Wer als Arbeitnehmer kündigt, wird von Arbeitgebern in der Praxis oft bis zum Ende der Kündigungsfrist freigestellt – das heißt, er muss nicht mehr arbeiten, erhält aber weiterhin sein Gehalt. In einem aktuellen Fall passte einem Gebietsleiter jedoch nicht, dass er durch die Freistellung auch seinen Dienstwagen für die Restlaufzeit verlor. Er verlangte deshalb eine Entschädigung für den Nutzungsentgang – zu Recht, wie das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen entschied. Das Urteil vom 22.05.2025 (Az. 5 SLa 249/25) stellt klar: Eine pauschale Freistellungsklausel im Arbeitsvertrag ist unwirksam, und entzieht der Arbeitgeber dem freigestellten Arbeitnehmer den Firmenwagen, muss er Schadensersatz in Höhe des geldwerten Vorteils zahlen.
Sachverhalt: Kündigung und entzugener Dienstwagen
Der Kläger, ein als Gebietsleiter beschäftigter Arbeitnehmer, hatte im Jahr 2024 sein Arbeitsverhältnis selbst gekündigt. Vertragsgemäß lief sein Arbeitsvertrag noch sechs Monate bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (Ende November 2024). Der Arbeitgeber stellte ihn jedoch unmittelbar nach Eingang der Kündigung einseitig von der Arbeit frei und berief sich auf eine entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag. Gleichzeitig wurde der Kläger angewiesen, seinen Dienstwagen bis spätestens 30.06.2024 zurückzugeben. Der Dienstwagen war dem Arbeitnehmer auch zur privaten Nutzung überlassen, und der geldwerte Vorteil dieser Privatnutzung war vertraglich auf 510 € brutto pro Monat beziffert.
Der Gebietsleiter gab den Wagen wie gefordert zurück. Da er in den verbleibenden Monaten der Kündigungsfrist den Firmenwagen nicht mehr privat nutzen konnte, verlangte er Schadenersatz in Höhe von monatlich 510 € für jeden Monat der Freistellung. Das Arbeitsgericht hat der Klage zunächst nur hinsichtlich eines Monats (Juli 2024) stattgegeben und die weitergehende Forderung abgewiesen. In zweiter Instanz vor dem LAG Niedersachsen hatte der Arbeitnehmer jedoch vollen Erfolg: Das LAG sprach ihm für den gesamten Zeitraum von Juli bis November 2024 eine Entschädigung von monatlich 510 € zu.
Hinweis: Die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) wurde zugelassen – es bleibt abzuwarten, ob das BAG diese Rechtsgrundsätze bestätigen wird.
Unwirksame Freistellungsklausel im Arbeitsvertrag
Das LAG Niedersachsen hielt die Freistellungsklausel im Arbeitsvertrag für unwirksam, weil sie den Arbeitgeber ohne weitere Voraussetzungen berechtigte, den Mitarbeiter innerhalb der Kündigungsfrist freizustellen. Eine solche formularmäßige Klausel (AGB) benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und verstößt gegen § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Im Ergebnis erklärte das Gericht die Klausel nach der Inhaltskontrolle des AGB-Rechts für nichtig.
Begründung: Die einseitige Freistellung ohne sachlichen Grund ist mit wesentlichen Grundgedanken des Arbeitsrechts nicht vereinbar – insbesondere verletzt sie den grundrechtlich untermauerten Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht ein allgemeiner Anspruch des Arbeitnehmers, bis zum Ende der Kündigungsfrist tatsächlich beschäftigt zu werden. Rechtsgrundlage dieses Weiterbeschäftigungsanspruchs ist eine richterliche Rechtsfortbildung auf Grundlage von § 242 BGB (Treu und Glauben) in Verbindung mit den Art. 1 und 2 GG (Achtung der Menschenwürde und freie Entfaltung der Persönlichkeit). Der Arbeitnehmer hat also – neben dem Gehalt – ein schützenswertes Interesse daran, seine Arbeitsleistung erbringen zu dürfen, um beruflich eingebunden zu bleiben und keine Nachteile für seine berufliche Entwicklung oder seinen Ruf zu erleiden. Allein der Umstand einer Kündigung (egal ob vom Arbeitgeber oder Arbeitnehmer ausgesprochen) rechtfertigt es nicht, ihm diese Beschäftigungsmöglichkeit zu nehmen.
