AGG-Entschädigung werden bei Prozesskostenhilfe berücksichtigt

15. Juli 2025 -

Ein aktueller Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (9 SLa 359/24 vom 04.07.2024) befasst sich mit der Frage, inwieweit Einnahmen aus Entschädigungszahlungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) zu berücksichtigen sind. Hintergrund war ein Hartz-IV-Bezieher, der mehrfach wegen Altersdiskriminierung Entschädigungen nach §15 Abs. 2 S.1 AGG erstritten hatte und für sein Berufungsverfahren erneut PKH beantragte. Das Arbeitsgericht forderte ihn auf, die Höhe aller in den letzten 12 Monaten zufließenden AGG-Entschädigungen offenzulegen. Da der Kläger diese Auskünfte verweigerte (er war der Auffassung, diese Zahlungen seien bei der PKH nicht einzusetzen), lehnte das LAG die PKH endgültig ab.

Das Gericht betonte in seinen Leitsätzen, dass Entschädigungszahlungen nach dem AGG sehr wohl als Einkommen oder Vermögen im PKH-Verfahren herangezogen werden können. Anders als ein reines Schmerzensgeld dienen AGG-Entschädigungen nicht der Linderung persönlicher Nachteile, sondern haben (auch) Präventionsfunktion: Sie sollen Arbeitgeber motivieren, künftige Diskriminierungen zu unterlassen. Daher sprächen „nichts dafür, dass [diese Zahlungen] per se ein geschütztes Vermögen des Diskriminierten wären“. Für das LAG war dies Teil der gängigen Rechtsprechung (vgl. etwa frühere LAG-Entscheidungen aus Baden-Württemberg, Berlin-Brandenburg, Rheinland-Pfalz und die BGH-Rechtsprechung).

Zudem stellte das Gericht fest, dass bei systematischer Inanspruchnahme von AGG-Entschädigungen diese Einkünfte praktisch als regelmäßiges Einkommen gelten können. Wenn jemand wie hier unzählige Bewerbungen verschickt, ständig nach Ablehnungen Entschädigungen beansprucht und sogar seinen Lebensunterhalt aus diesen Zahlungen bestreitet, kann ein Teil dieser Entschädigungszuflüsse als einzusetzendes Einkommen behandelt werden. Das LAG merkt dazu an, dass es kaum vermittelbar sei, „dass eine Partei zwar Bürgergeld bezieht, daneben aber in erheblichem Umfang Einkünfte aus Entschädigungsprozessen erzielt, gleichwohl aber der Staat im Wege der PKH die weiteren Prozesse finanzieren soll“.

Für die PKH-Bewilligung ist entscheidend, dass der Antragsteller seine wirtschaftlichen Verhältnisse offenlegt (§§ 115, 117 ZPO). Das Gericht kann zusätzliche Auskünfte verlangen (§ 118 ZPO). Im geschilderten Fall forderte das LAG den Kläger auf, sämtliche unregelmäßigen Zuflüsse – namentlich Entschädigungsleistungen nach AGG – aus den vergangenen zwölf Monaten anzugeben. Diese Frist von 12 Monaten hielt das Gericht für angemessen, weil die Zahlungen nicht laufend, sondern unregelmäßig erfolgen. Die Auskünfte dienten dazu, ein vollständiges Bild von der Bedürftigkeit zu gewinnen: Von einem PKH-Antragsteller könne erwartet werden, dass er Kontoauszüge oder Aufstellungen zu den relevanten Zahlungseingängen vorlegt. Solche Auflagen seien verhältnismäßig und weder übermäßig aufwendig noch eine Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens.

Da der Kläger seine Mitwirkungspflichten nicht erfüllte – er gab trotz Frist keine Angaben zu den AGG-Zuflüssen –, sah das LAG keine Grundlage mehr, PKH zu gewähren. Nach § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO kann das Gericht PKH versagen, wenn erforderliche Angaben nicht fristgemäß oder unvollständig gemacht werden. Das Gericht ging deshalb davon aus, dass der Kläger über genügend eigene Mittel verfügt, um die Prozesskosten zumindest teilweise selbst zu tragen. Das Leistungsverweigerungsverhalten des Klägers führte somit zur Ablehnung seines PKH-Antrags.

