EuGH-Generanwalt: Keine verschuldensunabhängige Produkthaftung einer Tageszeitung für unrichtigen Gesundheitstipp

Generalanwalt Hogan hat im Verfahren C-65/20 vor dem Europäischen Gerichtshof seine Schlussanträge zu der Frage vorgelegt, ob eine Tageszeitung, die in einer täglichen Kolumne eine unzutreffende Gesundheitsempfehlung eines unabhängigen Zeitungskolumnisten veröffentlicht, auf der Grundlage dessen verklagt werden kann, dass sie ein fehlerhaftes Produkt im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie vertrieben habe, wenn eine Leserin der Zeitung später geltend macht, sie habe dadurch, dass sie der Empfehlung gefolgt sei, eine Schaden an ihrer Gesundheit erlitten.

Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 15.04.2021 ergibt sich:

Eine Leserin der Kronenzeitung verlangt von dieser Schadensersatz, nachdem sie einer darin veröffentlichten Empfehlung des „Kräuterpfarrers Benedikt“ gefolgt war, Rheumaschmerzen durch eine Auflage aus geriebenem Kren (Meerrettich) zu lindern. Statt zwei bis fünf Stunden, wie es in dem Beitrag hieß, hätte es zwei bis fünf Minuten heißen müssen. Die Betroffene, die die Empfehlung wortwörtlich befolgte, erlitt durch die im Kren enthaltenen scharfen Senföle eine toxische Kontaktreaktion.

Der österreichische Oberste Gerichtshof ersucht den EuGH um Klärung, ob in einem solchen Fall eine verschuldensunabhängige Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie 85/374 in Betracht kommt.

In seinen Schlussanträgen vom 15.04.2021 schlägt Generalanwalt Hogan dem EuGH vor, dem Obersten Gerichtshof wie folgt zu antworten:

Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 und Art. 6 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte kann nicht dahin ausgelegt werden, dass auch ein körperliches Exemplar einer Tageszeitung, die einen fachlich unrichtigen Gesundheitstipp enthält, dessen Befolgung einen Schaden an der Gesundheit verursacht, als „fehlerhaftes Produkt“ im Sinne dieser Richtlinie anzusehen ist.

Nach Ansicht des Generalanwalts drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass ein Schadensfall wie der vorliegende nicht in den Anwendungsbereich der Produkthaftungsrichtlinie falle. Es handele sich im Wesentlichen um eine Klage, die mit der Erbringung einer Dienstleistung – einer Verbraucherempfehlung in einer Zeitungskolumne – in Zusammenhang stehe, die nicht die Zeitung als körperliches Produkt betreffe. Daher könne für von der Betroffenen erlittene Körperverletzungen nicht gesagt werden, dass sie von einem Fehler eines Produkts in dem Sinne herrührten, wie diese Begriffe in der Produkthaftungsrichtlinie verstanden würden.

Es ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut, dem Zusammenhang und den Zielen der Produkthaftungsrichtlinie, dass die Bezugnahme auf ein „Produkt“ in dieser Richtlinie nur für körperliche Gegenstände gelte. Dies sei im Wesentlichen der Grund dafür, dass der vorliegenden Klage – jedenfalls soweit die Produkthaftungsrichtlinie in Rede stehe – kein Erfolg beschieden sein könne, weil sie nämlich keinen Schaden betreffe, der sich aus einem dem Produkt innewohnenden körperlichen Fehler ergebe.