Kein Auflösungsantrag bei scharfem Ton des Prozessbevollmächtigten

Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 06.07.2023 zum Aktenzeichen 6 Sa 94/23 entschieden, dass scharfer Ton des Prozessbevollmächtigten keinen Auflösungsantrag rechtfertigt.

Das prozessuale Verhalten des Klägers, insbesondere die von der Beklagten gerügten Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten sind nicht zu beanstanden, jedenfalls sind sie nach den dargestellten Grundsätzen durch das Recht auf Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt.

Die Formulierungen des Klägervertreters sind zwar an einigen Stellen zugespitzt und weisen einen scharfen Ton auf. Sie stehen aber stets in einem sachlich nachvollziehbaren Bezug zu den maßgeblichen rechtlichen Fragen und übertreten weder im Inhalt noch in der Form die Grenze zu persönlicher Schmähung, Gehässigkeit oder Lüge. Vorgehalten werden dem Kläger von der Beklagten die folgenden Formulierungen:

die Beklagte respektiere das Urteil nicht;

gegen ihn werde Mobbing betrieben und unverhohlen mit Mobbing gedroht;

das Verhalten der Beklagten schlage „dem Fass den Boden aus“;

ihm sei ein „Arrest-Büro“ zugewiesen worden;

er werde behandelt „wie ein aussätziger Gefangener“;

die Vertreter der Beklagten hätten sich gebärdet, als stünden sie über dem Gesetz und über dem arbeitsgerichtlichen Urteil;

die Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe in einem Telefongespräch angekündigt, „dem Kläger zu schaden, zu behindern, das Leben schwer zu machen oder zu mobben“.

Aktenkundig hat die Beklagte das Urteil des Arbeitsgerichts tatsächlich nicht respektiert: Unstreitig wurde dem Kläger trotz des vom Arbeitsgericht verkündeten Beschäftigungstitels der Zugang zum Betrieb verwehrt; das änderte sich erst, als der Kläger begonnen hatte, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschäftigungstitel zu betreiben. Die Prozessbevollmächtigte der Beklagten erklärte im Schreiben vom 20.01.2023 (Bl. 359 d.A.), mit dem sie sich gegen die Behauptung des Prozessbevollmächtigten des Klägers gewandt hatte, sie habe Mobbing angekündigt, unter anderem zur Richtigstellung das folgende: „Zudem haben wir angesprochen, dass die aktuelle Situation doch für beide Parteien unangenehm sei und man vor diesem Hintergrund noch einmal versuchen könnte, eine gütliche Einigung zu finden“ – was genau für den Kläger „unangenehm“ sei, hat sie in diesem Schreiben nicht konkretisiert. Nicht konkret bestritten wurde darüber hinaus der folgende Vortrag des Klägers:

Er sei Produktionsleiter, habe aber nicht ohne Erlaubnis in die Produktion gehen dürfen;

ihm sei ein gesondertes Zimmer zugewiesen worden, das er als Arrest-Zimmer empfunden habe;

ihm sei verboten worden, auf dem bisherigen Parkplatz zu parken;

er sei aufgefordert worden, einen Personalbogen auszufüllen, was er als Schikane empfunden habe;

ihm seien alle Ressourcen vorenthalten worden;

er habe keinen Zugang auf die Systeme gehabt;

ihm sei kein Zugang zu einem Email-Account eingeräumt worden;

er habe kein Telefon zu Verfügung gestellt bekommen;

statt allem sei ihm ein Notizblock mit drei Stiften überlassen worden;

als er nach zweimaliger schriftlicher Ankündigung unter Bezugnahme auf den Beschäftigungstitel des Arbeitsgerichts im Betrieb erschienen sei, sei ihm der Zugang zum Betriebsgelände versagt worden, es sei sogar die Polizei angerufen worden.

