Zielvorgaben im Fokus: Dr. Usebach warnt Arbeitgeber vor teuren Versäumnissen

24. Mai 2025 -

„Wer Ziele zu spät oder gar nicht festlegt, riskiert Schadensersatzansprüche“

In einer richtungsweisenden Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Mittwoch klargestellt, dass Arbeitgeber schadensersatzpflichtig werden können, wenn sie Zielvorgaben für variable Vergütungen verspätet oder gar nicht festlegen. Mit seinem Urteil (10 AZR 57/24) hat der 10. Senat das Thema in den Mittelpunkt unternehmerischer Sorgfaltspflichten gerückt und setzt klare Grenzen für die Praxis von Zielvereinbarungen und einseitigen Zielvorgaben.


Hintergrund und steigende Bedeutung von Zielvereinbarungen

Zielvereinbarungen sind in deutschen Unternehmen längst keine Ausnahme mehr. Sie dienen als zentrales Instrument zur Leistungssteuerung, Motivation der Mitarbeitenden und zur Bindung von Fachkräften. Laut einer aktuellen Befragung von HR-Managern geben über 60 Prozent der großen Unternehmen an, variable Vergütungsbestandteile mit individuellen Zielen zu verknüpfen. Doch immer wieder tauchen in Arbeits- und Betriebsvereinbarungen schwer verständliche Formulierungen und unklare Fristen auf, die in der Praxis zu Unsicherheit führen – und nun zulasten der Arbeitgeber gehen können.


Urteil vom 3. Juli 2024 (10 AZR 171/23): Verhandlungspflicht und Einbeziehung des Mitarbeiters

Bereits im Juli 2024 hatte das BAG in der Sache 10 AZR 171/23 entschieden, dass Arbeitgeber bei vertraglich vereinbarten Zielvereinbarungen nicht ohne jede Mitwirkung des Arbeitnehmers einseitig Ziele festlegen dürfen. Der Fall betraf einen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsvertrag eine gemeinsame Verständigung über Zielvorgaben vorsah, zugleich aber eine Rückfallklausel enthielt, wonach der Arbeitgeber notfalls alleinige Zielvorgaben bestimmen durfte. Das BAG urteilte:

„Kommt eine Einigung nicht zustande, darf der Arbeitgeber nicht einseitig und ohne Verhandlung Ziele festlegen. Verstößt er hiergegen schuldhaft, begründet dies einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz statt der Leistung.“

Damit unterstreicht das Gericht die zwingende Verhandlungs- und Beteiligungspflicht des Arbeitgebers, um die Anreiz- und Motivationsfunktion von Zielvereinbarungen nicht zu unterlaufen.


Neues BAG-Urteil vom 19. Februar 2025 (10 AZR 57/24)

Im aktuellen Verfahren (10 AZR 57/24) ging es um die Frage, wie mit verspäteten Zielvorgaben zu verfahren ist. Der Kläger war in seinem Arbeitsvertrag an eine Betriebsvereinbarung gebunden, nach der Unternehmens- und individuelle Ziele jährlich spätestens zum 1. März festzulegen waren.

  • Unternehmensziele erhielt der Arbeitnehmer jedoch erst Mitte Oktober – also sieben Monate zu spät.
  • Individuelle Zielvorgaben blieben vollständig aus.

Das BAG folgte der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Köln und bejahte einen Schadensersatzanspruch des Klägers. Die Richter argumentierten, eine verspätete Zielvorgabe könne ihre Funktion als Motivator nicht mehr erfüllen und sei daher einer völlig unterlassenen Zielsetzung gleichzustellen.

Leitsatz des 10. Senats

„Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorzugeben, an deren Erreichen die Zahlung einer variablen Vergütung geknüpft ist, löst dies einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus, wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann.“

Eine Mithaftung des Arbeitnehmers schied aus: Die Initiativlast liege allein beim Arbeitgeber, eine aktive Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers bestehe nicht.


Praktische Bedeutung und Handlungsempfehlungen

Die Urteile dürften weitreichende Konsequenzen für Unternehmen haben, die variable Vergütungssysteme einsetzen. Arbeitgeber sollten insbesondere folgende Punkte beherzigen:

  • Vertrags- und Betriebsvereinbarungen prüfen
    • Klare Fristen für Zielvereinbarungen (z. B. „spätestens 01.03.“) verankern.
    • Rückfallregelungen ausschließlich für Ausnahmesituationen formulieren.
  • Zeitgerechte Kommunikation sicherstellen
    • Ziele müssen allen Beschäftigten schriftlich und verständlich bis zur vertraglich vereinbarten Frist vorliegen.
    • Verantwortlichkeiten für Erstellung und Übermittlung verbindlich festlegen.
  • Schulung von Führungskräften
    • Teamleads und Personalverantwortliche intensiv in Zielformulierung und -kommunikation schulen.
    • Schwerpunkt auf realistische, faire und motivierende Ziele legen.
  • Dokumentation und Monitoring
    • Nachweisführung über Zielsetzungen, -kommunikation und Mitarbeitergespräche etablieren.
    • Regelmäßige Feedback- und Review-Termine planen, um auf Veränderungen reagieren zu können.
  • Risikomanagement
    • Regelmäßige Audits der Vergütungssysteme durchführen, um Versäumnisse frühzeitig zu erkennen.
    • Juristische Beratung bei der Erstellung oder Änderung von Zielvereinbarungen hinzuziehen.

Fazit: Arbeitgeber, die variable Vergütungsbestandteile mit Zielvorgaben verknüpfen, müssen ihre Prozesse dringend überprüfen und optimieren. Eine rechtzeitige, transparente und dokumentierte Zielkommunikation schützt nicht nur vor hohen Schadensersatzansprüchen, sondern fördert auch die Motivation und Leistung der Mitarbeitenden.