Haftung eines Arbeitgebers für einen Steuerschaden bei unberechtigter Kündigung

18. April 2021 -

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 17.11.2020 zum Aktenzeichen 3 Sa 285/19 entschieden, dass der Steuerschaden nach dem Schutzzweck der Norm erstattungsfähig ist, wenn die Pflichtverletzung nicht allein in der Nichterfüllung des Beschäftigungsanspruchs liegt, sondern zusätzlich in der Verletzung von Rücksichtnahmepflichten, die sich aus der vertraglichen Regelung zur Steuertragungslast des Arbeitgebers im Ausland und dem erkennbar damit verfolgten Interesse ergeben, dem Arbeitnehmer bei vertragskonformer Abwicklung des Arbeitsverhältnisses über das Doppelbesteuerungsabkommen rechtmäßig eine Steuerbefreiung seiner Einkünfte in Deutschland zu ermöglichen.

Denn diese im erkennbaren Interesse des Arbeitnehmers liegende Möglichkeit zur Steuerbefreiung seiner Einkünfte in Deutschland wird durch die vertragswidrige Nichtbeschäftigung im Ausland vereitelt, wenn dadurch die 183-Tage-Grenze des Doppelbesteuerungsabkommens unterschritten wird.

Die Beklagte schuldet dem Kläger aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 276, 249 Abs. 1, 251 Abs. 1 BGB den Ersatz des ihm aufgrund der pflichtwidrig nicht mehr in Turkmenistan erfolgten Beschäftigung entstandenen Steuerschadens Zinsen.

Durch den Ausspruch der unwirksamen fristlosen Kündigungen und die damit nicht mehr vertragsgemäß in Turkmenistan erfolgte Beschäftigung des Klägers hat die Beklagte eine Pflichtverletzung im Sinne von §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB begangen.

Es ist anerkannt, dass der Ausspruch einer unwirksamen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eine Vertragspflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB begründen kann. Dabei geht es hier nicht generell um die Verletzung der allgemeinen Beschäftigungspflicht bzw. um die Nichterfüllung des Beschäftigungsanspruchs als solchem. Vielmehr liegt die Pflichtverletzung hier konkret darin, dass im Zusammenhang mit dem unberechtigten Ausspruch der fristlosen Kündigungen und der damit einhergehenden Nichtbeschäftigung des Klägers in Turkmenistan durch die Beklagte die aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die vertraglichen Rechte und Interessen des Klägers aus dem Auslandsarbeitsvertrag vom 10./11.05.2010 verletzt worden ist.

Nach § 241 Abs. 2 BGB hat sich jeder Teil im Rahmen des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass der andere Teil vor (Begleit-)Schäden an anderen Rechten, Rechtsgütern und – rechtlich geschützten – Interessen, einschließlich des Vermögens als solchem, nach Möglichkeit bewahrt wird. Dies kann grundsätzlich zu der Verpflichtung des Arbeitgebers führen, bei der Wahrung oder Entstehung von Ansprüchen seiner Arbeitnehmer mitzuwirken, die diese gegenüber Dritten erwerben können. Aus § 241 Abs. 2 BGB erwächst unter anderem die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die dem anderen Vertragspartner aufgrund des Schuldverhältnisses gewährten Vorteile nicht wieder entzogen, wesentlich geschmälert oder gefährdet werden. Die Verletzung dieser Pflicht kann Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB auslösen

Die festgestellte Pflichtverletzung hat die Beklagte zu vertreten. Das Vertretenmüssen, also ein zumindest fahrlässiges Verhalten im Sinne von § 276 Abs. 1, 2 BGB wird gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet die Beklagte hat nichts zu ihrer Entlastung vorgetragen. Sie hat insbesondere keinerlei Begründung dafür vorgetragen, warum sie die beiden Kündigungen ausgesprochen und die weitere Beschäftigung des Klägers in Turkmenistan vereitelt hat.

Damit ist von einem zumindest die erforderliche Sorgfalt im Verkehr außer Acht lassenden Verhalten und mithin zumindest von Fahrlässigkeit der Beklagten bezogen auf die hier festgestellte Pflichtverletzung auszugehen.

Aus der von ihr zu vertretenden Pflichtverletzung schuldet die Beklagte dem Kläger den Ersatz des ihm entstandenen Steuerschadens.

