Kein Syndikus ohne Weisungsunabhängigkeit

27. November 2022 -

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 24.10.2022 zum Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 33/21 entschieden, dass Rechtsanwälte, die nicht weisungsunabhängig sind, nicht als Syndikusrechtsanwälte zugelassen werden können.

Die Beteiligten streiten um die Zulassung des Beigeladenen als Syndikusrechtsanwalt. Der Beigeladene ist seit 2006 als Rechtsanwalt zugelassen. Er schloss am 25. September 2019 mit dem Verband einen „Geschäftsführerdienstvertrag“ (im Folgenden: Anstellungsvertrag), dessen Laufzeit am 1. April 2020 begann. Der Anstellungsvertrag bestimmt unter anderem:

㤠1 Aufgabenbereich

Der Geschäftsführer/Syndikusrechtsanwalt des [Verbands] vertritt den Verband nach aussen. Der Geschäftsführer/Syndikusrechtsanwalt ist berechtigt und verpflichtet, den [Verband] gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten.

Ihm steht bis auf weiteres Alleinvertretungsbefugnis zu. […]

Die Abberufung als Geschäftsführer des [Verbands] gilt gleichzeitig auch als Kündigung dieses Vertrages zum nächst zulässigen Zeitpunkt.

Der Geschäftsführer nimmt die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers des [Verbands] im Sinne der arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften wahr.

Der Geschäftsführer führt die Geschäfte mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nach Maßgabe

  • der Gesetze;
  • der Satzung des [Verbands];
  • der Beschlüsse der Mitgliederversammlung;
  • der Beschlüsse des Vorstands;
  • dieses Vertrages.

[…]

Mit der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt durch die zuständige Rechtsanwaltskammer entspricht diese Beschäftigung einer anwaltlichen Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt nach Maßgabe des zum 1. Januar 2016 in Kraft getretenen neuen ‘Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte‘.

Der Geschäftsführer/Syndikusrechtsanwalt übt seine anwaltliche Tätigkeit fachlich unabhängig und eigenverantwortlich aus. […]

Die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung im Sinne des § 46 Abs. 3 BRAO wird mit diesem Dienstvertrag vertraglich und im Übrigen tatsächlich gewährleistet. Der Arbeitnehmer unterliegt keinen allgemeinen oder konkreten Weisungen in fachlichen Angelegenheiten, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine am Einzelfall orientierte Rechtsberatung beeinträchtigen oder ausschließen. Ihm gegenüber bestehen keinerlei Vorgaben zur Art und Weise der Bearbeitung und Bewertung bestimmter Rechtsfragen. Der Geschäftsführer/Syndikusrechtsanwalt arbeitet fachlich eigenverantwortlich, er darf Aufträge aus fachlichen oder berufsrechtlichen Gründen ablehnen. Der Geschäftsführer/Syndikusrechtsanwalt ist im Rahmen der von ihm für den Verband zu erbringenden Rechtsberatung und -vertretung den Pflichten des anwaltlichen Berufsrechts unterworfen.

Auch im Übrigen erfüllt die Tätigkeit des Mitarbeiters als Syndikusrechtsanwalt die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO und des § 4 BRAO in der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung.

Insbesondere ist der Arbeitnehmer befugt, nach außen verantwortlich aufzutreten. […]“

Anlage zum Anstellungsvertrag war eine vom Beigeladenen und dem Verband unterzeichnete Tätigkeitsbeschreibung. Diese bestimmte unter anderem, dass der Beigeladene den Vorstand, die Fach- und Führungskräfte und die Mitgliedsunternehmen des Verbands in allen rechtlichen und juristischen Fragen berät.

Mit Bescheid vom 12. März 2020 ließ die Beklagte den Beigeladenen gegen die Stellungnahme der Klägerin als Syndikusrechtsanwalt für seine Tätigkeit als Geschäftsführer des Verbands zu.

Die Klägerin, Trägerin der Rentenversicherung, hat gegen den ihr am 17. März 2020 zugestellten Bescheid am 16. April 2020 Klage erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 12. März 2020 aufzuheben. Die Beklagte und der Beigeladene haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Zulassung des Beigeladenen als Syndikusrechtsanwalt rechtmäßig sei. Insbesondere liege das von § 46 Abs. 2 Satz 1 BRAO geforderte Arbeitsverhältnis vor. Zwar handele es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinne. Der Gesetzgebungshistorie lasse sich jedoch entnehmen, dass der Gesetzgeber nicht das Ziel verfolgt habe, ausschließlich solchen Personen eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt zu ermöglichen, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses einer arbeitsrechtlichen Weisungsbefugnis unterlägen.

