Mann bewirbt sich als Sekretärin – AGG-Hopping next Generation?

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat mit Urteil vom 05.12.2023 zum Aktenzeichen 6 Sa 896/23 entschieden, dass ein Bewerber um einen Arbeitsplatz keinen Anspruch auf AGG-Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts hat, weil es einen Rechtsmissbrauch annahm.

Die Parteien streiten um einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aufgrund einer Benachteiligung wegen des Geschlechts.

Der im Jahr 1994 geborene, ledige und keiner Person zum Unterhalt verpflichtete Kläger hat Abitur und ist ausgebildeter Industriekaufmann. Er ist wohnhaft in A bei B und bezieht aufgrund seiner Arbeitslosigkeit aktuell Bürgergeld.

Der Kläger bewarb sich in der Vergangenheit mehrfach auf Stellenausschreibungen für eine „Sekretärin“ bei diversen Unternehmen und führte im Nachgang Entschädigungsprozesse aufgrund einer etwaigen Benachteiligung wegen des Geschlechts.

Dem Entschädigungsverlangen des Klägers steht der Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegen, auf welchen sich die Beklagte auch berufen hat.

Das objektive Element für einen Rechtsmissbrauch durch den Kläger liegt vor.

Aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände folgt, dass der Kläger zwar formal den Status eines benachteiligten Bewerbers für sich in Anspruch nehmen kann, dass es aber nach dem Zweck des § 15 Abs. 2 AGG nicht gerechtfertigt wäre, ihm eine Entschädigung zuzusprechen. Solche Anhaltspunkte ergeben sich aus der Entfernung der Stelle vom Wohnort des Klägers, dem Inhalt sowie der Art und Weise seiner Bewerbung, der Unvereinbarkeit einer Vollzeitstelle mit einem Vollzeitstudium, sowie insbesondere und zentral der durch die Prozesshistorie belegten Entwicklung des Bewerbungsverhaltens einschließlich der Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen durch den Kläger im Sinne eines Geschäftsmodells in „zweiter Generation“.

Ein erster diesbezüglicher Anhaltspunkt ergibt sich zunächst aus dem Wohnort des Klägers, welcher in 170 Kilometer Entfernung von seiner potentiellen Tätigkeitsstelle bei der Beklagten lag. Dies spricht nach Auffassung der Kammer jedenfalls vorliegend dafür, dass eine Arbeitsaufnahme nicht beabsichtigt war.

Dabei geht die Kammer bei Würdigung des gesamten Akteninhalts nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO zunächst davon aus, dass der Kläger nicht bereit war, ins Ruhrgebiet, nach H oder in die Nähe zu ziehen.

Der Kläger versicherte in seiner Bewerbung „Ich suche derzeit eine neue Wohnung in ihrem Umkreis oder könnte mir einen Umzug sehr gut vorstellen“. Bereits die Formulierung ist in sich widersprüchlich. Der Kläger weiß, ob er nach einer Wohnung „in ihrem Umkreis“ gesucht hat oder nicht. Diesen tatsächlichen Umstand aber nun in ein Alternativverhältnis zu stellen mit der Formulierung „oder könnte mir einen Umzug sehr gut vorstellen“ ergibt vor diesem Hintergrund keinen Sinn. Es zeigt vielmehr, dass der Kläger tatsächlich keine Wohnung gesucht hat, da er selbst gerade als Alternative zur tatsächlichen Wohnungssuche vorgibt, sich einen Umzug vorstellen zu können, wenn er keine Wohnung gesucht hat. Auf Nachfrage der Kammer im Kammertermin, wo genau der Kläger eine Wohnung gesucht habe, teilte er im Übrigen mit, dass dies in I in der K straße der Fall gewesen sein soll. Weitere Orte oder Straßen oder gar Adressen vermochte der Kläger nicht zu benennen und versuchte er auch nicht zu benennen. Auch konkretisierte er keinerlei sonstige Angaben zu etwaigen, ins Auge gefassten Wohnungen. Schriftsätzlicher Vortrag findet sich hierzu im Übrigen überhaupt nicht. Bestärkt wird dies dadurch, dass der Kläger im Laufe des Verfahrens abstrakt behauptet hat, er habe nach H ziehen wollen. Im Kammertermin behauptete er plötzlich, I sei der Ort seiner Wahl gewesen. Die Kammer geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass eine entsprechende Wohnungssuche nicht erfolgt ist, vielmehr handelte es sich bei der vorstehenden Formulierung um eine inhaltsleere und unzutreffende Behauptung. Dies verdeutlichen auch die weiteren von der Beklagten in den hiesigen Prozess eingeführten Gerichtsverfahren. Dort gab der Kläger sowohl gegenüber Unternehmen in Schleswig-Holstein, G, F, E, D, C etc. ebenfalls an, aktuell nach Wohnungen in der Nähe zu suchen. Besonders bezeichnend ist, dass sich der Kläger im August/September 2021 sowohl in G, als auch in F bewarb und jeweils angab, gerade Wohnungen in der Nähe zu suchen. Die Entfernung beträgt von Stadtmitte zu Stadtmitte 505 Kilometer mit dem PKW.

Es handelt sich damit nach Auffassung der Kammer lediglich um eine leere Floskel.

Geht man davon aus, dass Kläger nicht umzugswillig war, hat er auch nicht vorgetragen, wie er das tägliche Pendeln zwischen A bei B und H habe bewerkstelligen wollen.

