EuGH-Generalanwalt: Urlaubsabgeltung für nicht genommenen Urlaub auch bei einseitiger Kündigung

15. April 2021 -

Generalanwalt Hogan ist im Verfahren C-233/20 vor dem Europäischen Gerichtshof der Auffassung, dass das Unionsrecht einer nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der keine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr geschuldet wird, wenn der Arbeitnehmer vorzeitig ohne wichtigen Grund einseitig das Arbeitsverhältnis beendet.

Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 15.04.2021 ergibt sich:

Ein früherer Arbeitnehmer der Firma job-medium verlangt von dieser eine Ersatzleistung für den Jahresurlaub, den er nicht vor der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses verbraucht hatte (3,33 Tage). Die Firma Job-medium lehnt dies unter Berufung auf § 10 Abs. 2 des österreichischen Urlaubsgesetzes ab. Danach wird eine Urlaubsersatzleistung für das laufende (letzte) Arbeitsjahr nicht geschuldet, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig das Dienstverhältnis beendet („Austritt“).

Der österreichische Oberste Gerichtshof möchte vom EuGH wissen, ob dieser Ausschluss mit dem in der EU-Grundrechte-Charta verankerten und in der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88 konkretisierten Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub vereinbar ist.

In seinen Schlussanträgen vom 15.04.2021 schlägt Generalanwalt Hogan dem EuGH vor, dem Obersten Gerichtshof wie folgt zu antworten:

Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift entgegenstehen, nach der keine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr geschuldet wird, wenn der Arbeitnehmer vorzeitig ohne wichtigen Grund einseitig das Arbeitsverhältnis beendet.

Das Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub umfasse auch den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub. Die Richtlinie stelle für das Entstehen des Anspruchs auf finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung als diejenige auf, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet sei und dass zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen habe, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch gehabt habe (Art. 7 Abs. 2). Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spiele für den in der Richtlinie vorgesehenen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung keine Rolle.

Im vorliegenden Fall sei es offenkundig, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Jahresurlaub erworben habe. Der einzige Grund, warum die Urlaubsersatzleistung nicht geschuldet werde, liege darin, dass das Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer vorzeitig und ohne wichtigen Grund beendet worden sei. Es liege auf der Hand, dass die Vorenthaltung der finanziellen Vergütung Strafcharakter habe.

Dies würde dafür sprechen, dass ein solcher Mechanismus dem Wortlaut und dem Zweck (Erholung von der Arbeit sowie Zeit für Entspannung und Freizeit) von Art. 7 der Richtlinie 2003/88 zuwiderlaufe. Dies gelte umso mehr, als dem Arbeitgeber, wie vom betroffenen Arbeitnehmer und der österreichischen Regierung ausgeführt worden sei, andere Mittel vertraglicher oder rechtlicher Art zu Gebote stünden, sich Schäden ersetzen zu lassen, die ihm durch den vorzeitigen und grundlosen Austritt seines Arbeitnehmers entstünden. Angesichts dieser Garantien sei es umso weniger wahrscheinlich, dass der Arbeitnehmer allein oder hauptsächlich zu dem Zweck, seine Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erhöhen, aus freien Stücken in dem betreffenden Bezugszeitraum keinen bezahlten Jahresurlaub nehmen werde.