Fristlose Kündigung wegen Durchsuchung des Dienstcomputers eines Kollegen

12. Juni 2021 -

Das Arbeitsgericht Aachen hat mit Urteil vom 22.04.2021 zum Aktenzeichen 8 Ca 3432/20  entschieden, dass die gezielte Durchsuchung eines Dienstcomputers nach privater Korrespondenz eines Arbeitskollegen sowie deren Sicherung und Weitergabe an Dritte „an sich“ ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung sein kann.

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Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitnehmer dabei Beweise für ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren sichern möchte, ohne von seinem Arbeitgeber mit solchen Ermittlungen betraut worden zu sein.

Es kommt jedoch immer auf die Einzelfallabwägung an.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

Die Klägerin ist seit 23 Jahren in der Verwaltung der Beklagten, einem Kirchenkreis, tätig.

Die Klägerin hatte Zugriff auf den Dienstcomputer des dort tätigen Pastors, soweit dies zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Aufgaben etwa im Bereich der Buchhaltung notwendig war.

Als sie auf dem Dienstcomputer nach einer Rechnung suchte, stieß sie im November 2019 zufällig auf eine E-Mail des Superintendenten, in der dieser dem Pastor mitteilte, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist.

Anlass der Ermittlungen war ein mögliches strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Pastors in seinem Umgang mit einer Frau, die sich zu diesem Zeitpunkt im Kirchenasyl der Beklagten befand.

Daraufhin begann die Klägerin den Dienstcomputer nach Korrespondenz zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau zu durchsuchen.

Sie fand in einer nicht gesicherten Datei einen rund 500 Seiten umfassenden privaten Chatverlauf.

Sie speicherte den Chatverlauf auf einem USB-Stick und übergab diesen eine Woche später u.a. an die Staatsanwaltschaft.

Die betroffene Frau litt an erheblichen psychischen Problemen und unternahm bereits Anfang Oktober 2019 einen Suizidversuch.

Die Klägerin stand in einem engen Austausch mit der betroffenen Frau. Sie war in Sorge, dass sie einen weiteren Suizidversuch unternehmen könnte.

Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Pastor wurde im September 2020 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Von der Weitergabe des USB-Sticks erfuhr das Presbyterium am1 5.09.2020.

Nach Anhörung der Mitarbeitervertretung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24.09.2020 fristlos.

Die Kündigung der Beklagten vom24.09.2020 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst.

Zwar ist „an sich“ ein wichtiger Grund für den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung gegeben. Rechtswidrige Datenverarbeitungen des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis, die mit Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa von Arbeitskollegen einhergehen, können dazu geeignet sein, bei entsprechender Schwere des Verstoßes „an sich“ einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer Kündigung auszumachen, auch wenn die in Rede stehenden Daten nicht dem Schutzbereich des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen unterliegen.

Insoweit handelt es sich um Verstöße gegen arbeitsvertragliche Schutz- und Rücksichtnahmepflichten.

Es ist allgemein anerkannt, dass auch rechtswidrige Handlungen gegenüber Arbeitskollegen (z. B. Beleidigungen, Tätlichkeiten, Mobbing) mit Betriebsbezug einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer Kündigung bedingen können und der Arbeitgeber insoweit nicht unmittelbar geschädigt werden muss.

Dies gilt ebenso, wenn ungerechtfertigte Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und rechtswidrige Verarbeitungen personenbezogener Daten von Arbeitskollegen erfolgen und die Handlung schwerwiegend ist.

Denn damit werden zugleich das Betriebsklima und ggf. auch – wie hier – das Vertrauensverhältnis belastet.

Dies gilt, obgleich der Ordner nicht besonders zugriffsgeschützt war, da die Klägerin diesen Dienstcomputer nur insoweit nutzen durfte, als dies zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Aufgaben notwendig war.

Bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls meint das ArbGin diesem Fall allerdings, dass eine Abmahnung eine angemessene Reaktion auf das Fehlverhalten der Klägerin gewesen wäre.

Die außerordentliche fristlose Kündigung stellt eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten der Klägerin dar.

Neben der langen beanstandungsfreien Beschäftigungsdauer hat das Gericht u.a. berücksichtigt, dass die Klägerin davon überzeugt war, die betroffene Frau werde massiv bedrängt und könnte einen weiteren Suizidversuch unternehmen.

Die Schwere des Verstoßes der Klägerin wird auch dadurch relativiert, dass sie mit ihren Handlungen grundsätzlich zu billigende Ziele – nämlich die Unterstützung bei der Aufklärung einer angenommenen Straftat und den Schutz der betroffenen Frau vor weiteren Übergriffen – verfolgte und lediglich den rechtlich falschen Weg wählte.

Eine außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitgebers ist keine Sanktion für Fehlverhalten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit, sondern stets zukunftsgerichtet.

Sie dient der Beendigung eines Arbeitsvertrages, wenn dem Arbeitgeber die weitere Zusammenarbeit aufgrund des Fehlverhaltens des Arbeitnehmers nicht zugemutet werden kann.

Das ist umso eher der Fall, wenn ähnliche Verstöße in der Zukunft zu erwarten sind.

Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin eine solche Abmahnung missachtet hätte, dass sie generelle Schwierigkeiten damit hätte, sorgsam mit personenbezogenen Daten umzugehen und dass es sich nicht um ein einmaliges Fehlverhalten handelte, bestehen in diesem Fall nicht.