Bei völlig freier Fahrtstrecke mit dem PKW erfordert die Reise pro Wegstrecke nach googlemaps ca. zwei Stunden für die ca. 170 Kilometer. Dass der Kläger eine solche tägliche Fahrtzeit von mindestens vier Stunden auf sich genommen hätte, ist schlicht abwegig. Dabei ist gedanklich auch einzubeziehen, dass eine entsprechende Anreise einen Großteil der Vergütung von ca. 3.000,00 EUR brutto aufgezehrt hätte und damit völlig unwirtschaftlich gewesen wäre. Dies gilt umso mehr, als dass sich entsprechende Stellen – wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat – in entsprechender örtlicher Nähe zum Wohnsitz des Klägers befinden dürften. Obgleich der deutlichen Ausführungen des Arbeitsgerichts zu diesem Punkt hat sich der Kläger in der Berufungsbegründung – wenig überzeugend – allein darauf zurückgezogen, dass es seine Sache sei, wie er seine Tätigkeitsstelle erreiche und ob er pendeln wolle und im Übrigen Rechtsprechung zitiert.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln über drei Stunden pro Wegstrecke in Anspruch nehmen würde. Dies würde allerdings nur bei einer Nutzung eines ICE gelten. Im Übrigen betragen die Anreisezeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens dreieinhalb Stunden.

Objektive Anzeichen für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers ergeben sich aus dem Inhalt sowie der Art und Weise seiner Bewerbung. Die Bewerbung des Klägers gegenüber der Beklagten um die Stelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“ war nach ihrer objektiven Erscheinung darauf angelegt, eine Absage zu provozieren. Ein Interesse an der Stelle dokumentierte sie demgegenüber nicht.

Die Bewerbung weist bereits keinerlei Bezug zur Branche oder zum Geschäft der Beklagten auf. Auch geht sie nicht detailliert auf die in der Stellenausschreibung geforderten Qualifikationen sowie das Aufgabengebiet der konkreten Stelle ein. Die Beklagte suchte für die vakante Stelle eine Person, die nach ihrer Qualifikation sehr gute Kenntnisse in MS-Office, ein eigenverantwortliches und selbständiges Arbeiten sowie eine hohe Einsatzbereitschaft, Flexibilität und Teamfähigkeit vorweisen können sollte. Lediglich auf den Umgang mit MS-Office nimmt der Kläger kurz Bezug. Im Übrigen beschränkt er sich auf die Schilderung von Allgemeinplätzen wie „Berufserfahrung im Büro“ und „typische Bürotätigkeiten“. Ferner besitzen seine Ausführungen dahingehend, dass er sich mit Gesetzen gut auskenne und auch Lieferscheine schreiben könne, keinerlei Bezug zur Stellenausschreibung. Auch der Hinweis auf seine Berufserfahrung in der „Personalabteilung, Vertrieb und im Einkauf“ lässt sich nicht in Einklang mit den Qualifikationsanforderungen der Stellenausschreibung bringen. Woraufhin seitens des Klägers der pauschale und aus Sicht des potentiellen Arbeitgebers nichtssagende Satz folgt, „Ihre Anforderung in der Stellenausschreibung erfülle ich allesamt“. Eine derartige Bewerbung lässt auf ihre fehlende Ernsthaftigkeit schließen.

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass kein Erfahrungssatz des Inhalts existiert, dass jemand, der sich wenig Mühe mit seinem Bewerbungsschreiben gibt, sich nur bewirbt, um die formale Position eines Bewerbers zu erlangen, mit dem ausschließlichen Ziel Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Es stellt aber nach der Rechtsprechung des BAG gleichwohl ein Indiz dafür dar, dass es dem Bewerber nicht darum ging, die Stelle tatsächlich zu erhalten, wenn er sich mit den in der Stellenbeschreibung genannten Kriterien inhaltlich nicht auseinandersetzt.

Mit Blick auf seinen Lebenslauf gab der Kläger lediglich an, sieben Jahre im Büro tätig gewesen zu sein und über sieben Jahre Erfahrung im Bereich MS-Office zu verfügen. Er benannte weder vorherige Tätigkeiten bei anderen Arbeitgebern, noch stellte er chronologisch seinen bisherigen Ausbildungsweg bzw. seine Erwerbsbiografie dar.

Aussagekräftige Unterlagen, wie etwa Zeugnisse etc., übersandte er zu keinem Zeitpunkt. Insbesondere auch nicht mit seiner schriftlichen Bewerbung. Vor diesem Hintergrund war die Beklagte – selbst bei einem unterstellten potentiellen Interesse an einem männlichen Bewerber – völlig außer Stande, die Qualifikation bzw. die Geeignetheit des Klägers für die Besetzung der Stelle zu beurteilen. Ein Bewerber, der ernsthaft an der Stelle interessiert gewesen wäre, wie der Kläger Abitur besitzt und – wie die Schriftsätze des Klägers zeigen – auch im Übrigen äußerst eloquent ist, hätte sich ansprechender präsentiert. Er hätte sich im Übrigen, wenn er schon neben der elektronischen Bewerbung noch ein schriftliches Bewerbungsschreiben verfasst, auch der Mühe unterzogen, jedenfalls dem schriftlichen Bewerbungsschreiben aussagekräftige Unterlagen beizufügen. Der Kläger ließ die Beklagte demgegenüber nicht einmal wissen, dass er bereit ist, entsprechende Unterlagen auf Nachfrage zu übersenden. Die Bewerbung war daher offensichtlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Gleichzeitig enthielt das Bewerbungsschreiben einen Hinweis darauf, dass sich der Kläger mit „Gesetzen gut aus“ (-kennt). Dies war erkennbar nicht Voraussetzung für die Tätigkeit bei der Beklagten. Auch im Übrigen ergibt sich keinerlei Bezug zum Inhalt der Tätigkeit, so dass sich ein potentieller Arbeitgeber fragen und zwangsläufig misstrauisch werden muss, welchen Zweck ein Bewerber mit diesem Hinweis verfolgt. Dies gefährdete zusätzlich den Erfolg der Bewerbung.

