VerfGH NRW: Kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf ein Studium

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen hat mit Beschluss vom 16.06.2020 zum Aktenzeichen 65/19.VB3 entschieden, dass kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Zulassung zum Studium besteht.

Die angegriffenen Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts verletzen die Beschwerdeführer zu 1.bis 3.nicht in ihrem Grundrecht aus Art.4 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG.

Art.12 Abs.1 Satz 1 GG gewährleistet das Recht, die Ausbildungsstätte frei zu wählen. Diese Gewährleistung steht in engem Zusammenhang mit dem Recht der freien Berufswahl, da die Ausbildung in der Regel die Vorstufe einer Berufsaufnahme ist, beide also integrierende Bestandteile eines zusammengehörenden Lebensvorgangs darstellen. Wenn die Aufnahme eines Berufs -wie etwa bei Ärztinnen und Ärzten (vgl.§2 Abs.1, §3 Abs.1 Satz1 Nr.4 BÄO) oder Lehrerinnen und Lehrern (vgl. §3 Abs.2, §4 Abs.1, §11 LABG NRW) -eine bestimmte Ausbildung voraussetzt, schließt die Nichtzulassung zu dieser Ausbildung aus, diesen Beruf später zu ergreifen. Der verfassungsrechtliche Grundrechtsschutz zielt dabei nicht nur auf die Abwehr von Eingriffen der öffentlichen Gewalt, sondern im Zusammenwirken mit Art.3 Abs.1 GG auch auf gleichheitsgerechte Teilhabe an staatlichen Leistungen und -hier -staatlichen Studienangeboten (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.Dezember 2017 -1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14, BVerfGE147, 253 = juris, Rn.104, m.w.N.). Das Teilhaberecht reicht allerdings nicht so weit, dass es einen individuellen Anspruch begründen könnte, Ausbildungskapazitäten in einem Umfang zu schaffen, welcher der jeweiligen Nachfrage gerecht wird. Die Frage der Bemessung der Anzahlverfügbarer Ausbildungsplätze obliegt der Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, der bei seiner Haushaltswirtschaft neben den Grundrechten der Studienplatzbewerberinnen und -bewerber auch andere Gemeinwohlbelange berücksichtigt. Das Recht auf chancengleichen Zugang zum Hochschulstudium besteht damit nur in dem Rahmen, in dem der Staat tatsächlich Ausbildungskapazitäten zur Verfügung stellt. Aus der grundrechtlichen Verbürgung der freien Wahl der Ausbildungsstätte in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art.12 Abs.1 Satz1 i.V.m. Art.3 Abs.1 GG) ergibt sich ein Recht auf Teilhabe an den vorhandenen Studienangeboten, die der Staat mit öffentlichen Mitteln geschaffen hat. Dieses Teilhaberecht reicht indes nicht so weit, dass jeder und jede Hochschulzugangsberechtigte -unabhängig vom Ergebnis der schulischen Leistungen und der sonstigen fachspezifischen Qualifikation -beanspruchen könnte, die Zulassung zu dem gewählten Studium tatsächlich eines Tages zu erhalten. In Fächern, in denen die Anzahl an Bewerbungen das Angebot an Studienplätzen weit übersteigt, kann der Teilhabeanspruch die tatsächliche Studienzulassung von vornherein nicht garantieren. Wesentlich ist dann, dass die Vergabe der Studienplätze nach gleichheitsgerechten Kriterien erfolgt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.Dezember 2017 -1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14, BVerfGE147, 253 = juris, Rn.105 f., m.w.N.).Die