Auch die fachliche Unabhängigkeit des Beigeladenen sei rechtlich und tatsächlich gegeben. Dem stehe die Bestimmung aus § 24 Nr. 2 Satz 1 der Satzung nicht entgegen, wonach der Beigeladene als Geschäftsführer die Weisungen des Vorstands zu befolgen habe. Denn im Anstellungsvertrag sei dem Beigeladenen die fachliche Unabhängigkeit zugesichert worden. Dazu sei der Vorstand aufgrund von § 25 Nr. 2 der Satzung, wonach der Vorstand die Anstellungsbedingungen des Geschäftsführers festlege, auch berechtigt gewesen. Zudem gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass der Beigeladene tatsächlich Weisungen seitens des Vorstands erhielte, die seine fachliche Unabhängigkeit einschränkten. Dass der mit juristischen Laien besetzte Vorstand dem hauptamtlich beschäftigten Juristen in fachlichen Fragen Weisungen erteilen könnte, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschlössen, erscheine im Übrigen fernliegend. Ein solches Verhalten wäre für einen Verband, der seine Mitglieder mit dem Vorteil einer branchenspezifischen Rechtsberatung werbe, schon nach kurzer Zeit schädlich.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung.

Sie führt aus, dass der Begriff „Arbeitsverhältnis“ in § 46 Abs. 2 Satz 1 und § 46 Abs. 3 BRAO im arbeitsrechtlichen Sinne auszulegen sei und ein freies Dienstverhältnis – wie es hier vorliege – ihm grundsätzlich nicht unterfalle.

Zudem sei die fachliche Unabhängigkeit des Beigeladenen im Sinne von § 46 Abs. 4 BRAO nicht vertraglich und tatsächlich gewährleistet. Das im Anstellungsvertrag vereinbarte Weisungsverbot in fachlichen Angelegenheiten begrenze nicht zugleich das nach § 24 Nr. 2 Satz 1 der Satzung bestehende Weisungsrecht des Vorstands. Die fachliche Unabhängigkeit des Geschäftsführers eines eingetragenen Vereins müsse in einem solchen Fall auch in der Satzung fundiert sein. Der Beigeladene sei auch deshalb in anwaltlichen Fragen nicht fachlich unabhängig, weil er nach der Satzung dem Vorstand angehöre, der gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 665 BGB der Weisungsbefugnis der Mitgliederversammlung unterliege.

Die Beklagte hat den Beigeladenen zu Unrecht als Syndikusrechtsanwalt zugelassen und dadurch die Klägerin in ihren Rechten verletzt, § 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt ist gemäß § 46a Abs. 1 Satz 1 BRAO auf Antrag zu erteilen, wenn die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 BRAO erfüllt sind, kein Zulassungsversagungsgrund nach § 7 BRAO vorliegt und die Tätigkeit den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO entspricht.

Ob ein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 46 Abs. 2 BRAO vorliegt, kann hier dahinstehen, weil die fachliche Unabhängigkeit des Beigeladenen entgegen § 46 Abs. 4 Satz 2 BRAO vertraglich nicht gewährleistet ist. Zwar enthält der Anstellungsvertrag ein Weisungsverbot. Doch unterstellt die Satzung den Geschäftsführer als Organ des Vereins den Weisungen des Vorstands. Das gilt auch für die vom Beigeladenen vorgelegte geänderte Satzung. Daher kann dahinstehen, ob für die Entscheidung über die Anfechtung des Zulassungsbescheids durch die Rentenversicherung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung oder im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist (vgl. auch Senat, Urteil vom 25. August 2022 – AnwZ (Brfg) 3/22, BB 2022, 2384 Rn. 33). Um im Organverhältnis die fachliche Unabhängigkeit des Beigeladenen zu gewährleisten, wäre eine entsprechende Bestimmung in der Satzung selbst erforderlich.

Der Beigeladene unterliegt nach § 24 Nr. 2 Satz 1 der Satzung der Aufsicht und der Weisung des Vorstands. Diese – durch die am 28. Juli 2022 eingetragene Satzungsänderung unberührt gelassene – Regelung bewirkt, dass die Stellung des Beigeladenen mit derjenigen eines Geschäftsführers einer GmbH vergleichbar ist.

