Schadensersatz & Schmerzensgeld für Sanitäter wegen Unfall

01. Dezember 2019 -

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat mit Urteil vom 01.08.2019 zum Aktenzeichen 7 U 14/18 entschieden, dass einem Rettungssanitäter Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen der Folgen des Anblickes eines Unfalls gegen ein Kfz-Haftpflichtversicherer zustehen kann

Der Kläger nimmt die Beklagte als Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer eines Pkws Ford auf materiellen und immateriellen Schadenersatz in Anspruch.

Dieses u. a. mit einer Gasanlage versehene Fahrzeug verunglückte am 15.08.2014 gegen 09.30 Uhr auf einer Kreisstraße im Bereich der Gemeinde R1; der Fahrer und Halter dieses Fahrzeuges, ein Herr B1, kam bei dem Unfall ums Leben. Das Fahrzeug geriet in Brand; zum Löschen und Bergen wurde die örtliche freiwillige Feuerwehr hinzugerufen.

Der Kläger ist hauptamtlicher Rettungsassistent beim Deutschen Roten Kreuz, seinerzeit in S1. Er und ein Kollege, der Zeuge Z1, wurden ebenfalls zur Unfallstelle gerufen. Bei Ankunft des Klägers stand das verunfallte Fahrzeug bereits in Vollbrand, der Fahrer war tot.

Im Zuge der Löscharbeiten explodierte der Gastank des verunfallten Fahrzeuges. Durch den Feuerball und herumfliegende Fahrzeugteile wurden mehrere Feuerwehrleute, die dem Kläger aus seiner eigenen jahrelangen Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr zum Teil persönlich bekannt waren, erheblich verletzt. Der Kläger selbst wurde durch die Druckwelle zwar zu Boden geworfen, erlitt aber keine äußeren Verletzungen. Vielmehr übernahm er bis zum Eintreffen weiterer Kräfte die Einsatzleitung vor Ort.

In der Folgezeit befand sich der Kläger in psychologischer Behandlung und war bis zum 8. Dezember 2014 arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Zweitinstanzlich ist nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens unstreitig geworden, dass der Kläger infolge der Explosion eine Traumafolgestörung erlitten hat, die in ihrer Qualität zwar einer posttraumatischen Belastungsstörung entspricht, aber nicht deren Vollbild erreicht hat und daher als Anpassungsstörung (ICD10-F43.2) zu klassifizieren ist.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei als Haftpflichtversicherer des Fahrzeuges zur Zahlung von materiellem und immateriellem Schadenersatz verpflichtet.

Die Haftung der Beklagten dafür ergibt sich dem Grunde nach aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 VVG.

Die Explosion des Tanks eines Fahrzeuges – egal, ob es sich um einen Gas- oder Benzintank handelt – nach einem Unfall ist dem Betrieb des Kraftfahrzeuges gemäß § 7 Abs. 1 StVG zuzuordnen; § 7 Abs. 1 StVG will alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadenabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH VI ZR 236/18, Urteil vom 26.03.2019 Rn. 8 m.w.N.).

An der „Prägung“ des Schadensgeschehens durch das bei der Beklagten versicherte Kraftfahrzeug kann danach ernsthaft kein Zweifel bestehen.

Gemäß § 11 Satz 1 StVG sind geschützte Rechtsgüter u. a. der Körper und die Gesundheit.

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung können (auch) durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen von Krankheitswert eine Verletzung des geschützten Rechtsguts Gesundheit darstellen; eine Anpassungsstörung als Reaktion auf eine schwere seelische Belastung, die eine medizinische Behandlungsbedürftigkeit zufolge hat, kann eine psychische Störung von Krankheitswert darstellen (BGH VI ZR 237/17, Urteil vom 17.04.2018, Rn. 10). So verhält es sich hier.

Der Kläger hat eine derartige Anpassungsstörung erlitten, die medizinisch behandelt werden musste, u. a. durch den Dipl.-Psych. W1.

Allerdings ist, was die Explosionsfolgen beim Kläger angeht, zu differenzieren. Zum einen geht es um die beim Kläger selbst unmittelbar durch die Explosion entstandenen (psychischen) Schäden, zum anderen um die nur mittelbaren durch das Miterleben der Folgen der Explosion bei den verletzten Polizisten bzw. den ihm bekannten oder gar befreundeten Feuerwehrleuten.

Hinsichtlich Letzteren hat das Landgericht zu Recht darauf abgestellt, dass es an einem haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang fehlt. Die Schadenersatzpflicht wird nämlich begrenzt durch den Schutzzweck der Norm, eine Schadenersatzpflicht besteht nur, wenn die Folgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Daran fehlt es an der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risiko des Geschädigten zuzurechnen ist (BGH VI ZR 237/17, Urteil vom 17. April 2018, Rn. 13 m.w.N., NJW 2018, 3250).

Zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten, die damit dem allgemeinen Lebensrisiko des Klägers unterfallen, gehört es, an Unfallstellen Schwerverletzte versorgen zu müssen. Dabei macht es aus Sicht des Senats keinen Unterschied, ob der Kläger sich bereits vor Ort befand (als die Polizisten und Feuerwehrleute durch die Explosion verletzt wurden) oder ob er erst nach der Explosion vor Ort eintraf. Der Sonderfall, dass durch einen Unfall schwerverletzte oder getötete Familienangehörige oder Ehepartner angetroffen werden, steht hier nicht in Rede; die Bekanntschaft bzw. Freundschaft des Klägers mit einigen der verletzten Feuerwehrleute mag zwar für ihn belastend gewesen sein, ist aber – da auch dies zum berufsspezifisch modifizierten allgemeinen Lebensrisiko eines Rettungsassistenten gehört – rechtlich unerheblich.

Hingegen gehört es ersichtlich nicht zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten, an einer Unfallstelle einer Explosion ausgesetzt zu sein. Dies und deren unmittelbare psychische Folgen beim Kläger vermögen sehr wohl Schadenersatzansprüche zu begründen.

Der Kläger hat sowohl erstinstanzlich als auch in seiner Anhörung vor dem Senat anschaulich und nachvollziehbar geschildert, wie er selbst durch die Explosion und den dabei entstandenen Feuerball zu Boden geschleudert wurde. Angesichts der Verhältnisse vor Ort sei ihm aber dann erst später klar geworden, dass er eine Explosion unverletzt überlebt habe; zu Hause sei ihm dann bewusst geworden, dass – wenn er dabei gestorben wäre – seine Familie (plötzlich) allein gewesen wäre.

Solch ein auch unmittelbar auf den Kläger einwirkendes Geschehen unterfällt nicht (mehr) dem durch die berufliche Tätigkeit modifizierten allgemeinen Lebensrisiko eines Rettungsassistenten.