Wäre das Arbeitsverhältnis ohne die Pflichtverletzung der Beklagten und mithin ohne die von ihr zu vertretende Leistungsstörung abgewickelt worden, hätte der Kläger die Vergütung für die dann auch über März hinaus weiter in Turkmenistan vertragsgemäß geleistete Arbeit erhalten und hätte sich mehr als 183 Tage dort aufgehalten, womit die Steuerhoheit für die Vergütung bei Turkmenistan gelegen hätte und die abzuführende Steuer von der Beklagten zu tragen gewesen wäre.

Der in der den Kläger nun in Deutschland treffenden Steuerlast liegende Schaden ist adäquatkausal auf die Pflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen.

Soweit die Beklagte sich auf rechtmäßiges Alternativverhalten beruft, geht dies fehl. Denn eine Versetzung nach Deutschland wäre ihr vertraglich nicht möglich gewesen.

Der Steuerschaden ist auch nach dem Schutzzeck der Norm erstattungsfähig. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Erstattung eines Verdienstausfallschadens bei der Verletzung des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs eines Arbeitnehmers ausgeschlossen, da der Schutzzweck des Beschäftigungsanspruchs ausschließlich das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten und nicht dessen finanzielle Absicherung oder gar die Wahrung seiner steuerlichen Interessen betreffe.

Im vorliegenden Fall haben die Parteien aber ein vertragliches Konstrukt gewählt, mit dem eine klare Steuerlastverteilung verbunden war (im Ausland zu Lasten der Beklagten, im Inland zu Lasten des Klägers) und das aufgrund der allein im Ausland und nach dem originären Vertragsinhalt konkret in Turkmenistan vorgesehenen Beschäftigung des Klägers im Zusammenhang mit den seinerzeit geltenden Steuerregelungen des DBA UdSSR bei vertragsgemäßer Abwicklung des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit des Wegfalls der Steuerlast des Klägers für seine Vergütung in Deutschland eröffnete. Vereitelt wurde diese Möglichkeit allein durch das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten, die das Arbeitsverhältnis rechtswidrig zweifach fristlos kündigte und den Kläger nicht mehr in Turkmenistan beschäftigte. In dieser Konstellation geht der Schutzzeck der von der Beklagten verletzten Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Auslandsarbeitsvertrag über den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Klägers hinaus. Geschützt werden hier konkret auch die finanziellen Interessen des Klägers an der rechtmäßigen Nutzung der steuerlichen Möglichkeiten des DBA UdSSR bei vertragsgemäßer Beschäftigung in Turkmenistan. Der Schutzzweck der Norm lässt den Schadensersatzanspruch des Klägers mithin nicht entfallen.

Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nach § 249 Abs. 1 BGB zunächst auf Naturalrestitution gerichtet. Diese ist hier aber unmöglich, denn der Zustand ohne das schädigende Ereignis kann von der Beklagten nicht mehr hergestellt werden. Die unterbliebene Beschäftigung von März bis Oktober 2011 kann nachträglich nicht mehr wiederhergestellt werden. Damit können auch die Voraussetzungen für die Herbeiführung der Steuerhoheit Turkmenistans nach Art. 12 DBA UdSSR nicht mehr wiederhergestellt werden.

Die Beklagte schuldet dem Kläger damit nach § 251 Abs. 1 BGB eine Entschädigung in Geld. Diese ist nach dem durch die nunmehr in Deutschland gegebene Steuerlast des Klägers für die Vergütungsansprüche aus 2011 eingetretenen Differenzschaden zu bemessen. Gegenüberzustellen sind somit die steuerliche Belastung des Klägers aufgrund des nunmehr bestandskräftigen Steuerbescheids vom 02.09.2019 einerseits und die fiktiv zusammen mit seiner Ehefrau erfolgte Veranlagung für 2011 bei unterstellter Steuerbefreiung der Vergütungsansprüche nach Art. 12, 19 DBA UdSSR andererseits. Diese Berechnung hat der Steuerberater des Klägers mit den Berechnungen der Anlagen K 10b+c (Blatt 483/484 der Akte) vorgenommen. Dem ist die Beklagte nur noch pauschal, nicht aber irgendwie konkret und damit erheblich entgegengetreten. Die Berechnung ist für die Berufungskammer nachvollziehbar und wird daher der Schadensfeststellung zugrunde gelegt. Damit ist dem Kläger ein Steuerschaden von 45.416,69 € entstanden, für den er in Geld zu entschädigen ist.