Eine Freistellung gegen den Willen des Arbeitnehmers kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers im Einzelfall vorliegen. Das LAG führte beispielhaft an, dass etwa die Besorgnis der Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen, die Befürchtung konkurrierender Tätigkeit oder die Gefahr der Mitnahme von Kunden ein berechtigtes Freistellungsinteresse begründen können. Ein solcher Grund muss aber konkret bestehen und über die bloße Kündigung an sich hinausgehen. Eine Klausel, die dem Arbeitgeber pauschal bei jeder Kündigung ein Freistellungsrecht einräumt, verkehrt das Regel-Ausnahme-Verhältnis ins Gegenteil. Nach der Wertung des Gerichts wird damit die Ausnahme (Freistellung nur bei berechtigtem Interesse) zur Regel gemacht, was unzulässig ist. Zudem genüge eine derart unbegrenzte Klausel nicht dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 2 BGB, da sie keine klaren Voraussetzungen für die Freistellung nennt. Folglich ist die Klausel insgesamt unwirksam.
Entschädigung für den entgangenen Dienstwagen
Wegen der Unwirksamkeit der Freistellungsklausel war die angeordnete Freistellung des Klägers rechtlich nicht wirksam – der Arbeitnehmer hätte ohne die Freistellung bis zum Kündigungsende weiterarbeiten dürfen und den Dienstwagen behalten. Die Herausgabe des Fahrzeugs ohne Ersatz war daher rechtswidrig. Das LAG bejahte einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 283 Satz 1 BGB in Höhe des vereinbarten Nutzungsvorteils von 510 € pro Monat. Denn der Arbeitgeber hat durch die unberechtigte Freistellung die weitere Überlassung des Dienstwagens vereitelt (Leistung unmöglich gemacht) und damit eine vertragliche Pflicht verletzt. Für die Zeit von Juli bis November 2024 muss der Arbeitgeber dem Kläger daher monatlich 510 € Entschädigung zahlen, als Ausgleich für die entgangene Privatnutzung des Firmenwagens. Zusätzlich ist dieser Betrag ab Fälligkeit zu verzinsen (§§ 286, 288 BGB), was im Arbeitsrecht jedoch üblich ist, wenn der Arbeitgeber mit einer Zahlung in Verzug gerät.
Der Zuspruch der Nutzungsausfall-Entschädigung entspricht der arbeitsrechtlichen Grundlinie, dass die Privatnutzung eines Dienstwagens Bestandteil des Arbeitsentgelts ist. Sie stellt einen Sachbezug (geldwerten Vorteil) dar, der zur Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers gehört. Nach der Rechtsprechung des BAG darf ein Arbeitgeber diesen Vergütungsbestandteil nicht einseitig entziehen, solange er zur Gehaltszahlung verpflichtet ist. Auch bei einer bezahlten Freistellung bleibt daher grundsätzlich das Recht zur privaten Dienstwagennutzung bestehen. Entzieht der Arbeitgeber den Wagen während der Freistellung, ohne vertragliche Grundlage und ohne Ausgleich, so kommt dies einer unzulässigen Lohnkürzung gleich. Der Arbeitnehmer ist finanziell so zu stellen, als dürfte er den Firmenwagen bis zum Ende der Kündigungsfrist weiter privat nutzen. Genau dies hat das LAG Niedersachsen mit seiner Entscheidung sichergestellt.
(Hinweis: Anders kann die Lage nur sein, wenn eine ausdrückliche vertragliche Regelung den Entzug des Dienstwagens bei Freistellung ohne Ausgleich gestattet – doch eine solche Regelung unterliegt eben der strengen AGB-Kontrolle, wie hier geschehen. Das BAG hat z.B. entschieden, dass Widerrufsvorbehalte für Dienstwagen transparent und sachlich gerechtfertigt formuliert sein müssen, damit der Arbeitgeber die Privatnutzung im Kündigungsfall wirksam widerrufen kann.)
Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Für Arbeitnehmer:
- Freistellung nicht vorschnell akzeptieren: Lassen Sie sich nicht ohne Weiteres auf eine Freistellung ein, wenn dadurch Vorteile wie Dienstwagen, Bonuszahlungen oder andere vertragliche Zusatzleistungen verloren gehen sollen. Sie haben grundsätzlich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ein Recht auf Beschäftigung und auf Ihre vertraglich zugesicherten Vergütungsbestandteile.
- Vertragsklauseln prüfen: Werfen Sie einen Blick in Ihren Arbeitsvertrag auf die Freistellungsklausel. Ist diese sehr pauschal gehalten und erlaubt dem Arbeitgeber eine Freistellung ohne Angaben von Gründen, ist sie vermutlich unwirksam. In einem solchen Fall können Sie darauf bestehen, weiterhin beschäftigt zu werden oder zumindest die vereinbarten Vorteile (z.B. Dienstwagen zur Privatnutzung) bis zum Vertragsende zu behalten.
- Ansprüche geltend machen: Werden Sie während der Kündigungsfrist freigestellt und nimmt man Ihnen den Dienstwagen oder andere zugesagte Leistungen weg, sollten Sie Ihre Ansprüche auf Ausgleich geltend machen. Auch nach einer Eigenkündigung müssen Sie eine entschädigungslose Entziehung von Vergütungskomponenten nicht einfach hinnehmen. Sie können – notfalls gerichtlich – Schadensersatz in Höhe des entgangenen Vorteils verlangen, wie das LAG Niedersachsen gezeigt hat.
Für Arbeitgeber:
- Vertragsklauseln anpassen: Überprüfen Sie bestehende Arbeitsverträge auf Freistellungsklauseln. Allgemeine Formulierungen, die eine Freistellung ohne sachlichen Grund bei jeder Kündigung ermöglichen, sollten dringend überarbeitet werden. Andernfalls riskieren Sie im Streitfall nicht nur die Unwirksamkeit der Klausel, sondern auch erhebliche Nachzahlungspflichten für entzogene Vorteile. Empfehlenswert ist, Freistellungsklauseln mit konkreten Voraussetzungen zu versehen – z.B. die Möglichkeit der Freistellung aus wichtigem Grund, insbesondere bei Verdacht auf Geheimnisverrat, Konkurrenzabsichten oder ähnlichen berechtigten Interessen des Unternehmens.
- Freistellung nur bei berechtigtem Interesse: Machen Sie sich bewusst, dass die Eigenkündigung eines Arbeitnehmers allein keinen Freistellungsgrund darstellt. Ohne zusätzliche Gründe – wie die Gefahr von Störungen im Betriebsablauf, Sabotage oder Vertrauensverlust – darf der Arbeitnehmer bis zum Ende der Kündigungsfrist beschäftigt werden. Die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers ist die Regel, die Freistellung die (eng zu begründende) Ausnahme.
- Risiken bei Dienstwagen beachten: Wenn Sie einen freigestellten Mitarbeiter den Dienstwagen entziehen, müssen Sie im Regelfall den Nutzungswert ersetzen. Planen Sie dies finanziell ein oder erwägen Sie, dem Mitarbeiter die Privatnutzung bis zum Ende der Kündigungsfrist weiterhin zu gestatten. Ein ersatzloser Entzug von Firmenwagen, Laptop, Telefon oder ähnlichen Sachleistungen während einer bezahlten Freistellung kann rechtlich als Vertragsverletzung gewertet werden, die Schadensersatzansprüche nach sich zieht. Um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, kann es sinnvoll sein, mit ausscheidenden Mitarbeitern einvernehmliche Lösungen zu finden – z.B. einen Aufhebungsvertrag mit beidseitiger Freistellungsvereinbarung oder eine Abgeltung von Vorteilen im Rahmen einer Abfindung.
Dieses Urteil aus Niedersachsen setzt ein deutliches Signal zugunsten von Arbeitnehmerrechten: Standardklauseln ohne Rücksicht auf den Einzelfall sind unwirksam – wer einem Mitarbeiter pflichtwidrig die Arbeit verweigert und vertragliche Vergütungsbestandteile wie den Dienstwagen entzieht, der muss am Ende bezahlen. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber tun gut daran, ihre Verträge und Vorgehensweisen an diese Rechtslage anzupassen, um auf der sicheren Seite zu sein.