rahmen der Zwecksetzung der Juristenausbildungsverordnung bewegt, hinzunehmen.