Bedeutung für Arbeitnehmer

  • Entschädigungszahlungen offenlegen. Wer als Arbeitnehmer erfolgreich Entschädigung nach §15 AGG erkämpft hat, muss damit rechnen, dass diese Einnahmen bei einem späteren PKH-Antrag geprüft werden. Werden diese Zahlungen nicht korrekt angegeben, kann das Gericht PKH versagen. Offenheit ist also Pflicht: Gerade unregelmäßige Einkünfte aus früheren Klagen sollten dokumentiert werden.
  • Bedürftigkeitsprüfung beachten. PKH wird nur gewährt, wenn kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen vorhanden ist. Das bedeutet: Wiederkehrende Entschädigungen können das Vorliegen von Bedürftigkeit in Frage stellen. Arbeitnehmer sollten sich dessen bewusst sein, wenn sie nach ersten Erfolgen weitere Verfahren planen und darauf hoffen, dass die Gerichtskosten vom Staat getragen werden.
  • AGG-Entschädigung ist kein Schonvermögen. Anders als etwa einmalige Schmerzensgeldzahlungen gilt eine AGG-Entschädigung laut aktueller Rechtsprechung nicht als grundlos geschütztes Vermögen. Sie können ganz oder teilweise für die Prozesskosten eingesetzt werden. Dies kann bedeuten, dass ein erstinstanzlicher Erfolg (Auszahlung) einem späteren Verfahren nicht automatisch die staatliche Finanzierung sichert.
  • Gesetzeslage weiter beobachten. Der BGH hat bislang nicht abschließend entschieden, ob und in welchem Umfang AGG-Entschädigungen im PKH-Verfahren einzusetzen sind. Das LAG Düsseldorf hat Revision zugelassen. Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung sollten Arbeitnehmer auf der sicheren Seite bleiben und alle Einkünfte offenlegen.

Bedeutung für Arbeitgeber

  • Wiederholte Klagen im Blick behalten. Arbeitgeber können daraus schließen, dass ein Arbeitnehmer, der bereits mehrfach AGG-Entschädigungen erstritten hat, bei weiteren Prozessen weniger auf staatliche Kostenhilfe zählen kann. Das kann das Risiko für den Arbeitgeber reduzieren, nach jeder verlorenen Klage unlimitiert mit weiteren vom Staat finanzierten Verfahren konfrontiert zu werden.
  • Verhaltensprävention vs. Härteregelung. Der Entschädigungsanspruch nach dem AGG verfolgt auch präventive Ziele – daher sichert sich das Gericht, dass er nicht nachträglich unbegrenzt gewährt wird, ohne auf das finanzielle Umfeld des Klägers zu achten. Arbeitgeber sollten aber wissen, dass dieses Urteil nur die Frage der PKH-Finanzierung betrifft. Der Anspruch auf Entschädigung selbst bleibt davon unberührt.
  • Nachweis verlangt. Falls ein Arbeitgeber in einem AGG-Verfahren entschädigen muss, ist künftig damit zu rechnen, dass ein möglicher Folgeprozess den Nachweis der Wirtschaftslage des Arbeitnehmers verlangt. Eine ausgezahlte Entschädigung kann womöglich zur Kostenermäßigung in einem weiteren Verfahren führen.
  • Verhältnis zu anderen Leistungen. Das LAG-Urteil erinnert auch daran, dass ein Arbeitnehmer, der neben Sozialleistungen (z.B. Bürgergeld) Einkünfte aus Entschädigungen erzielt, diese Einkünfte bei der Beurteilung seiner Prozesskostensituation berücksichtigen lassen muss. Arbeitgeber können sich darauf berufen, dass nicht jeder zusätzliche Euro als zum Lebensunterhalt zwingend erforderlich angesehen wird.

Das LAG Düsseldorf hat klargestellt, dass AGG-Entschädigungen bei der Bewilligung von PKH eine Rolle spielen können. Für Arbeitnehmer bedeutet das: Wer mit Diskriminierungsklagen Erfolg hat, muss seine daraus resultierenden Einkünfte später in einem PKH-Antrag offenlegen. Für Arbeitgeber bedeutet es: Wiederholte AGG-Forderungen des Arbeitnehmers werden nun strenger daraufhin geprüft, ob dieser die Kosten ggf. auch aus zuvor erhaltenen Entschädigungszahlungen tragen kann.