Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen gegen Verlegung aus sozialtherapeutischer Anstalt wegen verzögerter gerichtlicher Bearbeitung eines Eilrechtsschutzantrags erfolgreich

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 24. März 2023 zum Aktenzeichen 2 BvR 116/23 entschieden, dass eine Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen gegen Verlegung aus sozialtherapeutischer Anstalt wegen verzögerter gerichtlicher Bearbeitung eines Eilrechtsschutzantrags erfolgreich ist.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verlegung aus der Sozialtherapeutischen Anstalt (im Folgenden: SothA) in den Regelvollzug der Justizvollzugsanstalt Tegel in Berlin.

Vom 14. Februar 2022 bis zum 28. Juni 2022 befand sich der zuvor in der Justizvollzugsanstalt Moabit im Regelvollzug inhaftierte Beschwerdeführer in der SothA der Justizvollzugsanstalt Tegel. Nach seiner Verlegung in den dortigen Regelvollzug wurde er am 28. Juli 2022 erneut in die SothA zurückverlegt.

Am 12. Oktober 2022 teilte die Leiterin der SothA dem Beschwerdeführer mündlich mit, dass seine (Rück-)Verlegung in den Regelvollzug der Justizvollzugsanstalt Tegel geplant sei.

Am 14. Oktober 2022 beantragte der Beschwerdeführer fachgerichtlichen Eilrechtsschutz und Prozesskostenhilfe. Er nehme regelmäßig am Therapieangebot in der SothA teil und führe Einzelgespräche. Entsprechend der Behandlungsvereinbarung sei „die Probezeit zur rechtswidrigen Herausnahme aus der SothA“ überschritten. Er widerspreche deshalb einer „einseitigen Vertragsauflösung“. Es liege weder ein positiver Drogen- oder Alkoholtest noch eine Gewalthandlung vor. Er sei betäubungsmittelabhängig und lebe „im Cleanbereich“ der SothA in einem „drogenfreien Rahmen“. Die mündliche Eröffnung der Herausnahme aus der SothA sei rechtswidrig.

Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2022, der beim Landgericht Berlin am selben Tag um 14:26 Uhr einging, nahm die Justizvollzugsanstalt Tegel dahingehend Stellung, dass der einstweilige Rechtsschutzantrag als unbegründet zurückzuweisen sei. Aktuell befinde sich der Beschwerdeführer noch in der SothA. Die Verlegung in den Regelvollzug sei aber im Vollzugs- und Eingliederungsplan vom 28. Oktober 2022 entschieden worden. Die Leiterin der SothA habe die Verlegung dem Beschwerdeführer am 25. Oktober 2022 umfassend begründet. Danach sei insbesondere nach einer mehr als sechsmonatigen Erfahrung mit ihm auf allen Ebenen der Sozialtherapie (Wohngruppe, Sozialarbeit, Psychotherapie) erkannt worden, dass es aus Gründen, die in seiner Person lägen, nicht möglich sein werde, in einen sinnvollen therapeutischen Prozess einzutreten.

Am 21. November 2022 notierte der zuständige Richter des Landgerichts in der fachgerichtlichen Akte des Eilverfahrens, dass er zwischen dem 1. und 17. November 2022 erkrankt gewesen sei. Seitdem sei er mit dem Abfassen von Urteilsgründen in einem anderen Verfahren befasst. Eine Bearbeitung der gegenständlichen Akte sei derzeit nicht möglich.

Mit Schreiben vom 25. November 2022 führte der Beschwerdeführer aus, dass er bereits am 14. Oktober 2022 einen einstweiligen Rechtsschutzantrag gestellt habe. Dennoch sei er am 25. November 2022 in den Regelvollzug verlegt worden. Das Landgericht müsse feststellen, dass die Verlegung „widerrechtlich vollzogen“ werde.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 15. Dezember 2022 wies das Landgericht darauf hin, dass mit der Verlegung aus der SothA in Bezug auf das einstweilige Rechtsschutzbegehren Erledigung eingetreten sei und angeregt werde, die Sache „kostenfrei wegzulegen“. Einer Stellungnahme werde binnen zehn Tagen entgegengesehen.