Im Übrigen sah die Stellenbeschreibung ein voraussichtliches Einstiegsdatum zum 03.10.2022 vor. Vor diesem Hintergrund zeigte sich, dass die Beklagte dringend und möglichst zeitnah eine entsprechende Kraft suchte. Die Hinweise darauf, dass der Kläger nicht über eine Wohnung im Umkreis des Geschäftssitzes der Beklagten verfügte unter gleichzeitiger Angabe seiner Adresse, welche sich ca. 170 Kilometer entfernt von dem Betrieb der Beklagten befand, musste bei der Beklagten berechtigte Zweifel auslösen, ob dem Kläger ein zeitnaher Stellenantritt überhaupt möglich sein würde.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist weiterhin auch die Kleinschreibung von „ihre“ und „ihrem“ in der Bewerbung ein objektiver Anhaltspunkt für das fehlende Interesse an der konkreten Stelle. Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist es wesentliche Voraussetzung für einen geeigneten Stellenbewerber auf die Stelle als „Sekretärin“, dass dieser die Gepflogenheiten der geschäftlichen Korrespondenz beherrscht. Die genutzte Kleinschreibung in diesem Zusammenhang erweist sich damit als erste negative Visitenkarte des Bewerbers. Sie würde jeden potentiellen Arbeitgeber dazu veranlassen, direkt an der Geeignetheit des Bewerbers zu zweifeln. Entsprechendes gilt für den wenig ansprechenden Satzbau („Lieferscheine kann ich auch schreiben und Rechnungen“).

All diese Umstände in der Bewerbung lassen den objektiven Schluss zu, dass es dem Kläger nicht darum ging, die Beklagten davon zu überzeugen, dass es sich bei ihm um den bestgeeigneten Bewerber handelt, sondern der Beklagten schon bei Sichtung der Bewerbungsunterlagen durchgreifende Gründe für eine Ablehnung seiner Bewerbung zu geben. Der präsentierte die Ablehnung seiner Bewerbung durch die Art und Weise seiner Bewerbung damit sinnbildlich aus dem „Silbertablett“.

Ebenfalls gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbung spricht aus Sicht der Kammer, dass es sich um eine Vollzeitstelle handelte. Der Kläger absolvierte nach seinem eigenen Vortrag in der Klageschrift unstreitig ein Fernstudium im Wirtschaftsrecht. Die Kammer geht vor diesem Hintergrund nicht davon aus, dass der Kläger sein Studium zu Gunsten einer Vollzeitstelle bei der Beklagten hätte aufgeben wollen. Damit liegt ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch vor. Wie der Kläger gleichwohl die parallele Durchführung von Vollzeitstudium und Vollzeitstelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“ habe bewerkstelligen wollen im Sinne einer sekundären Darlegungslast, hat der Kläger nicht vorgetragen, was objektiv erneut die fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbung dokumentiert.

Ein weiterer und entscheidender objektiver Anhaltspunkt für einen Rechtsmissbrauch liegt nach Auffassung der Kammer in der Vielzahl der gezielten Bewerbungen auf Stellen für eine „Sekretärin“ nebst im Nachgang geführten Entschädigungsprozessen und der daraus folgenden Entwicklung eines Geschäftsmodells in „zweiter Generation“.

Dabei sind folgende Grundsätze des BAG bezüglich dieses objektiven Anhaltspunktes zu berücksichtigen:

Auf einen Rechtsmissbrauch kann grundsätzlich nicht bereits geschlossen werden, wenn eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt. Ein solches Verhalten lässt sich – für sich betrachtet – ebenso damit erklären, dass ein ernsthaftes Interesse an dem Erhalt der jeweiligen Stelle bestand und dass der Bewerber, weil er sich entgegen den Vorgaben des AGG bei der Auswahl- und Besetzungsentscheidung diskriminiert sieht, mit der Entschädigungsklage zulässigerweise seine Rechte nach dem AGG wahrnimmt.Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Person sich häufig auf solche Stellenausschreibungen beworben hat, die Formulierungen, insb. Anforderungen enthalten, die mittelbar oder unmittelbar an einen der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpfen und deshalb „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, der Arbeitgeber habe die Stelle entgegen § 11 AGG, wonach ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden darf, ausgeschrieben. Dies folgt bereits daraus, dass der Bewerber auch in einem solchen Fall mit einer Entschädigungsklage grundsätzlich ein nicht unerhebliches Risiko eingeht, den Prozess zu verlieren und damit nicht nur keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu erlangen, sondern auch mit den Kosten des Rechtsstreits belastet zu werden. So kann die unmittelbare Benachteiligung des Bewerbers nach § 8 AGG, nach § 9 AGG oder nach § 10 AGG zulässig sein und dem Arbeitgeber ist es unbenommen, Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.

Wegen dieses (Kosten-)Risikos und unter Berücksichtigung des Umstands, dass selbst dann, wenn die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aufgrund anderer erfolgloser Bewerbungen rechtsmissbräuchlich (gewesen) sein sollte, dies nicht ohne Weiteres auch für die jeweils streitgegenständliche gelten muss, sind an die Annahme des durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwands insoweit hohe Anforderungen zu stellen. Es reicht daher nicht aus, dass die Entschädigungsverlangen des Klägers in den anderen von der Beklagten angeführten Verfahren dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand ausgesetzt gewesen sind. Es müssen vielmehr Umstände vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, auch die Bewerbung des Klägers auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle und die sich an die Ablehnung anschließende Entschädigungsklage seien Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens des Klägers im Rahmen eines „Geschäftsmodells“.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die vorliegende Bewerbung nebst zu beurteilendem Entschädigungsverlangen als Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens des Klägers im Rahmen eines Geschäftsmodells, welches sich nunmehr in der „zweiten Generation“ befindet.

