Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei abschließender tariflicher Regelung

19. April 2021 -

Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Beschluss vom 15.03.2021 zum Aktenzeichen 9 TaBV 5/21 entschieden, dass § 11 Nr. 1 ERA NRW eine abschließende tarifliche Regelung der erschwerniszuschlagspflichtigen Tätigkeiten in der Metallindustrie enthält.

Die Einigungsstelle ist für eine Konkretisierung, welche Arbeiten gefährlich sind und/ oder unter hohen körperlichen Belastungen oder besonders starken Umgebungseinflüssen auszuführen sind, offensichtlich unzuständig.

Die Beteiligten streiten über die Errichtung einer Einigungsstelle zur Bestimmung von Arbeiten, die unter erheblichen Erschwernissen ausgeübt werden.

Die Arbeitgeberin beschäftigt insgesamt ca. 215 Arbeitnehmer, darunter 75 Arbeitnehmer in ihrer Stahlgießerei. Sie ist auf Grund ihrer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie gebunden.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass ihm bei der Festlegung der zuschlagspflichtigen Tätigkeiten ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1Nr. 10 BetrVG zustehe, und hat, nachdem die Arbeitgeberin Verhandlungen darüber abgelehnt hatte, die Einigungsstelle angerufen.

Die Einigungsstelle ist zur Bestimmung derjenigen Arbeiten, die unter erheblichen Erschwernissen ausgeübt werden und der tariflichen Zuschlagspflicht unterliegen, offensichtlich unzuständig iSd. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Denn das vom Betriebsrat reklamierte und einzig in Betracht kommende Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat zwar bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht ist im Betrieb eines gemäß § 3 Abs. 1 TVG tarifgebundenen Arbeitgebers wie der Arbeitgeberin jedoch durch § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG ausgeschlossen, wenn die Tarifvertragsparteien die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit bereits selbst zwingend und abschließend inhaltlich geregelt haben. Denn der durch die Mitbestimmung angestrebte Schutz ist dann bereits substantiell verwirklicht; eine zusätzliche betriebliche Regelung ist nicht mehr erforderlich.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Tatbestand des Erschwerniszuschlags ist in § 11 ERA abschließend so geregelt, dass die Arbeitgeberin die Tarifnorm nur zu vollziehen und nichts mehr mit dem Betriebsrat zu regeln hat.

Denn das ERA macht nicht nur Vorgaben zur Höhe des Zuschlags, sondern legt die den Zuschlag auslösenden Tätigkeiten unter § 11 Nr. 1 ERA für jene Arbeiten fest, die unter hohen körperlichen Belastungen oder besonders starken Umgebungseinflüssen, die über die normalen Erschwernisse erheblich hinausgehen, ausgeführt werden, oder die gesundheitsschädlich und gefährlich sind. Bei der Frage, welche Arbeiten diese Voraussetzungen erfüllen, geht es nicht um eine von den Tarifvertragsparteien offen gelassene Regelung, sondern um die Auslegung von § 11 Nr. 1 ERA und damit um eine Rechtsfrage.

Dass § 11 Nr. 1 ERA auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgreift, anstatt konkret festzulegen, welche einzelnen Tätigkeiten genau den Erschwerniszuschlag auslösen, steht dem abschließenden Charakter der tariflichen Regelung nicht entgegen. Denn mit Rücksicht auf den vom Gesetzgeber gewollten Vorrang des Tarifvertrages entfaltet jede tarifliche Regelung, die nicht ohne Weiteres als unvollständig erkennbar ist, eine Sperrwirkung, die eine betriebliche Regelung ausschließt. Es entspricht dem Wesen von Tarifverträgen als Normenverträgen für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen, dass ihnen eine gewisse Unschärfe immanent ist. Das Bestehen rechtlicher Zweifelsfragen über die Bedeutung und Auslegung einer Tarifvorschrift rechtfertigt aber nicht die Annahme einer gewollten, von den Betriebspartnern zu schließenden Regelungslücke. Ebenso wenig sind die Betriebspartner zu einer verbindlichen Interpretation der tariflichen Vorschriften und der in ihnen verwendeten Rechtsbegriffe berufen.

