Sanktionen der ISU gegen Eisschnellläufer bei Teilnahme an nicht von ihr genehmigten Wettkämpfen

16. Dezember 2020 -

Das EuG hat am 16.12.2020 zum Aktenzeichen T-93/18 bestätigt, dass die Regeln der Internationalen Eislaufunion (ISU), nach denen Sportler für die Teilnahme an nicht von der ISU anerkannten Eisschnelllauf-Wettkämpfen mit harten Sanktionen belegt werden, gegen die Wettbewerbsregeln der EU verstoßen.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 159/2020 vom 16.12.2020 ergibt sich:

Die Schiedsgerichtsvorschriften der ISU seien demgegenüber von der Kommission zu Unrecht beanstandet worden, so das EuG.

Die International Skating Union (Internationale Eislaufunion) (ISU) ist der einzige vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannte internationale Dachverband für den Eiskunstlauf und den Eisschnelllauf. Mit der Veranstaltung verschiedener Eisschnelllauf-Wettkämpfe im Rahmen der bedeutendsten internationalen Wettkämpfe wie der Europa- und der Weltmeisterschaften und der Olympischen Winterspiele übt sie auch eine geschäftliche Tätigkeit aus.
2014 plante die koreanische Icederby International Co. Ltd eine Eisschnelllauf-Veranstaltung in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) mit einem neuartigen Wettkampfformat. Da die ISU die Veranstaltung nicht genehmigte, hatte die Ausrichtergesellschaft Schwierigkeiten, professionelle Eisschnellläufer zur Teilnahme zu bewegen, weshalb sie von ihrem Vorhaben Abstand nahm. Eisschnellläufer aus den nationalen ISU-Mitgliedsverbänden unterliegen nach der ISU-Satzung einer Vorabgenehmigungsregelung im Rahmen sogenannter Zulassungsbestimmungen. Nach diesen Bestimmungen in ihrer damals anwendbaren Fassung wurde die Teilnahme eines Eisläufers an einem nicht genehmigten Wettkampf mit dem Ausschluss von allen ISU-Wettkämpfen auf Lebenszeit geahndet.
Auf eine Beschwerde zweier professioneller niederländischer Eisläufer befand die Europäische Kommission mit Beschluss vom 08.12.2017 (C(2017) 8240 final – AT.40208 – Zulassungsbestimmungen der Internationalen Eislaufunion, im Folgenden: angefochtener Beschluss), dass die Zulassungsbestimmungen der ISU mit dem Wettbewerbsrecht der Union (Art. 101 AEUV) unvereinbar seien, da sie die Beschränkung der Möglichkeiten professioneller Eisschnellläufer, nach Belieben an von Dritten veranstalteten internationalen Wettkämpfen teilzunehmen, bezweckten und damit den Dritten die für die Veranstaltung solcher Wettkämpfe unabdingbaren Dienstleistungen der Sportler vorenthielten. Unter Androhung eines Zwangsgelds gab die Kommission der ISU dementsprechend auf, die damit festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen, verhängte jedoch keine Geldbuße gegen sie. Die ISU hat beim EuG Klage gegen den angefochtenen Beschluss erhoben.

Das EuG hat die Begründetheit der von der Kommission vorgenommenen Einstufung der streitigen Regelung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung bestätigt, aber den angefochtenen Beschluss – soweit er die Vorgaben gegenüber der ISU betrifft – für teilweise nichtig erklärt.

  1. Das EuG, das erstmals über einen Beschluss der Kommission, mit dem die Unvereinbarkeit einer Regelung eines Sportverbands mit dem Wettbewerbsrecht der Union festgestellt wird, zu entscheiden hatte, hat entschieden, dass die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Zulassungsbestimmungen eine Beschränkung des Wettbewerbs i.S.v. Art. 101 AEUV bezwecken.

Die Situation, in der sich die ISU befinde, könne zu einem Interessenkonflikt führen. Einerseits nämlich nehme die ISU eine Reglementierungsfunktion wahr, kraft derer sie die Macht habe, die Regeln in den in ihren Wirkungskreis fallenden Sportarten festzulegen und damit von Dritten veranstaltete Wettkämpfe zu genehmigen, während sie andererseits im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit selbst die bedeutendsten Eisschnelllauf-Wettkämpfe veranstalte, an denen professionelle Eisläufer teilnehmen müssten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Insoweit befinde das EuG, dass einem Sportverband in Ausübung seiner Reglementierungsfunktion nach Art. 101 AEUV dieselben Verpflichtungen obliegen, wie sie in der ständigen Rechtsprechung zur Anwendung der Art. 102 und 106 AEUV verankert seien (vgl. EuGH, Urt. v. 01.07.2008 – C-49/07 Rn. 51 und 52 „MOTOE“ und EuGH, Urt. v. 28.02.2013 – C-1/12 Rn. 88 und 92 „Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas“), so dass die ISU unter diesen Bedingungen bei der Prüfung von Genehmigungsanträgen darauf achten müsse, dass Drittveranstaltern von Eisschnelllauf-Wettkämpfen ein Zugang zum relevanten Markt nicht in einem Maß ungerechtfertigt vorenthalten werde, dass der Wettbewerb auf diesem Markt verfälscht werde.

