Massenentlassung – Rechtsfolgen von Fehlern im Anzeigeverfahren – ergänzende Vorlage an den EuGH

23. Mai 2024 -

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 23. Mai 2024 zum Aktenzeichen 6 AZR 152/22 (A) dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um Vorabentscheidung über folgende Fragen vorgelegt:

Ist der Zweck der Massenentlassungsanzeige erfüllt und somit eine Sanktion entbehrlich, wenn die nationale Arbeitsagentur eine – objektiv fehlerhafte – Massenentlassungsanzeige nicht beanstandet und sich damit als ausreichend informiert betrachtet, um ihren Aufgaben innerhalb der Fristen des Art. 4 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (im Folgenden MERL) nachkommen zu können?

Gilt dies jedenfalls dann, wenn die Erreichung des Zwecks von Art. 3 MERL durch eine nationale arbeitsförderungsrechtliche Vorschrift sichergestellt ist und/oder die nationale Arbeitsagentur eine Pflicht zur Amtsermittlung hat?

Sofern die erste Frage verneint wird: Kann der Zweck von Art. 3 MERL noch erfüllt werden, wenn eine fehlerhafte oder gänzlich fehlende Massenentlassungsanzeige nach Zugang der Kündigung korrigiert bzw. ergänzt oder nachgeholt werden kann?

Wenn bei einer fehlerhaften oder fehlenden Massenentlassungsanzeige die Entlassungssperre nach Art. 4 Abs. 1 MERL die Sanktion für Fehler bei der Anzeige sein sollte, welcher Anwendungsbereich verbleibt dann insoweit noch für Art. 6 MERL?

Aus der Pressemitteilung des BAG Nr. 13/24 vom 23.05.2024 ergibt sich:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung. Entscheidungserheblich ist, ob diese bei der Agentur für Arbeit ordnungsgemäß angezeigt wurde.

Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat durch Beschluss vom 14. Dezember 2023 – 6 AZR 157/22 (B) – nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG bei dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts angefragt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält, dass eine im Rahmen einer Massenentlassung erklärte Kündigung nichtig ist, wenn im Zeitpunkt ihres Zugangs keine oder eine fehlerhafte Anzeige nach § 17 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG vorliegt (vgl. Pressemitteilung Nr. 46/23).

Der Zweite Senat hat mit Beschluss vom 1. Februar 2024 – 2 AS 22/23 (A) – das Anfrageverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von erforderlichen Fragen zur Auslegung der den §§ 17 ff. KSchG zugrundeliegenden Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung von Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ersucht (vgl. Pressemitteilung Nr. 4/24).

In Ergänzung dieser Vorlage hat der Sechste Senat mit Beschluss vom heutigen Tag den EuGH um die Auslegung des Unionsrechts ua. dazu ersucht, ob der Zweck der Massenentlassungsanzeige erfüllt ist, wenn die Agentur für Arbeit eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige nicht beanstandet und sich damit als ausreichend informiert betrachtet.