Ausgestaltung der Vergabe knapper Studienplätze an staatlichen Hochschulen und damit die Entscheidung über das Teilhaberecht der Studienplatzbewerberinnen und Studienplatzbewerber als Teilaspekt der Berufsfreiheit im Zusammenwirken mit dem Gleichbehandlungsgebot (Art.12 Abs.1 Satz1 i.V.m. Art.3 Abs.1 GG) ist Aufgabe des Gesetzgebers. Dies folgt aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. Dieser verpflichtet den parlamentarischen Gesetzgeber, wesentliche, für die Grundrechtsverwirklichung maßgebliche Regelungen selbst zu treffen und nicht anderen Normgebern oder der Exekutive zu überlassen (vgl. zum sog. Wesentlichkeitsgrundsatz BVerfG, Beschluss vom 17.Februar 2016 -1 BvL 8/10, BVerfGE 141, 143 <170> = juris, Rn.59, m.w.N.). Bei der Vergabe von Studienplätzen handelt es sich um eine für die Verwirklichung des grundrechtlich geschützten Teilhaberechts aus Art.12 Abs.1 Satz1 in Verbindung mit Art.3 Abs.1 GG wesentliche Regelungsmaterie, die den Kern des Zulassungswesens ausmacht und damit dem Parlamentsvorbehalt unterliegt. Der Gesetzgeber muss die für die Vergabe von Studienplätzen in zulassungsbeschränkten Studiengängen wesentlichen Fragen selbst regeln (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.Dezember 2017 -1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14, BVerfGE147, 253 = juris, Rn.115 ff., m.w.N.). Insbesondere die Auswahlkriterien müssen ihrer Art nach durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst bestimmt werden. Dabei darf er den Hochschulen allerdings gewisse Spielräume für die Konkretisierung der gesetzlich der Art nach festgelegten Kriterien lassen, anhand derer die Eignung von Studienbewerberinnen und bewerbern beurteilt werden soll (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.Dezember 2017 -1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14, BVerfGE147, 253 = juris, Rn.118 ff.). bb) An diesen Maßstäben gemessen sind die angegriffenen Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts nicht zu beanstanden. Aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes in der durch die Wesentlichkeitslehre erfahrenen Ausprägung folgt, dass der Gesetzgeber eine gesetzliche Grundlage für die Festsetzung von Zulassungszahlen schaffen muss, in der er nicht nur das „Ob“einer solchen Festsetzung, sondern auch die für die Festsetzung maßgeblichen

Kriterien zumindest ihrer Art nach selbst bestimmt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer hat das Oberverwaltungsgericht diese Anforderungen nicht verkannt. Es hat auf die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts verwiesen, das die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage angenommen und jeweils ausgeführt hat, die Auffassung der Beschwerdeführer, dass es für die Festsetzung von Zulassungszahlen für einzelne Lernbereiche oder Fächer an einer solchen Grundlage fehle, überzeuge nicht. Vielmehr sei §1 HZG NRW in der für das Sommersemester 2019 geltenden Fassung vom 11.Februar 2017 sowie §§3, 4 KapVO NRW durch Auslegung eine entsprechende Regelung zu entnehmen. Ausgehend vom Prüfungsmaßstab des §146 Abs.4 Satz 6 VwGO hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, die dagegen erhobenen, im Wesentlichen auf den Begriff des Studiengangs bezogenen Einwände der Beschwerdeführer