In einer richtungsweisenden Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit Beschluss vom 30. April 2025 (Az. 20 A 1506/24) den Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse eines aktiven Mitglieds der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) in weiten Teilen für rechtswidrig erklärt. Die Entscheidung hebt die Bedeutung des Einzelfallprinzips im Waffenrecht hervor und setzt zugleich ein klares Signal gegen eine pauschale rechtliche Benachteiligung politisch aktiver Personen allein aufgrund einer Parteizugehörigkeit.
Der Fall: Waffenbesitz und Parteizugehörigkeit
Der Kläger, ein Funktionsträger der AfD, war im Besitz mehrerer waffenrechtlicher Erlaubnisse, darunter zwei Waffenbesitzkarten (WBK) – eine als Sportschütze, eine als Sammler – sowie eines Kleinen Waffenscheins. Zwischen 2021 und 2022 beantragte er mehrfach die Eintragung neuer Schusswaffen.
Im Sommer 2023 lehnte die zuständige Kreisverwaltung nicht nur die beantragten Eintragungen ab, sondern widerrief auch alle bereits erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse. Begründet wurde dies mit Zweifeln an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers (§ 5 Waffengesetz), die sich aus dessen politischem Engagement für die AfD ergeben sollen. Diese war zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits als Verdachtsfall vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingestuft worden.
Die Argumentation der Behörde
Die Behörde stützte ihre Entscheidung insbesondere auf § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG, wonach Personen als unzuverlässig gelten, die Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung unterstützen. Die Parteizugehörigkeit zur AfD – insbesondere unter dem Aspekt ihrer Teilstruktur „Der Flügel“, die als gesichert rechtsextremistisch gilt – sei geeignet, Zweifel an der Verfassungstreue und damit an der Zuverlässigkeit des Klägers zu begründen.
OVG NRW: Keine automatische Unzuverlässigkeit durch Parteimitgliedschaft
Das Oberverwaltungsgericht trat dieser Argumentation deutlich entgegen. Zwar könne die Nähe zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen im Einzelfall Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Waffenbesitzers begründen, doch bedürfe es hierfür stets einer konkreten und individualisierten Prüfung.
„Die bloße Mitgliedschaft in einer politischen Partei – selbst wenn diese vom Verfassungsschutz beobachtet wird – genügt nicht, um waffenrechtliche Unzuverlässigkeit anzunehmen“, heißt es im Beschluss des 20. Senats. Die Verwaltung sei verpflichtet, konkrete Tatsachen darzulegen, aus denen sich eine aktive Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch den Betroffenen ergibt. Eine rein abstrakte Bezugnahme auf die Parteistruktur oder öffentlich bekannte Aussagen anderer Parteimitglieder reiche nicht aus.
Der Senat betont, dass die politische Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG und die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 GG zu beachten seien. Eine Sanktionierung über das Waffenrecht dürfe nicht zur mittelbaren Einschränkung grundgesetzlich geschützter Betätigungen führen.
Einzelfälle differenziert beurteilt
In seinem Beschluss hob das Gericht die Widerrufe der Waffenbesitzkarten und des Kleinen Waffenscheins sowie die Versagung mehrerer Eintragungen auf. Lediglich die Ablehnung eines Eintragungsantrags vom 15. Juli 2021 sowie die damit einhergehende Pflicht zur Unbrauchbarmachung einer Waffe wurden vom Gericht als rechtmäßig bestätigt – jedoch aus formalen Gründen, da in diesem Fall die erforderlichen Nachweise über die tatsächliche Nutzung der Waffe fehlten.
Bewertung und rechtspolitische Einordnung
Die Entscheidung des OVG NRW wird in Fachkreisen als bedeutsamer Grundsatzbeschluss gewertet. Sie mahnt Behörden zur Zurückhaltung bei der Bewertung politisch engagierter Bürger und fordert eine streng einzelfallbezogene Prüfung im Umgang mit verfassungsrechtlich sensiblen Schutzgütern wie der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit.
Zugleich schafft das Urteil Klarheit für die Verwaltungspraxis: Nicht jede Parteizugehörigkeit – selbst bei als „Verdachtsfall“ eingestuften Gruppierungen – erlaubt eine waffenrechtliche Sanktion. Eine individuelle, beweisgestützte Würdigung ist unabdingbar.
Folgen für die Verwaltungspraxis
Für waffenrechtliche Behörden bedeutet das Urteil eine erhöhte Darlegungslast. Pauschale Begründungen unter Berufung auf Verfassungsschutzberichte werden künftig nicht mehr ausreichen. Vielmehr müssen konkrete Handlungen oder Äußerungen des Betroffenen dokumentiert sein, aus denen sich eine reale Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ergibt.
Insbesondere im politischen Raum ist damit ein präziseres Gleichgewicht zwischen öffentlicher Sicherheit und individueller Freiheit gefordert. Die Entscheidung schützt damit nicht nur die Rechte des betroffenen Klägers, sondern stärkt die verfassungsrechtlichen Schutzmechanismen gegen pauschalisierende Eingriffe des Staates.
Fazit
Mit seinem Beschluss stellt das OVG NRW ein wichtiges Korrektiv gegenüber Tendenzen dar, politische Gesinnungen in behördlichen Entscheidungen übermäßig zu verallgemeinern. Die Entscheidung betont die Prinzipien des Rechtsstaats, die Notwendigkeit individueller Prüfung und den Schutz grundrechtlicher Freiheiten – auch und gerade im sensiblen Bereich des Waffenrechts