Der Geschäftsführer einer GmbH hat gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG die Beschränkungen einzuhalten, die für den Umfang seiner Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit dieser nicht ein anderes bestimmt, durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind. Danach hat er grundsätzlich Weisungen der Gesellschafterversammlung – sei es im Einzelfall oder als allgemeine Richtlinie – zu jeder Geschäftsführerangelegenheit zu befolgen, sofern nicht der Gesellschaftsvertrag eine abweichende Regelung enthält (vgl. Senat, Urteile vom 13. Mai 2022 – AnwZ (Brfg) 21/21, juris Rn. 29 und vom 7. Dezember 2020 – AnwZ (Brfg) 17/20, NJW 2021, 629 Rn. 11 mwN sowie Beschluss vom 25. Oktober 2021 – AnwZ (Brfg) 37/20, AnwBl Online 2022, 106 Rn. 19). Ein nur dienstvertraglich vereinbartes Weisungsverbot reicht hingegen nicht aus (vgl. ausführlich hierzu Senat, Urteil vom 7. Dezember 2020, aaO Rn. 12 ff.).

Das Weisungsrecht in § 24 Nr. 2 Satz 1 der Satzung regelt das Innenverhältnis zwischen den Organen Geschäftsführer und Vorstand und ist entgegen der Ansicht des Beigeladenen keine arbeitsvertragliche Regelung. Die Vorschrift findet sich unter dem Abschnitt „Innere Ordnung“ und dort unter dem Unterabschnitt „Organe“. Der Geschäftsführer war in der bisherigen Satzung unter „§ 9 Organe“ ausdrücklich als eines der Organe des Verbands aufgeführt. Die folgenden Vorschriften sind nach den einzelnen Organen unterteilt und regeln deren Zuständigkeiten beziehungsweise Aufgaben. In diesem Zusammenhang bestimmt § 24 der Satzung, welche Aufgaben dem Organ des Geschäftsführers zukommen. Dass es um die Organstellung geht, ergibt sich zudem aus § 24 Nr. 3, wonach der Geschäftsführer „kraft seines Amtes“ Mitglied des Hauptvorstandes und des Präsidialrates des B.                             e.V. gemäß dessen Satzung ist.

Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass der Geschäftsführer aufgrund der am 28. Juli 2022 eingetragenen Satzungsänderung „nur“ noch ein besonderer Vertreter im Sinne des § 30 BGB sein soll. Denn auch dieser ist ein Vereinsorgan, dessen Stellung im Innenverhältnis sich nach der Satzung richtet (vgl. MünchKommBGB/Leuschner, 9. Aufl., § 30 Rn. 11). Soweit es um die Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers gegenüber dem Vorstand geht, enthält die geänderte Satzung dieselbe Vorschrift wie die bisherige Fassung. Auch § 24 Nr. 3 ist weiterhin in der Satzung enthalten.

Das in der Satzung verankerte Weisungsrecht wird durch den Anstellungsvertrag nicht ausgeschlossen.

Entgegen der Ansicht des Anwaltsgerichtshofs enthält § 25 Nr. 2 der Satzung keine Ermächtigung des Vorstands, von den Bestimmungen der Satzung abzuweichen.

Die Vorschrift weist die Bestellung des Geschäftsführers dem Beirat zu (§ 25 Nr. 1), während die Anstellungsbedingungen für den Geschäftsführer vom Vorstand festgelegt werden (§ 25 Nr. 2). Damit unterscheidet sie zutreffend zwischen der Bestellung einer Person zum Organ einer Körperschaft und dem Abschluss des Anstellungsvertrags mit dieser Person (vgl. BGH, Urteile vom 14. November 1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41 und vom 21. Januar 1991 – II ZR 144/90, BGHZ 113, 237, 240 ff.; BeckOK BGB/Schöpflin, Stand: 1. Mai 2022, § 27 Rn. 8).

Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung erschöpfen sich darin, die Anstellungskompetenz – abweichend von der dem Beirat zustehenden Bestellungskompetenz – dem Vorstand zuzuweisen, womit von dem ansonsten bestehenden Grundsatz abgewichen wird, wonach demjenigen Organ, das die Bestellungskompetenz innehat, auch die Anstellungskompetenz zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 1991 – II ZR 144/90, BGHZ 113, 237, 241; Grambow, Organe von Vereinen und Stiftungen – Organstellung und Anstellungsverhältnis, 2011, Rn. 257; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 27 Rn. 1).

Bereits dadurch, dass dem Vorstand nur die Anstellungskompetenz zugewiesen wird, wird deutlich, dass er gerade nicht dazu befugt sein soll, Bestimmungen hinsichtlich der Organstellung des Geschäftsführers zu treffen.

Soweit diese Regelungen in der geänderten Satzung durch die Bestimmung ergänzt werden, dass der Vorstand den Geschäftsführer als besonderen Vertreter gemäß § 30 BGB zur Vertretung des Verbands und zur Leitung der Geschäftsstelle bestellt, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Es kommt dadurch nur im Rahmen der Bestellungskompetenz zu einer Aufgabenteilung zwischen dem Vorstand und dem Beirat. Indem die Satzung dem Vorstand den inhaltlichen Rahmen für die Bestellung vorgibt und in § 24 Nr. 2 an der Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers festhält, wird deutlich, dass der Vorstand weiterhin nicht befugt ist, von diesen Bestimmungen abzuweichen.