griffen nicht durch. Lediglich in diesem Zusammenhang ist auch die von den Beschwerdeführern zu 1.bis 3.beanstandete Formulierung zu verstehen, weder die Regelungen des HZG NRW noch des HG NRW oder der KapVO NRW 2017 „verböten“ die Festlegung von Zulassungsbeschränkungen für einzelne Lernbereiche. Sie deutet deshalb nicht darauf hin, dass das Gericht Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art.12 Abs.1 GG oder des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes verkannt hat. Anders als die Beschwerdeführer meinen, erweist sich die vom Verwaltungsgericht vorgenommene und vom Oberverwaltungsgericht auf das Beschwerdevorbringen hin nicht beanstandete Auslegung des in §1 HZG NRW, §§ 3 und 4 KapVO NRW enthaltenen Begriffs des Studiengangs auch nicht als willkürlich. Ein Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzes liegt nicht vor. Die Bestimmung des „Studiengangs“, für den nach §1 Satz 1 HZG NRW in der für das Sommersemester 2020 geltenden Fassung zur Sicherung der Qualität von Lehre und Forschung die Zahl der Bewerber, die höchstens aufgenommen werden kann (Zulassungszahl), festgesetzt werden darf, in einem spezifisch kapazitätsrechtlichen Sinn ist vielmehr nachvollziehbar und jedenfalls vertretbar. Auch das Bundesverwaltungsgericht geht in dem vom Verwaltungsgericht angeführten Beschluss vom 4.März 2015 -6 B 39.14, juris, Rn.36, davon aus, dass sich ein Studiengang im Wesentlichen durch das Ausbildungsziel, die Lehrinhalte und die Prüfungsanforderungen bestimmt. Erfasst ein Studium -wie das des Lehramts nach §11 Abs.6LABG NRW -Lehrinhalte, die verschiedenen Lehreinheiten mit möglicherweise unterschiedlich knappen Ressourcen an Personalund Sachmitteln zuzuordnen sind, liegt es nahe, sie für die Bestimmung der Zulassungszahl wie eigenständige Studiengänge im Sinne des §1 Satz 1 HZG NRW zu behandeln. Aus §60 Abs.1 HG NRW ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer schon deshalb nicht zwingend anderes, weil diese Vorschrift den Begriff des Studiengangs lediglich „im Sinne dieses Gesetzes“ und damit nicht notwendig auch für die kapazitätsrechtlichen Zwecke des Hochschulzulassungsgesetzes NRW bestimmt. Auch im Übrigen beschränken sich die Ausführungen der Beschwerdeführer darauf, eine andere Auslegungsmöglichkeit für den Studiengangbegriff nach §1 Abs.1Satz 1 HZG aufzuzeigen, die -was hier keiner Entscheidung bedarf -einfachrechtlich ebenfalls vertretbar sein mag, sich aber nicht als in der behaupteten Weise zwingend erweist. Sind vom Studiengangbegriff i.S.d. §1 Satz 1 HZG NRW bei vertretbarer Auslegung auch die im Rahmen von Lehramtsstudiengängen angebotenen Lernbereiche und Unterrichtsfächer umfasst, haben die Gerichte der Regelung in §1 HZG NRW zu Recht eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Festsetzung entsprechender Zulassungszahlen entnommen. Die für die Grundrechtsausübung wesentlichen Fragen hat der Gesetzgeber mit dieser Regelung getroffen. In §1 Satz 1 HZG NRW hat er das „Ob“ der Kapazitätsfestsetzung geregelt. In §1 Satz 2 und 3 HZG NRW hat er die Kriterien für diese Festsetzung ihrer Art nach bestimmt. Die Regelung weiterer Einzelheiten darf dem Verordnungsgeber -etwa in der Kapazitätsverordnung NRW 2017 und in der Zulassungszahlenverordnung NRW -überlassen werden.

