Unangemessen lange Vertragsbindung einer Ärztin in Weiterbildung

16. Juli 2021 -

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 10.05.2021 zum Aktenzeichen 1 Sa 12/21 entschieden, dass eine Vertragsklausel, wonach das zum Zwecke der Weiterbildung abgeschlossene Arbeitsverhältnis eines in der Weiterbildung zum Facharzt befindlichen approbierten Arztes nach Ablauf der Probezeit erst nach 42 Monaten nach Beginn des Arbeitsverhältnisses ordentlich gekündigt werden kann, den in der Weiterbildung befindlichen Arzt entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und daher nach § 307Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist.

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines Monatsgehalts und über einen Anspruch der Beklagten auf Zahlung einer Vertragsstrafe.

Die Klägerin begann bei der Beklagten am 1. Februar 2016 die Weiterbildung zur Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.

Nach § 11 des Arbeitsvertrages war die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.07.2019 (42 Monate ab Beginn des Arbeitsverhältnisses) ausgeschlossen.

Weiter war eine Vertragsstrafe von drei Bruttomonatsvergütungen vereinbart, sollte das Arbeitsverhältnis vor Ablauf des 42-Monats-Zeitraumsgekündigt werden.

Mit dem Antritt des Arbeitsverhältnisses begann für die Klägerin der erste Abschnitt ihrer 60-monatigenWeiterbildung zur Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.

Nach Ablauf des 42-Monats-Zeitraums hätte die Klägerin ihre Weiterbildung bei einem anderen Träger fortführen müssen. Mit Schreiben vom 29. Januar 2018 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie ihr Arbeitsverhältnis zum 28. Februar 2018 kündige.

Zur Begründung teilte die Klägerin mit, dass aufgrund von familiären Umständen ein Wohnortwechsel zu ihrem Ehemann zwingend notwendig werde.

Mit Schreiben vom 30. Januar 2018 erinnerte die Beklagte an die Vertragslaufzeit und akzeptierte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 28.Februar 2018 nicht.

Für den Monat Februar 2018 erhielt die Klägerin keine Vergütung mehr, die Beklagte erklärte die Aufrechnung mit der geltend gemachten Vertragsstrafe.

Das ArbG gab der Zahlungsklage der Klägerin statt und wies die Widerklage hinsichtlich der Vertragsstrafe ab.

Die Berufung der Beklagten hat ebenfalls keinen Erfolg.

Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Arbeitsvergütung für den Monat Februar 2018 folgt aus § 611a Abs. 2 BGB.

Der Anspruch der Klägerin ist nicht durch die von der Beklagten erklärten Aufrechnung erloschen.

Der Beklagten steht kein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe zu.

Der in § 11 des Arbeitsvertrags geregelte Ausschluss der ordentlichen Kündigung bis zum Ende des 42. Monats des Arbeitsverhältnisses ist als allgemeine Geschäftsbedingung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil er die Klägerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.

Unter Abwägung der typischen Interessenlage der Parteien eines ärztlichen Weiterbildungsarbeitsverhältnisses im Zeitpunkt des Vertragsschlusses kommt das LAG Baden-Württemberg zu dem Ergebnis, dass die Vertragsklausel die Klägerin erheblich in ihrer beruflichen Bewegungsfreiheit einschränkt.

Es kommt hinzu, dass die Vertragsklausel den weiterzubildenden Arzt auch in seinen familiären Verhältnissen erheblich beeinträchtigen kann.

Die gegenüberstehenden Belange rechtfertigen es im Spannungsfeld der wechselseitigen grundrechtlichen Positionen des weiterzubildenden und des weiterbildenden Arztes bei einer typisierenden Betrachtung nicht, dem weiterzubildenden Arzt einen Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit aufzuerlegen, die den Zeitraum der üblichen Kündigungsfristen erheblich übersteigt. Als Orientierungsmaßstab kommen hierbei nicht nur die gesetzlichen Kündigungsfristen, sondern auch die tariflichen Kündigungsfristen in Betracht. Sowohl nach§ 35 Abs. 1 TV-Ärzte/VKA als auch nach § 34 TV-Ärzte Universitätskliniken betragen die Kündigungsfristen bei einer Beschäftigungszeit von bis zu einem Jahr einen Monat zum Monatsschluss und bei einer Beschäftigungszeit von mehr als einem Jahr sechs Wochen zum Schluss eines Kalendervierteljahres. Jedenfalls die tariflichen Kündigungsfristen tragen dem Interesse des weiterbildenden Arztes an einer Honorierung seines Weiterbildungsaufwandes hinreichend Rechnung.

Das LAG Baden-Württemberg zieht abschließend eine Parallele zur Rechtsprechung des BAG zur zulässigen Bindung des Arbeitnehmers bei vom Arbeitgeber finanzierten Fortbildungen.

Hiernach sind zwar einzelvertragliche Vereinbarungen grundsätzlich zulässig, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, soweit er vor Ablauf bestimmter Fristen nach Ende der Ausbildung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

In Abwägung der wechselseitigen grundrechtlichen Positionen hat das BAG aber typisierende Regelungen für die maximale Bindung des Arbeitnehmers entwickelt.

Diese Regelfristen tragen dem Umstand Rechnung, dass die Dauer einer zulässigen Bindung des Arbeitnehmers an das Arbeitsverhältnis maßgeblich mit der Höhe der Investition in die Fortbildung des Arbeitnehmers verknüpft ist.