Bei diesem Geschäftsmodell bewirbt sich der Kläger laufend und deutschlandweit auf offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“. Nach einer durch die Art und Weise seiner Bewerbung provozierten Absage, versucht er Entschädigungsansprüche (gerichtlich) durchzusetzen, um im Ergebnis mit dem Bezug von Bürgergeld und dem „Verdienst“ aus seinen Bewerbungsprozessen im weiteren Sinn – in doppelter Hinsicht auf Kosten anderer – seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Unstreitig hat der Kläger sich mit weitestgehend wortgleichen Schreiben bzw. E-Mails (d.h. der ersten Generation; abseits des Bewerbungstextes im hiesigen Verfahren = zweite Generation) auf eine Vielzahl von Stellen („Sekretärin“) beworben und im Anschluss Entschädigungsprozesse geführt. Dabei hat die Kammer nur diejenigen Verfahren in demjenigen Stand – entsprechend der Rechtsprechung des BAG – berücksichtigt, die sich bis zur Bewerbung des Klägers am 03.01.2023 bzw. deren konkludenter Ablehnung zugetragen haben.

So hat der Kläger zuletzt – nach Hinweis durch die Kammer im Kammertermin – den Vortrag der Beklagten nicht bestritten, dass er in G in 15 Monaten 11 Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin geführt hat, bei denen er sich stets zuvor auf nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen für eine „Sekretärin“ nach dem stets gleichen Schema (Standardbewerbungsschreiben für Stellenanzeigen bei eBay Kleinanzeigen) beworben hat. Hinzu kommen die gleichgelagerten Verfahren vor dem ArbG Berlin (42 Ca 10434/21) und dem LAG Schleswig-Holstein (2 Sa 21/22, zuvor ArbG Elmshorn) sowie – neben dem hiesigen Verfahren – zwei weitere Verfahren vor dem ArbG Gelsenkirchen und ArbG Hagen (2 Ca. 1421/21). Der hiesige Kläger war ferner auch Kläger vor dem Arbeitsgericht Dortmund (3 Ca 3087/22) in einem gleichgelagerten Fall, in welchem er ebenfalls auf Entschädigung nach Bewerbung auf eine „Sekretärinnen-Stelle“ klagte. Soweit die Beklagte im Übrigen vollinhaltlich auf das Urteil des LAG Hamm (18 Sa 888/22) Bezug genommen hat, ergibt sich daraus, dass die damalige Beklagte im Verfahren vor dem LAG Schleswig-Holstein vortrug, dass der Arbeitsrichter im Verfahren der ersten Instanz (ArbG Elmshorn) darauf hingewiesen haben, dass 10 bis 12 weitere AGG-Verfahren des Klägers dort gerichtbekannt gewesen seien. Mit jedenfalls wörtlich gleichem Erstanschreiben der ersten Generation bewarb sich der Kläger zudem auf ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ bei Unternehmen in C, D, E, F und G. Die Beklagte hat ferner vorgetragen, dass der Kläger eine Vielzahl von weiteren Prozessen gleicher Art führe.

Der Kläger ist diesem Vortrag, soweit er nicht bereits unstreitig war, nicht entgegengetreten. Er hat vielmehr im Kammertermin geäußert, dass er ja wissen, dass er die Prozesse nicht bestreiten dürfe. Der Vortrag gilt damit insgesamt als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO

Vor dem Hintergrund dieser gleichförmigen Klagemasse treten nun Umstände im Sinne der Rechtsprechung des BAG hinzu, die den Schluss rechtfertigen, dass (auch) die Bewerbung des Klägers auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle und die sich an die (stillschweigende) Ablehnung anschließende Entschädigungsklage Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens des Klägers im Rahmen des dargestellten „Geschäftsmodells“ in zweiter Generations sind.

Der Kläger, welcher sich systematisch bundesweit auf unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ bewirbt, keine dieser Stellen – soweit ersichtlich – je angetreten und eine Vielzahl von Entschädigungsansprüchen aufgrund von Benachteiligungen nach dem AGG prozessual geltend gemacht hat, passt sein Bewerbungsverhalten nämlich anhand der in den geführten AGG-Prozessen gewonnenen Erkenntnissen systematisch für zukünftige Bewerbungen und Entschädigungsprozesse an.

Bezeichnender Weise erfolgt eine Optimierung nicht – wie es von einem Stellenbewerber mit realem Interesse an der Stelle zu erwarten wäre – im Hinblick auf die Überzeugungskraft seiner Bewerbung bzw. der entsprechenden Unterlagen. Diese belässt er – nach Ansicht der Kammer bewusst – auf aussichtlosem Niveau. Umso akribischer bereinigt der Kläger auf Basis gewonnener Prozesserfahrungen seine zukünftigen Bewerbungen und sein Bewerbungsverhalten um sämtliche Aspekte, die der erfolgreichen Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs oder in sonstiger Weise entgegenstehen. Dies ergibt sich aus der prozessübergreifenden Prozesshistorie und rechtfertigt die Annahme eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens.

So wies das ArbG Elmshorn mit Urteil vom 16.12.2021 – 4 Ca 592 a/21 eine Entschädigungsklage des Klägers ab. Der Kläger hatte damals das beklagte Unternehmen ausschließlich per Chat-Funktion der Plattform eBay Kleinanzeigen kontaktiert. Da ArbG Elmshorn ging davon aus, dass der Kläger formell nicht Bewerber sei. Der damaligen Beklagten seien keine Wohnanschrift, E-Mailadresse und weitere regelmäßige Informationen wie Alter, Familienstand, berufliche Erfahrungen und ähnliches bekannt. Unterlagen, Nachweise und eine konkrete Bewerbung seien nicht übermittelt worden.