Angesichts der unstreitig vom Kläger nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils vorgefundenen Verhältnisse und angesichts der nicht weiter bestrittenen einzelnen Ungewöhnlichkeiten vor Ort, war es nicht pflichtwidrig „Mobbing“ zu beklagen. Dies gilt umso mehr, weil es keine klare Definition von „Mobbing“ gibt. Das Wort „Mobbing“ ist kein Rechtsbegriff und damit auch keine mit einer Rechtsnorm vergleichbare selbständige Anspruchsgrundlage. Er ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass häufig einzelne Handlungen oder Verhaltensweisen für sich allein betrachtet noch keine Rechtsverletzungen darstellen, jedoch die Gesamtschau der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen zu einer Vertrags- oder Rechtsgutsverletzung führt, weil deren Zusammenfassung aufgrund der ihnen zugrundeliegenden Systematik und Zielrichtung zu einer Beeinträchtigung eines geschützten Rechtes des Arbeitnehmers führt (BAG v. 25.10. 2007 – 8 AZR 593/06 -). Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn unerwünschte Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird (BAG v. 28.10. 2010 – 8 AZR 546/09 -). Die Rechtsgutsverletzung und hier insbesondere die Persönlichkeitsrechtsverletzung sind als Rechtsbegriffe die möglichen Ergebnisse dessen, was sich „Mobbing“ nennt.

Produktionsleiter ohne Zugang zur Produktion, Sonderzimmer, kein Parkplatz, Anfängerpersonalbogen, kein Email-Account, kein Telefon, stattdessen Papier mit drei Stiften und unspezifisch von „unangenehmen Situationen“ sprechen sind allesamt Maßnahmen, die der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts in den zitierten Entscheidungen mit den Worten meinte „Verhaltensweisen, die für sich allein betrachtet noch keine Rechtsverletzungen darstellen, jedoch die Gesamtschau … zu einer Vertrags- oder Rechtsgutsverletzung“ führen kann. Hiernach durfte der Kläger oder sein Prozessbevollmächtigter im Angesicht der vorgefundenen Verhältnisse von „Mobbing“ sprechen – jedenfalls ohne sich einen pflichtwidrigen Subsumtions- oder Definitionsfehler vorhalten lassen zu müssen.

Hinzukommt, dass die von der Beklagten für ihren Auflösungsantrag herangezogenen Bemerkungen des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten erfolgten, nachdem die Beklagte und ihre Prozessbevollmächtigte selbst eine mehr als deutliche Sprache bemühte (Zahlen in Klammern sind Blattzahlen der Gerichtsakte):

In gröbster Weise gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen (36)

Die Beklagte massiv hintergangen (36)

Leitungsfunktion missbraucht (36)

Völlig untaugliche Haltung für eine gemeinsame Zusammenarbeit (36)

Strafrechtlich relevante Pflichtverletzung (46)

Bild eines Mitarbeiters, der seine persönlichen und privaten Interessen über die Interessen der Beklagten stellt (48)

Seine Stellung als Führungskraft in verwerflicher Weise für die Durchsetzung persönlicher Ziele ausnutzt (48)

Er führt wiederkehrend und stupide aus … (99)

Angriff gegen die Unterzeichnerin (324)

Plant der Kläger einen Amoklauf? (342)

Unaufgefordert in die Räumlichkeiten eingedrungen (344)

Erfüllung der Straftatbestände üble Nachrede und Verleumdung (498)

Nach solchen Formulierungen – die nach wie vor im Kern in der Sache das Verbrennen von Verpackungen bei einem Osterfeuer betreffen sowie prozessual die Bemühungen des Klägers, dem vollstreckbaren Titel eines arbeitsgerichtlichen Urteils entsprechend beschäftigt zu werden – kann die Beklagte dem Kläger nicht seine überspitzten Formulierungen vorhalten, ohne sich mit ihrem eigenem Verhalten in Widerspruch zu setzen. Wird auf einen derartigen Prozessvortrag ähnlich robust geantwortet, werden berechtigte Interessen wahrgenommen.

Das gleiche gilt im Übrigen für die vom Kläger an die Gesellschafterin gesandte Email. Inhaltlich (es wird hier davon ausgegangen, dass alle Prozessbeteiligten die englische Sprache in Wort und Schrift beherrschen) findet sich in der Email nichts anstößiges oder auch nur missverständliches. Indem der Kläger sich an die Gesellschafterin der Beklagten gewandt hat, hat er nach Nr. 12 der Ethikregeln gehandelt.

Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag der Arbeitgeberin setzt die Prognose einer schweren Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses voraus (BAG 08.10.2009 – 2 AZR 682/08 -). Davon kann hier keine Rede sein. Störungen des erforderlichen Vertrauens, die der weiteren wechselseitigen Erfüllung der Vertragspflichten und dem Zusammenwirken zum Wohl des Betriebs entgegenstünden, sind jedenfalls in den gerügten Formulierungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht ersichtlich (vgl. im Übrigen zu den genannten Grundsätzen: BAG v. 09.09.2010 – 2 AZR 482/09 -).