Die angegriffenen Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts verletzen die Beschwerdeführer zu 1.bis 3.auch nicht in ihrem Grundrecht aus Art.4 Abs. 1 LV i.V.m.Art.103 Abs.1 GG. Art.103 Abs.1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte aber nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen. Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Es müssen nur die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung der gerichtlichen Pflicht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, kann nur dann festgestellt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 8.Oktober 2019 -VerfGH 36/19.VB3, juris, Rn.4; BVerfG, Beschluss vom 2.Juli 2018 -1 BvR 682/12, NVwZ2018, 1561 = juris, Rn. 19, m.w.N.). Gemessen hieran lässt sich nicht feststellen, dass das Oberverwaltungsgericht den Anspruch der Beschwerdeführer zu 1.bis 3.auf rechtliches Gehör verletzt hat. Mit ihrer Rüge, der Senat habe außer Acht gelassen, dass es an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage für die von ihnen angegriffene Kapazitätsfestsetzung fehle, weil sich die Kapazitätsfestsetzungen nach den geltenden Gesetzen und Verordnungen auf Studienplätze oder Studiengänge, nicht auf Lernbereiche oder Studienfächer bezögen, wenden sich die Beschwerdeführer zu 1.bis 3.allein gegen die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts. Auch soweit die Beschwerdeführerin zu 3.moniert, dass der Senat auf nähere Ausführungen verzichtet und bezüglich ihres Vorbringens zur fehlenden gesetzlichen Grundlage einer Kapazitätsfestsetzung für Lernbereiche und Studienfächer auf den im Verfahren der Beschwerdeführer zu 1.und 2.ergangenen Beschluss verwiesen habe, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Senat wesentliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat. Diese Vorgehensweise ist mit Blick auf Art.103 Abs.1 GG nicht zu beanstanden. Danach war der Senat nicht verpflichtet, auf das genannte Vorbringen der Beschwerdeführerin zu 3. im Einzelnen einzugehen, sondern konnte auf seine zu der vorgetragenen Rechtsauffassung bereits ergangene Rechtsprechung verweisen. c) Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 2.Dezember 2019 verletzt die Beschwerdeführerin zu 4.nicht in ihrem Grundrecht aus Art.4 Abs.1 LV i.V.m.Art.12 Abs.1 GG. Die durch Art.12 Abs.1 GG geschützte Freiheit, einen Beruf auszuüben, ist untrennbar mit der Freiheit verbunden, eine angemessene Vergütung zu fordern. Gesetzlichchen Vergütungsregeln kommt deshalb eine objektiv berufsregelnde Tendenz zu. Sie sind daher am Maßstab des Art.12 Abs.1 GG zu messen. Nichts anderes gilt für gerichtliche Entscheidungen, die auf gesetzlichen Vergütungsregelungen beruhen. In gleicher Weise ist die Berufsausübungsfreiheit eines Rechtsanwalts außerdem durch eine gerichtliche Streitwertfestsetzung berührt, denn gemäß §2 Abs.1, §23 Abs.1 Satz1 RVG leitet sich die Höhe seines Vergütungsanspruchs unmittelbar aus der Höhe des Streitwerts ab (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.August 2005 -1 BvR 46/05, NJW 2005, 2980 = juris, Rn.16 f., m.w.N.). Der Eingriff in die Berufsausübung findet im vorliegenden Fall allerdings die erforderliche gesetzliche Grundlage (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 9.Juni 2004 -1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10 = juris, Rn.97, m.w.N.) in §47 Abs.1, §53 Abs.2 Nr.1, §52 Abs.1 GKG. Auslegung und Anwendung dieser Normen durch das Oberverwaltungsgericht sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das (sinngemäße) Vorbringen der Beschwerdeführerin zu 4., die Vorgehensweise des Oberverwaltungsgerichts, als Bezugsgröße der Kapazitätsfestsetzung die einzelnen Lernbereiche bzw. Studienfächer und als Bezugsgröße der Streitwertfestsetzung das Interesse an lediglich einem Studienplatz in einem Lehramtsstudiengang heranzuziehen, sei nicht konsequent, führt zu keiner anderen Bewertung. Nach § 53 Abs.2 Nr.1, §52 Abs.1 GKG ist der Streitwert in Verfahren nach §123 VwGO nach richterlichem Ermessen anhand der sich aus dem Antrag ergebenden Bedeutung der Sache für den Antragsteller zu bestimmen. Davon ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen. Dabei ist seine Annahme, von Bedeutung für die Beschwerdeführerin zu 3.sei nicht die Ausgestaltung der Zulassungsentscheidung, sondern dass sie im Ergebnis einen Studienplatz im Bachelor-Studium Lehramt an Grundschulen erhalte, nachvollziehbar und von sachwidrigen Erwägungen frei. Sie ist jedenfalls vertretbar und lässt eine Überschreitung des richterlichen Ermessensspielraums nicht erkennen.