Dies nahm der Kläger – wie das hiesige Verfahren zeigt – zwischenzeitlich zum Anlass, sich zusätzlich postalisch unter Nennung seiner Adresse zu bewerben. Demgegenüber sah er von der Ergänzung sämtlicher monierter fehlender Informationen zunächst insoweit ab, als diese ebenfalls seinen zukünftigen Bewerbungen zum Erfolg hinsichtlich der Stelle selbst hätten verhelfen können (Nennung von Alter und Familienstand, Nachweise über Ausbildungen etc.). Ein Bewerber mit Interesse an der Stelle hätte demgegenüber auf die ausdrückliche Rüge durch ein Arbeitsgericht zukünftig aussagekräftige Unterlagen beigefügt, um seine Bewerbungschancen zu steigern.

Das Arbeitsgericht Berlin verweigerte dem Kläger sodann mit Urteil vom 23.06.2022 (42 Ca 10434/21) einen Entschädigungsanspruch unter Hinweis auf die Rechtsmissbräuchlichkeit seines Begehens. Ein systematisches Vorgehen ergebe sich u.a. daraus, dass der Kläger sich nahezu ausschließlich auf solche Ausschreibungen auf der Internet-Plattform eBay Kleinanzeigen beworben habe. Dabei zeige bereits die Bewerbung, was das eigentliche Ansinnen des Klägers sei. So habe er insbesondere in seiner E-Mail vom 29.08.2021 ausdrücklich gefragt, ob ausschließlich eine Frau gesucht werde und gleichzeitig festgestellt, dass das Unternehmen dies so angegeben habe. Dies sei unnötig gewesen und habe lediglich darauf hinweisen sollen, dass es sich bei dem Kläger gerade um einen Mann handele. Entsprechend habe er die E-Mail auch mit „Herr …“ unterzeichnet. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass Fragen zu Stellenanzeigen im Rahmen eines Anschreibens äußerst unüblich seien.

Ein solches Bewerbungsschreiben des Klägers der ersten Generation lag auch dem Urteil des Arbeitsgerichts Hagen (06.04.2022 – 2 Ca 1421/21) zugrunde, welches im Ergebnis ebenfalls einen Rechtsmissbrauch bejahte. Es monierte ebenfalls die vorstehende Fragestellung nach einer Frau. Ferner ergebe sich in subjektiver Hinsicht der Rechtsmissbrauch daraus, dass der Kläger im Rahmen seiner äußerst kurz gehaltenen Bewerbung im Übrigen lediglich pauschal und floskelhaft von seiner Erfahrung im Büro und seiner abgeschlossenen Ausbildung als Industriekaufmann spreche, ohne dies näher – zum Beispiel durch Vorlage eines Lebenslaufs – zu konkretisieren.

Diese beiden Verfahren nahm der Kläger erneut zum Anlass, ausschließlich Merkmale, die eine Rechtsmissbräuchlichkeit seiner Entschädigungsverlangen begründen könnten, systematisch zu eliminieren.

Im Eingangssatz entfernte er seinen unmittelbaren Hinweis, mit welchem er zuvor die Geschlechterdiskriminierung hervorgehoben hatte. Aus „ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen“ wurde in zweiter Generation: „mit Freude und großem Interesse habe ich ihre Stellenausschreibung auf Indeed gelesen.“ Ferner ging er dazu über, wie das vorliegende Verfahren zeigt, sich auch auf anderen Plattformen, d.h. abseits von eBay Kleinanzeigen, zu bewerben (vorliegend am 03.01.2023 auf der Plattform Indeed). Seinen weiteren Standard-Passus in der Bewerbung „Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben.“ strich er zur Vermeidung eines Rechtmissbrauchs. Auch findet sich im hiesigen Bewerbungsschreiben keine – vom Arbeitsgericht Berlin zur Begründung des Rechtsmissbräuchlichkeit angeführte – Frage mehr. Ebenso unterzeichnete er seine Bewerbung nicht mehr mit „Herr …“, sondern mit seinem vollen Namen

Auf den Vorhalt des Arbeitsgerichts Hagen, der Passus in der Bewerbung „Ich habe Berufserfahrung im Büro …“ sei zu pauschal, was u.a. auf einen Rechtsmissbrauch hindeute, ergänzte der Kläger nunmehr in zweiter Bewerbungsgeneration den Passus: „Ich habe Berufserfahrung in der Personalabteilung, Vertrieb und im Einkauf.“, ohne dass diese andererseits vorliegend einen konkreten Bezug zur Stellen aufweisen würden, mithin dem Bewerbungserfolg selbst zuträglich sein könnten.

Einen Angaben zum Lebenslauf machte er in zweiter Generation auf Indeed, um sich erneut insoweit des Einwands des Rechtsmissbrauchs zu erwehren. Um allerdings damit nicht gleichzeitig seine Erfolgschancen hinsichtlich der Bewerbung nicht zu steigern, war dieser Lebenslauf unstreitig nichtssagend. Er enthielt – für die Praxis völlig untypisch und unbrauchbar – lediglich allein die Angabe, dass der Kläger sieben Jahre Erfahrung als Sekretär und mit MS-Office habe, ohne aber zu konkretisieren, in welchen Zeiträumen der Kläger bei welchem Arbeitgeber tätig gewesen sein oder wann er Ausbildungsschritte durchlaufen haben will. Der Lebenslauf war damit dem Bewerbungserfolg erneut eher abträglich, als für diesen förderlich. Indes hätte jeder Bewerber mit realem Stelleninteresse, der sich fast zwei Jahre erfolglos massenhaft auf Stellen als „Sekretärin“ bewirbt, spätestens nach ausdrücklichen Hinweisen durch Gerichte (so schon das ArbG Elmshorn im Jahr 2021), einen den Gepflogenheiten entsprechenden Lebenslauf seinen Unterlagen beigefügt. Dies gilt umso mehr, als das der Kläger Abitur hat und – wie seine strukturierten Schriftsätze zeigen – offensichtlich in der Lage wäre, einen entsprechenden Lebenslauf abzufassen.