Mit angegriffenem Beschluss vom 12. Januar 2023 wies das Landgericht den einstweiligen Rechtsschutzantrag als unzulässig und den Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussichten ab. Der Beschwerdeführer sei bereits in den Regelvollzug verlegt worden. Sein Begehren im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, den Vollzug der angefochtenen Verlegungsmaßnahme auszusetzen, könne nicht mehr erreicht werden. Auch die von ihm begehrte „Feststellung der Rechtswidrigkeit der mündlichen Eröffnung der geplanten Herausnahme“ aus der SothA könne mangels Eilbedürftigkeit nicht im Eilrechtsschutzverfahren durchgesetzt werden.

Die erst am 12. Januar 2023 getroffene Entscheidung des Landgerichtsüber den Eilrechtsschutzantrag des Beschwerdeführers vom 14. Oktober 2022 wird einer effektiven und den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht mehr gerecht. Unter Berücksichtigung der Dringlichkeit wäre eine zügige Bearbeitung des Eilrechtsschutzantrags geboten gewesen. Dies gilt umso mehr, als die bereits bei Antragstellung am 14. Oktober 2022 angekündigte Verlegung erst sechs Wochen später, am 25. November 2022, vollzogen worden ist. Hinzu kommt, dass die Justizvollzugsanstalt dem Gericht mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2022 bereits mitgeteilt hatte, dass sich der Beschwerdeführer zwar aktuell noch in der SothA befinde, die Verlegung nunmehr aber im Eingliederungs- und Vollzugsplan vom 28. Oktober 2022 beschlossen worden sei. Die Erkrankung des zuständigen Richters vom 1. bis zum 17. November 2022 oder die Notwendigkeit, Urteilsgründe in einem anderen anhängigen Verfahren abfassen zu müssen, vermögen die vorliegende verzögerte Bearbeitung des Eilverfahrens nach den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht zu rechtfertigen. Zwar steht einem Gericht für die Bearbeitung anhängiger Verfahren grundsätzlich ein Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen es aufgrund eigener Gewichtung Prioritäten setzen kann. Eine solche Prioritätensetzung darf aber insbesondere in einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht dazu führen, dass Anträge wegen Zeitmangels nicht mehr zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führen beziehungsweise der Eintritt vollendeter Tatsachen durch das Gericht in Kauf genommen wird.

Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 2 StVollzG durch das Landgericht verfehlt zudem die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes bei belastenden Maßnahmen. Das Gericht kann nach § 114 Abs. 2 StVollzG den Vollzug einer angefochtenen Maßnahme aussetzen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird, und ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht. Begehrt ein Gefangener Eilrechtsschutz gegen eine (anstaltsinterne) Verlegung, so geht es um die vorläufige Aussetzung einer ihn belastenden Maßnahme gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Verlegung bereits vollzogen wurde und der Antragsteller im Eilverfahren zugleich die Rückgängigmachung des Vollzugs dieser Maßnahme begehrt.

Bei einem Eilrechtsschutzersuchen gegen eine anstaltsinterne Verlegung führt deren Vollzug deshalb als solcher grundsätzlich nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers. Die vorläufige Aussetzung des Vollzugs ist vielmehr, sofern die Voraussetzungen für eine stattgebende Eilentscheidung im Übrigen vorliegen, gerade der typische, vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungsgehalt des gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes gegen belastende Maßnahmen. Entsprechend kann in diesen Fällen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Gericht bei einer stattgebenden Entscheidung im Eilrechtsschutzverfahren die Hauptsache vorwegnehmen würde. Die Annahme des Landgerichts, dass mit dem Vollzug der Verlegung des Beschwerdeführers von der SothA in den Regelvollzug Erledigung eingetreten sei und der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sein Rechtsschutzziel im Eilrechtsschutzverfahren nicht mehr erreichen könne, ist daher mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar.