Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie: Pausen mit Präsenzpflicht als Arbeitszeit?

09. September 2021 -

Der Europäische Gerichtshof hat am 09.09.2021 zum Aktenzeichen C-107/19 entscheiden, ob Pausenzeit, in der ein Arbeitnehmer binnen zwei Minuten einsatzbereit sein muss, als Arbeitszeit anzusehen ist.

Pressemitteilung des EuGH vom 09.09.2021 ergibt sich:

Ein ehemaliger Betriebsfeuerwehrmann der Prager Verkehrsbetriebe verlangt vor den tschechischen Gerichten, dass die beiden 30-minütigen Pausen, die ihm während seines Schichtdienstes zustanden, während deren er aber erreichbar und binnen zwei Minuten einsatzbereit sein musste, als Arbeitszeit angesehen und vergütet werden, und zwar auch dann, wenn es zu keinem Einsatz kam.

Das Stadtbezirksgericht Prag hat den Gerichtshof hierzu um Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88 ersucht.

Mit seinem Urteil vom 09.09.2021 antwortet der EuGH dem Stadtbezirksgericht Prag wie folgt:

  1. Art. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause, in der er, wenn nötig, binnen zwei Minuten einsatzbereit sein muss, als „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung einzustufen ist, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen.
  2. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht, nachdem seine Entscheidung durch ein übergeordnetes Gericht aufgehoben wurde, nach dem nationalen Verfahrensrecht bei seiner Entscheidung an die Rechtsauffassung dieses übergeordneten Gerichts gebunden ist, wenn diese mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist.

Für seine Antwort 1 stützt sich der Gerichtshof im Wesentlichen auf das Urteil vom 9. März 2021 (C-344/19 „Radiotelevizija Slovenija“: Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort). Der Gerichtshof erinnert daran, dass sich die Frage, wie Bereitschaftsdienst, wenn er als Arbeitszeit anzusehen ist, zu vergüten ist, allein nach nationalem Recht richtet. Die Richtlinie ist lediglich dafür maßgeblich, ob die fraglichen Zeiten überhaupt als Arbeitszeit anzusehen sind, oder ob es sich um Ruhezeit handelt.

Außerdem gibt er folgenden Hinweis: Da die Ruhezeiten, die dem Betroffenen im vorliegenden Fall gewährt wurden, von kurzer Dauer waren, nämlich jeweils 30 Minuten, wird das Stadtbezirksgericht Prag bei seiner Prüfung, ob die dem Betroffenen im Rahmen dieser Zeiträume auferlegten Einschränkungen von solcher Art waren, dass sie seine Möglichkeiten, sich zu entspannen und sich Tätigkeiten seiner Wahl zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beschränkten, gleichwohl nicht die Beschränkungen dieser Möglichkeiten zu berücksichtigen haben, die auf jeden Fall bestanden hätten, da sie sich zwangsläufig aus der 30-minütigen Dauer jeder Ruhepause ableiteten, weil diese Beschränkungen unabhängig von jenen sind, die mit seiner Verpflichtung einhergehen, binnen zwei Minuten einsatzbereit zu sein.