Die Qualität seiner Bewerbung, mit Blick auf einen möglichen Erhalt einer Stelle, passte der Kläger in seiner Bewerbung in zweiter Generation – trotz ausdrücklicher diesbezüglicher Hinweise der ArbG Berlin und Hagen – auch im Übrigen nicht an. Ausdrücklich als fehlend monierte Ausbildungs- und Schulzeugnisse fügte er nicht bei, da diese die Erfolgsaussichten seiner Bewerbung erheblich gesteigert hätten, er für sein Geschäftsmodell indes eine Ablehnung seiner Bewerbung benötige.

Die Beklagte hat ferner zur Begründung des Rechtsmissbrauchs auf Seite 10 ihrer Berufungserwiderung auf das Urteil des LAG Hamm (18 Sa 888/22) Bezug genommen, welches sich die Beklagte vollständig inhaltlich zu eigen gemacht hat. Der zitierte Passus verweist seinerseits u.a. auf das Urteil des ArbG Berlin vom 23.06.2022 (42 Ca 716/22), welches damit ebenfalls inhaltlich in Bezug genommen ist. Wie sich dem Urteil entnehmen lässt, hatte das Entschädigungsbegehren des Klägers nach der Bewerbung auf eine Stelle als „Sekretärin“ aus Gründen des Rechtsmissbrauchs keinen Erfolg. Dies begründete das Arbeitsgericht Berlin u.a. damit, dass das Vorgehen des Klägers auf der Annahme beruhe, dass ein auskömmlicher Gewinn verbleibe, weil die Beklagte bereits im Vorfeld „klein bei“ gebe. Dies ergebe sich nicht zuletzt daraus, dass der Kläger der Beklagten im Vorfeld des Prozesses ein Geltendmachungsanschreiben mit einem Vergleichsangebot habe zukommen lassen. In diesem habe er erheblichen Druck erzeugt. So habe er u.a. eine Zahlung von 3.000,00 EUR an ihn angeboten, unter Hinweis darauf, dass er 5.400,00 EUR einklagen werde. Er habe u.a. auch behauptet, die Streitwerte im arbeitsgerichtlichen Verfahren seien sehr hoch und es würde erhebliche Rechtsanwaltskosten im Falle eines Prozesses anfallen. Die Aufforderung, den Betrag vollständig an ihn auszuzahlen unter Hinweis auf die steuerrechtliche Bewertung der Entschädigungszahlung, lasse aus Sicht der Kammer ebenfalls eine intensive Auseinandersetzung des Klägers mit dem zu erwartenden wirtschaftlichen Gewinn erkennen. Im hiesigen (Bewerbungs-)Verfahren hat der Kläger nach Auffassung der Kammer – im Sinne eines Lerneffekts – auf ein entsprechendes Geltendmachungsschreiben verzichtet, um ein weiteres Merkmal für einen Rechtsmissbrauch zu nivellieren. Hierfür spricht, dass der Kläger diesen Umstand (fehlende außergerichtliche Geltendmachung) im laufenden Prozess ausdrücklich, mehrfach und eigeninitiativ betonte, ohne dass die Beklagte diesen Aspekt zuvor oder im Anschluss überhaupt thematisiert hätte.

Auf Basis der vorstehenden Umstände sind bereits die „hohen Anforderungen“ nach der Rechtsprechung des BAG in objektiver Hinsicht erfüllt. Der Vollständigkeit halber sei aber darauf hingewiesen, dass vorliegend sogar niedrigere objektive Anforderungen an einen Rechtsmissbrauch gelten dürften.

Die hohen Anforderungen begründet das BAG mit dem Prozesskostenrisiko, welches ein Kläger bei der klageweisen Verfolgung von Entschädigungsansprüchen nach dem AGG eingehe. Aus eben diesem soll folgen, dass nicht bereits grundsätzlich aus der Vielzahl von Entschädigungsprozessen nach erfolglosen Bewerbungen auf offensichtlich diskriminierend ausgeschriebene Stellen auf einen Rechtsmissbrauch geschlossen werden könne. Diese Erwägung des Prozesskostenrisikos greift vorliegend nur eingeschränkt.

Das Kostenrisiko des Klägers ist aufgrund seiner Vorgehensweise beschränkt. Seine Kosten im weiteren Sinne minimiert er mit Blick auf die Anreisekosten in erster Instanz dadurch, dass er sich im Gütetermin nunmehr regelmäßig versäumen lässt. Die Gerichtskosten als Folge der Säumnis im Gütetermin sind insoweit der Höhe nach regelmäßig zu vernachlässigen. Weiterhin beauftragt er in erster Instanz keinen Anwalt. Zusätzlich bezieht er Bürgergeld, sodass stets gute Chancen bestehen, dass in erster und zweiter Instanz seine Kostenrisiken durch entsprechende Anträge auf Prozesskostenhilfe weiter gemindert werden. Auch in der Sache reduziert der Kläger durch sein Vorgehen sein Kostenrisiko erheblich. Zunächst bewirbt er sich gezielt auf Stellen, die offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschrieben sind. Die vom BAG für ein Kostenrisiko angeführte denkbare Rechtsfertigung der (Geschlechter-)Benachteiligung stellt sich bei seiner „Stellenauswahl“ faktisch nicht. Die Rechtfertigung einer Anknüpfung an das Merkmal der Geschlechtszugehörigkeit kann nicht nach §§ 9, 10 AGG, sondern nur nach § 8 AGG gegeben sein. Praktisch ist eine Rechtfertigung i.S.v. § 8 AGG nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen denkbar, wenn eine Bürokraft gesucht wird. Die Möglichkeit einer solchen Rechtfertigung – etwa bei einem Frauenhaus oder einer Beratungsstelle für Frauen und Mädchen – lässt sich durch die Auswahl des Unternehmens ausschließen, etwa durch die Bewerbung bei einem Gebrauchtwagenhandel, einer Umzugsfirma und einem Institut für Geotechnik.

Das subjektive Element für einen Rechtsmissbrauch liegt ebenfalls vor.

Es bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Absicht verfolgte, sich einen ungerechtfertigten Vorteil dadurch zu verschaffen, dass er die Voraussetzungen für einen (formalen) Status eines Bewerbers im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 2 AGG willkürlich herbeiführte.

Dies ergibt sich zunächst bereits aus den vorstehend angeführten objektiven Umständen (Entfernung zur Stelle, Unvereinbarkeit von Vollzeitstelle und Vollzeitstudium, Art und Weise der Bewerbung sowie insbesondere der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells in die zweite Generation). Dabei zeigt insbesondere die umfassende Zitierung der Rechtsprechung des BAG zum Rechtsmissbrauch, welche der Kläger seinem Prozessbevollmächtigten etwa im 38-seitigen Schriftsatz vom 24.11.2023 vorgab, dass er vollumfängliche Kenntnis von der Rechtsprechung zu einzelnen Rechtsmissbrauchsmerkmalen besitzt. Dass es sich in weiten Teilen nicht um im Nachgang zur hiesigen Bewerbung erlangte Kenntnisse handelt, verdeutlichen die von der Beklagten in Bezug genommenen Tatbestände der weiteren Urteile, die dem Kläger sämtlich bereits vorher bekannt waren. Bereits in diesen Verfahren hat sich der Kläger erstinstanzlich, d.h. vor der für den hiesigen Rechtsstreit maßgeblichen Bewerbung, im Übrigen zu den (von ihm eliminierten) Rechtsmissbrauchsmerkmalen bzw. den Grundsätzen des BAG zum Rechtsmissbrauch eingelassen. Die Anpassung seines Bewerbungsverhaltens erfolgte damit nicht zufällig, sondern nach Auffassung der Kammer final allein zur Erlangung von Entschädigungszahlungen.

Einen zusätzlichen subjektiven Umstand sieht die Kammer darin begründet, dass der Kläger bis zuletzt nicht hinreichend vorträgt, welche anderen Motive, außer der Entschädigungszahlung, ihn zur Bewerbung auf die konkrete ausgeschriebene Stelle bewogen haben sollen.

Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger tatsächlich einen Antritt der ausgeschriebenen Stelle überhaupt in Erwägung gezogen hätte. Der Kläger hat sich pauschal darauf zurückgezogen, er sei arbeitslos und daher zum Erhalt von Soziallleistungen gesetzlich gehalten, sich auf entsprechende Stellen zu bewerben. Dieses Vorbringen weist nach Auffassung der Kammer keinen hinreichenden Fallbezug auf(vgl. hierzu: LAG Niedersachsen, 10.10.2023 – 10 Sa 57/23, Rn. 31). Es erklärt nicht, weshalb er sich auf die konkrete, von der Beklagten ausgeschriebene Stelle, für welche er überqualifiziert ist, in 170 Kilometer Entfernung beworben hat. Dies gilt umso mehr, als auch in unmittelbarer Nähe zu seinem Wohnort entsprechende Stellen vorhanden gewesen sein dürften. Die unterbliebene konkrete Schilderung der Motivation ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil der Kläger sich in den, seinem Prozessbevollmächtigten vorgegebenen oder teils selbst verfassten Schriftsätzen auf insgesamt ca. 50 Seiten allein im Berufungsverfahren zu den Grundsätzen der Rechtsprechung des BAG zum Rechtsmissbrauch verhält, aber nicht im Ansatz sein konkretes Interesse an der Stelle mit Inhalt füllt. Dieses auffällige Vermeidungsverhalten spricht dafür, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewerbung keine Absichten verfolgte, die über die bloße Verfolgung wirtschaftlicher Vorteile im Wege eines Entschädigungsprozesses hinausgingen. Insoweit verbleibt auch nicht die „gute Möglichkeit“ im Sinne der Rechtsprechung des BAG, dass das Verhalten des Klägers durch den möglichen Erhalt der Stelle motiviert sein könnte.

Nichts Anderes ergibt sich nach Auffassung der Kammer daraus, dass der Kläger behauptet, sich im November und Dezember 2022 auch auf andere geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen beworben zu haben.

Diese Behauptung kann zugunsten des Klägers unterstellt werden. Hieraus folgte nicht, dass im vorliegenden Fall der Rechtsmissbrauchseinwand zu verneinen wäre. Maßgeblich ist allein, aus welchen Gründen die Bewerbung erfolgt ist, auf deren Grundlage die streitgegenständliche Entschädigung begehrt wird. Daher ist es für den vorliegenden Rechtsstreit auch ohne Bedeutung, ob sich der Kläger in anderen Fällen um Stellen beworben hat, weil er bezogen auf diese Stellen Interesse hatte, tatsächlich einen entsprechenden Arbeitsvertrag abzuschließen. Nach Auffassung der Kammer ist es im Übrigen kein Zufall, dass der Kläger entsprechende Bewerbungsschreiben trotz entsprechenden Hinweises der Kammer nicht vorlegt.