Weichen die Bestimmungen in Satzung und Anstellungsvertrag voneinander ab, so gehen die Bestimmungen der Satzung den Bestimmungen des Anstellungsvertrags vor (Grundsatz der Nachrangigkeit des Anstellungsvertrags zum gesellschaftsrechtlichen Organverhältnis; vgl. Senat, Urteil vom 18. März 2019 – AnwZ (Brfg) 22/17, juris Rn. 19). Daher sind Weisungen vom Geschäftsführer auch dann zu beachten, wenn diese im Widerspruch zu seinem Anstellungsvertrag stehen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Dezember 2020 – AnwZ (Brfg) 17/20, NJW 2021, 629 Rn. 15).

Davon geht auch der Anstellungsvertrag in der Aufzählung in § 1 Abs. 5 aus, wonach als maßgeblich für die Führung der Geschäfte des Beigeladenen an zweiter Stelle die Satzung genannt wird und erst an fünfter Stelle der Vertrag.

Soweit der Beigeladene einen effektiven Eingriff in seine fachliche Unabhängigkeit nicht für möglich hält, bezieht sich diese Argumentation auf Weisungen in einem Einzelfall. Ein Eingriff kann aber auch in allgemeinen Vorgaben zur Art und Weise der Bearbeitung und Bewertung bestimmter Rechtsfragen bestehen (vgl. BR-Drucks. 278/15, S. 31 f.). Soweit der Anwaltsgerichtshof ausführt, es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass der Beigeladene tatsächlich Weisungen seitens des Vorstands erhielte und dass die Erteilung von Weisungen fernliegend sei, betrifft dies nur die tatsächliche Gewährleistung der fachlichen Unabhängigkeit und ändert nichts an der fehlenden vertraglichen Gewährleistung (vgl. Senat, Urteil vom 7. Dezember 2020 – AnwZ (Brfg) 17/20, NJW 2021, 629 Rn. 18). Im Übrigen erschließt sich nicht, warum der Umstand, dass der Vorstand – wie der Anwaltsgerichtshof annimmt – mit juristischen Laien besetzt ist, dafür sprechen soll, dass der Vorstand das Weisungsrecht nicht ausüben wird. Denn genauso denkbar ist, dass der Vorstand dem Geschäftsführer bestimmte Richtlinien für seine Tätigkeit vorgibt, weil er der Ansicht ist, dass die fachlichen Belange der Druckindustrie und Medienbranche zum Beispiel bei tariflichen Angelegenheiten auf solche Weise am besten wahrgenommen werden.

Besondere Umstände, die es – wie in der Entscheidung des Senats vom 18. März 2019 (AnwZ (Brfg) 22/17, juris Rn. 20) – ausnahmsweise als gerechtfertigt erscheinen ließen, eine Unabhängigkeit trotz bestehenden Weisungsrechts zu bejahen, liegen nicht vor. In jenem Fall hatte der dortige Beigeladene seine Geschäftsführerstellung – anders als hier – nur vorübergehend und aufgrund von formalen gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen inne.

Die fachliche Unabhängigkeit des Beigeladenen war für den Zeitraum vor der am 28. Juli 2022 eingetragenen Satzungsänderung zudem nicht gegeben, weil er während dieser Zeit – neben den Weisungen des Vorstands – auch die Weisungen der Mitgliederversammlung zu befolgen hatte.

Nach den damals geltenden Regelungen war der Geschäftsführer des Verbands vertretungsberechtigtes Mitglied des Vorstands im Sinne des § 26 BGB (§ 20 Nr. 1 lit. d, § 21 Nr. 2 Satz 1 und 2 der Satzung). Der Mitgliederversammlung steht, falls die Satzung – wie hier – keine anderweitige Regelung trifft, das Recht zu, den vertretungsberechtigten Vorstandsmitgliedern Weisungen zu erteilen (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 665 Satz 1 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1992 – II ZR 208/91, NJW 1993, 191, 193; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 27 Rn. 4). Die Weisungen können sich dabei auch an ein einzelnes Vorstandsmitglied richten, beispielsweise wenn dieses allein mit einer bestimmten Aufgabe betraut ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1992, aaO; BeckOGK BGB/Segna, Stand: 1. April 2022, § 27 Rn. 88). Somit ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Weisung nur an den Geschäftsführer als Mitglied des Vorstands ergeht. Auch diese Weisungsunterworfenheit konnte durch die Bestimmungen im Anstellungsvertrag des Beigeladenen nicht wirksam entkräftet oder gar aufgehoben werden.