Dass eine Tarifnorm wie § 11 Nr. 1 ERA trotz ihres hohen Abstraktionsgrades auslegungsfähig ist und keiner ergänzenden Regelung oder verbindlichen Interpretation durch die Betriebspartner bedarf, hat das Bundesarbeitsgericht für eine entsprechende Tarifregelung bereits festgestellt. Denn § 11 Nr. 1 ERA entspricht seinem Wortlaut nach weitgehend § 5 LRA, wonach für Arbeiten unter hohen körperlichen Belastungen oder besonders starken Umgebungseinflüssen, die über die normalen Erschwernisse erheblich hinausgehen, ein – nicht akkordfähiger – Zuschlag in Höhe von 6 % des Ecklohnes des Lohntarifvertrages vorgesehen war. Auch § 5 LRA erläuterte nicht, von welchem Bezugspunkt bei der Bestimmung der normalen Erschwernisse auszugehen war. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch im Wege der Auslegung ermittelt, dass nur solche zusätzlichen Erschwernisse besondere weitere Lohnansprüche auslösen sollten, die nicht bereits mit dem Akkord oder dem Tariflohn von vornherein abgegolten und deshalb als normal anzusehen waren, etwa weil sie Schutzmaßnahmen (z. B. Tragen von Schallschutzhelmen, Gehörschutzkapseln, Schallschutzwatte usw.) erforderlich machten.

Von der Möglichkeit, die nähere Festlegung der zuschlagspflichtigen Arbeiten auf Grund einer Öffnungsklausel den Betriebspartnern zu überlassen, haben die Tarifvertragsparteien keinen Gebrauch gemacht.

Eine solche Befugnis zur Konkretisierung tariflicher Bestimmungen durch Dritte müsste aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nach Adressat und Umfang hinreichend deutlich sein. Das ist hier nicht der Fall: Dem Wortlaut des § 11 Nr. 1 ERA lassen sich keine Anhaltspunkte für eine Befugnis der Betriebspartner zur Konkretisierung entnehmen. Die Betriebspartner werden in § 11 Nr. 1 ERA überhaupt nicht erwähnt. Eine Öffnungsklausel für freiwillige Betriebsvereinbarungen enthält lediglich § 11 Nr. 2 ERA hinsichtlich der Vereinbarung eines Zeitausgleich anstelle des Zuschlags. Wenn sich die Tarifvertragsparteien aber entschließen, nur einen einzelnen Punkt des Regelungskomplex für eine Regelung durch die Betriebsparteien zu öffnen, spricht dies deutlich für den abschließenden Charakter der tariflichen Regelung im Übrigen.

Eine Befugnis zur Konkretisierung tariflicher Bestimmungen durch die beteiligten Betriebsparteien oder die Einigungsstelle ergibt sich auch nicht aus der Natur des Regelungsgegenstandes, etwa weil der Tarifvertrag Erschwerniszuschläge vorsehen würde und die Höhe der Zuschläge vom Arbeitgeber im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festgelegt werden müsste. Eine solche Tarifregelung würde ein zwingendes Beteiligungsrecht des Betriebsrats auch bei der Festlegung der entsprechenden Tätigkeiten begründen, weil die festzulegende Höhe der Zulage eine Konkretisierung der Tätigkeiten nach objektiven Kriterien erfordert, § 11 Nr. 1 ERA legt jedoch die Höhe des Zuschlags mit 6 % des Stundengrundentgelts der Entgeltgruppe EG 7 selbst fest, wie es auch § 5 LRA für den Erschwerniszuschlag und § 6 LRA bezüglich des Gießereizuschlags getan haben.