Ebenso unerheblich ist daher auch, ob der Kläger zwischenzeitlich tatsächlich für einen Arbeitgeber tätig war. Zunächst handelte es sich bei dieser Tätigkeit nicht um eine Tätigkeit als „Sekretärin“. Dies hat der Kläger jedenfalls nicht vorgetragen. Dementsprechend ließe sich daraus auch nicht ableiten, dass der Kläger grundsätzliches Interesse an der Tätigkeit als „Sekretärin“ gehabt hätte. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung BAG vom 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 unter Rn. 55. Soweit dort das BAG den Antritt einer Stelle bei einem Mitbewerber als Kriterium gegen einen Rechtsmissbrauch angesehen hat, trat der dortige Kläger diese Stelle gerade im Nachgang zeitnah zu seiner Bewerbung bei der dortigen Beklagten an. Auch wenn die Kammer die dortige Auffassung des BAG nicht teilt, dass ein solcher Sachverhalt ein Interesse an der zuvor ausgeschriebenen Stelle eines Konkurrenten verdeutlicht, liegt der Sachverhalt vorliegend insgesamt anders. Selbst nach dem streitigen Vortrag des Klägers trat dieser zunächst eine Stelle an, verlor diese wieder und bewarb sich im Nachgang bei der hiesigen Beklagten. Ein in der Vergangenheit bestehendes Arbeitsverhältnis indiziert aber – nach Auffassung der Kammer – nicht für die Zukunft ein Interesse an jedweder anderen Stelle in weiter örtlicher Entfernung. Dies liefe auf den Fehlschluss hinaus, dass die einmalige Erwerbtätigkeit in der Vergangenheit, unabhängig von ihrer Art, ihrem Inhalt und ihrem Umfang, den Einwand des Rechtsmissbrauchs widerlegen könnte.

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass die in den vorstehenden Entscheidungsgründen berücksichtigten Verfahren/Urteile einem datenschutz- bzw. grundrechtlichen Verwertungsverbot unterliegen. Hierzu gilt, wie die 18. Kammer des LAG Hamm an anderer Stelle bereits zutreffend ausgeführt hat und die Kammer sich zu eigen macht, Folgendes:

Zwar ist es anerkannt, dass im Gerichtsverfahren die Verwertung von grundrechtswidrig erlangten Beweismitteln und von Tatsachenvortrag, der auf einem grundrechtswidrigen Eingriff beruht unzulässig sein kann. Im Streitfall hat die Beklagte die vorgetragenen Umstände jedoch nicht durch grundrechtswidrige Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Klägers erlangt. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts wird konkretisiert durch den Inhalt der Datenschutzvorschriften. War eine Maßnahme zur Informationsbeschaffung nach den datenschutzrechtlichen Vorschriften zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor. Ein Verwertungsverbot scheidet dann aus. Es kann zugunsten des Klägers angenommen werden, dass sein Bewerbungs- und Prozessverhalten gegenüber anderen Unternehmen unter den Schutz der personenbezogenen Daten gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO fällt. Es kann ferner angenommen werden, dass jedenfalls der Vortrag der Beklagten vor dem erkennenden Gericht eine Datenverarbeitung im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DSGVO darstellt und dass die personenbezogenen Daten des Klägers in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen (Art. 2 Abs. 1, 4 Nr. 6 DSGVO). Die Datenverarbeitung ist jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 f DSGVO rechtmäßig. Sie ist zur Wahrung berechtigter Interessen der Beklagten erforderlich. Da die Beklagte im Rechtsstreit die Darlegungslast für das Vorliegen von Indizien trägt, die auf Rechtsmissbrauch hindeuten, ist sie insoweit auf die Beschaffung von Informationen angewiesen. Das Interesse des Klägers muss insoweit zurückstehen. Die Beklagte führte die Ermittlungen nicht mit rechtswidrigen persönlichkeitsrechtsverletzenden Maßnahmen durch – jedenfalls bestehen hierfür keine Anhaltspunkte. Eine Recherche aus allgemein zugänglichen Quellen des Internets, wie etwa juristischen Datenbanken, ist von vornherein nicht zu beanstanden. Aber auch die Nachfrage bei anderen Unternehmen, die der Kläger auf Zahlung einer Entschädigung verklagt hat, begegnete keinen rechtlichen Bedenken. Ob das Ausnutzen von Kenntnissen, die Dritte rechtswidrig erlangt haben, unzulässig wäre, kann offenbleiben (vgl. zu Nachrichten in Messengerdiensten Baade/Hagen, BB 2021, 1588 (1593); Köhler/Schürgers, DB 2018, 1013 (1016)). Auch hierfür bestehen keine Anhaltspunkte.

Die Berufung auf die weiteren Urteile durch die Beklagte, welche diese sich erst in der Berufungsinstanz zu eigen machte, war auch nicht etwa nach § 67 Abs. 2 S. 1 ArbGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür nach § 56 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ArbGG oder § 61a Abs. 3 oder 4 ArbGG gesetzten Fristen nicht vorgebracht worden sind, nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.

Danach war der Vortrag zuzulassen. Der Vortrag der Beklagten war bereits unstreitig. Nachdem die Kammer im Kammertermin darauf hingewiesen hat, dass der Kläger seine Parteistellung in den von der Beklagten ins Feld geführten Verfahren nicht hinreichend bestritten habe, hat er seine Parteistellung teilweise eingeräumt und im Übrigen mitgeteilt, sich hierzu nicht zu äußern. Das damit unstreitige Vorbringen führte vorliegend nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits, sodass eine Zurückweisung ausschied.