Nach dieser Klarstellung hat das EuGH die inhaltliche Beurteilung der Zulassungsbestimmungen durch die Kommission geprüft. Es stellt eingangs fest, dass diese nicht die mit ihnen verfolgten legitimen Ziele erläutern und erst seit 2015 Genehmigungskriterien vorsehen, die im Übrigen nicht abschließend seien. Unter diesen Umständen könnten die seitdem angewandten Anforderungen nicht sämtlich als eindeutige, transparente, nichtdiskriminierende und überprüfbare Genehmigungskriterien angesehen werden, die als solche geeignet wären, den Wettkampfveranstaltern einen tatsächlichen Zugang zum relevanten Markt zu gewährleisten. Demzufolgesei festzustellen, dass der ISU auch nach Annahme der Genehmigungskriterien in 2015 ein weiter Entscheidungsspielraum verblieb, um die Genehmigung von geplanten Wettkämpfen Dritter abzulehnen.

Was im Übrigen die Sanktionsregelung betreffe, hebt das EuG hervor, dass die Härte der vorgesehenen Sanktionen ein Punkt von besonderer Relevanz sei, wenn es um die Ermittlung etwaiger Hindernisse für das einwandfreie Funktionieren des Wettbewerbs auf dem relevanten Markt gehe. Die Sanktionshärte könne nämlich die Sportler von der Teilnahme an von der ISU nicht genehmigten Wettkämpfen abhalten, und zwar auch dann, wenn es keinen legitimen Grund für die Ablehnung der Genehmigung gebe. Das EuG halte vorliegend die von den Zulassungsbestimmungen vorgesehenen Sanktionen auch nach der 2016 erfolgten Abschwächung der Regelung für unverhältnismäßig. Auch sei seitdem nämlich nicht nur die Definition der Verstoßkategorien unscharf, sondern die Sanktionsdauer namentlich bei der Teilnahme an nicht genehmigten Wettkämpfen von Drittveranstaltern in Anbetracht der durchschnittlichen Karrieredauer eines Eisläufers weiterhin hart.

Im Zusammenhang mit der Beurteilung der mit den Zulassungsbestimmungen verfolgten Ziele durch die Kommission sei daran zu erinnern, dass der Schutz der Integrität des Sports ein in Art. 165 AEUV anerkanntes legitimes Ziel sei. Deshalb sei es legitim gewesen, dass die ISU Regeln aufstellte, die sowohl möglichen Wettkampfmanipulationsrisiken infolge von Sportwetten vorbeugen als auch die Konformität der Sportwettkämpfe mit allgemeinen Standards sicherstellen sollen. Im vorliegenden Fall gehen die von der ISU angenommenen Regeln aber nichtsdestotrotz über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinaus und seien deshalb daran gemessen nicht verhältnismäßig. Folglich sei die Kommission zu Recht der Ansicht, dass die Beschränkungen, die sich aus der Vorabgenehmigungsregelung ergäben, durch die in Rede stehenden Ziele nicht gerechtfertigt werden könnten.

Demnach sei die Kommission also zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zulassungsbestimmungen insbesondere im Hinblick auf ihren Inhalt hinreichend beeinträchtigend seien, um als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung angesehen werden zu können.

  1. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Vorgaben, die der angefochtene Beschluss im Hinblick auf die Beendigung der festgestellten Zuwiderhandlung enthalte, gibt das EuG dem Nichtigkeitsantrag der Klägerin in dieser Hinsicht teilweise statt, nämlich soweit die Kommission unter Androhung eines Zwangsgelds eine substanzielle Änderung der Schiedsgerichtsvorschriften der ISU im Fall der Beibehaltung der Vorabgenehmigungsregelung verlangt habe.

Das EuG stellt fest, dass nach Ansicht der Kommission die von den Zulassungsbestimmungen ausgehenden Wettbewerbsbeschränkungen durch diese Schiedsgerichtsvorschriften verschärft werden, die dem Schiedsgericht für Sport in Lausanne (Schweiz) eine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über Klagen gegen Nichtzulassungsentscheidungen verleihen und diese Schiedsgerichtsbarkeit verbindlich vorschreiben. Soweit sich die Kommission insoweit an den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, 2) und genauer an dem darin enthaltenen Begriff der erschwerenden Umstände orientiert haben will, unterstreicht das EuG, dass allein rechtswidrige Verhaltensweisen oder Umstände, die die Zuwiderhandlung verschlimmern, eine Erhöhung der Geldbuße wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union rechtfertigen können. Im vorliegenden Fall seien solche rechtswidrigen Umstände aber nicht gegeben. Die Kommission durfte deshalb die Schiedsgerichtsvorschriften der ISU nicht als erschwerenden Umstand ansehen.