Nestlé schließt Werke: Beschäftigte wehren sich gegen Arbeitsplatzabbau

14. Mai 2025 -

„Mensch vor Marge“ – Protest vor Deutschlandzentrale in Frankfurt / Kritik an Profitstreben und langjährigem Schrumpfkurs

 Rund 300 Beschäftigte des Lebensmittelkonzerns Nestlé haben am 14. Mai 2025 vor der deutschen Konzernzentrale in Frankfurt demonstriert. Der Anlass: Die angekündigte Schließung zweier Werke in Neuss (Nordrhein-Westfalen) und Conow (Mecklenburg-Vorpommern), durch die über 230 Arbeitsplätze wegfallen könnten. Die Stimmung unter den Beschäftigten ist angespannt – viele sehen in den aktuellen Plänen die Fortsetzung eines jahrelangen Schrumpfkurses des weltweit größten Nahrungsmittelkonzerns.

Langjähriger Arbeitsplatzabbau in Deutschland

„So geht das schon lange“, sagt Andreas Zorn, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Nestlé Deutschland. „Seit Jahren baut Nestlé in Deutschland drastisch Arbeitsplätze ab und verlagert die Produktion – etwa in Länder Osteuropas, wo die Löhne viel niedriger sind.“ Die Zahlen bestätigen das: Während Nestlé 2014 noch rund 12.400 Beschäftigte in Deutschland zählte, sind es heute nur noch etwa 6.500. Zorn befürchtet, dass der Konzern seine Aktivitäten in Deutschland vollständig einstellt, sollte sich dieser Kurs fortsetzen.

Werkschließungen geplant – aber nicht alle Jobs betroffen

Nach Unternehmensangaben soll das Werk in Neuss Mitte 2026 geschlossen werden. Dort sind derzeit etwa 151 Menschen beschäftigt. Die Produktion von Senf- und Mayonnaise-Tuben soll nach Lüdinghausen bei Münster verlagert werden – rund 30 Beschäftigten wird ein Wechsel dorthin angeboten. In Conow, wo derzeit rund 83 Menschen arbeiten, soll der Betrieb Anfang 2026 eingestellt und das Werk verkauft werden. Der Käufer will den verbliebenen Beschäftigten eine Weiterbeschäftigung ermöglichen.

Hintergrund und Entwicklung

Nestlé Deutschland hat die Schließung des Tubenwerks in Neuss offiziell für Mitte 2026 angekündigt. Die Entscheidung folgte einer umfassenden internen Wirtschaftlichkeitsprüfung, in deren Ergebnis Überkapazitäten und sinkende Absatzvolumina am Standort konstatiert wurden. Parallel dazu sucht Nestlé für die Ölabfüllung in Neuss nach externen Produktionslösungen. In Conow will der Konzern die Produktion ebenfalls bis Anfang 2026 beenden und das Werk anschließend verkaufen. Seit 2014 ist die Zahl der Nestlé‑Beschäftigten in Deutschland von 12.400 auf zuletzt rund 6.500 gefallen, was viele Arbeitnehmer als dramatischen Schrumpfkurs empfinden.

Gründe laut Nestlé

Nestlé begründet die Standortschließungen mit gestiegenen Produktionskosten und einer erhöhten Preissensibilität der Verbraucher, die zu sinkenden Produktionsvolumina und strukturellen Überkapazitäten geführt hätten. Die Verlagerung der Tubenproduktion nach Lüdinghausen (NRW) ist Teil eines 13‑Millionen‑Euro‑Investitionspakets für modernere Fertigungsanlagen. Ebenso sollen Glas‑ und Kunststoffabfüllungen ins europäische Ausland verlagert werden. Nestlé spricht hierbei von einer „Maßnahme zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland“

Gewerkschaft NGG kritisiert „Profitmaximierung auf Kosten der Beschäftigten“

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) wirft Nestlé vor, ein wirtschaftlich stabiles Unternehmen umzustrukturieren, allein um die Rendite zu steigern. „Nestlé ist kein angeschlagener Konzern. Es geht nur darum, den Gewinn weiter zu maximieren – und das auf dem Rücken der Belegschaft“, so NGG-Vorsitzender Guido Zeitler. Tatsächlich verzeichnete Nestlé im vergangenen Jahr trotz leicht rückläufiger Umsätze einen Gewinn von 10,9 Milliarden Schweizer Franken.

Auf Plakaten der Demonstrierenden standen Slogans wie „Mensch vor Marge“ und „Missmanagement vernichtet Arbeitsplätze“. Besonders zynisch empfanden viele die laufende interne Kommunikationskampagne des Konzerns mit dem Titel #UnterwegsNachBesser. Diese sei, angesichts drohender Entlassungen, ein „schlechter Scherz“, so Betriebsratschef Zorn.

Rechtslage: Sozialplan, Abfindung, Kündigungsschutz

Arbeitsrechtlich sind Betriebsänderungen wie Werksschließungen nach § 111 Betriebsverfassungsgesetz melde- und verhandlungspflichtig. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat frühzeitig informieren und einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan verhandeln. Der Sozialplan soll die wirtschaftlichen Nachteile für die Beschäftigten abmildern – etwa durch Abfindungen, Qualifizierungsangebote oder Transfermaßnahmen.

Kommt es nicht zu einer Einigung, kann die Einigungsstelle angerufen werden. Deren Spruch ist im Falle des Sozialplans verbindlich. Beschäftigte, die eine Kündigung erhalten, können innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben. In sozialen Härtefällen kann so eine Kündigung unter Umständen abgewehrt oder hinausgezögert werden.

Mögliche Handlungsoptionen für betroffene Arbeitnehmer

Betriebsratsbeteiligung stärken

  • Umfangreiche Unterrichtung: Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat alle relevanten Unterlagen (Kalkulationen, Gutachten, Planungen) vorlegen und eine ernsthafte Verhandlung über den Interessenausgleich führen.
  • Einigungsstelle: Wird keine Einigung erzielt, sollte der Betriebsrat eine Spruchkammer (Einigungsstelle) anrufen.

Sozialplan verhandeln

  • Abfindungen und Transfermaßnahmen: Der Sozialplan kann Abfindungszahlungen, Transfergesellschaften, Qualifizierungsmaßnahmen oder Outplacement umfassen.
  • Verbindlichkeit: Im Unterschied zum Interessenausgleich kann der Sozialplan durch einen Spruch der Einigungsstelle erzwungen werden.

Kündigungsschutzklage prüfen

  • Frist beachten: Innerhalb von drei Wochen nach Zugang einer Kündigung muss Klage beim Arbeitsgericht erhoben werden (§ 4 KSchG).
  • Härtefallanträge: In besonderen sozialen Härtefällen kann eine Verschiebung oder Abmilderung der Kündigung erreicht werden.

Individuelle Beratung

  • Juristische Unterstützung: Fachanwälte für Arbeitsrecht bieten Beratung zu Kündigungsschutz, Abfindungsansprüchen und Transfermaßnahmen an.
  • Arbeitsagentur: Frühzeitige Meldung bei der Agentur für Arbeit ermöglicht nahtlosen Bezug von Leistungen und Förderprogramme für Qualifizierungen.

Ausblick

Die geplanten Schließungen bei Nestlé in Neuss und Conow markieren einen nächsten Einschnitt im anhaltenden Schrumpfprozess des Konzerns in Deutschland. Arbeitnehmerseite und Gewerkschaften stehen in der Pflicht, ihre Mitbestimmungs‑ und Gestaltungsrechte konsequent wahrzunehmen, um eine Balance zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und sozialer Verantwortung herzustellen. Entscheidend wird sein, dass Betriebsrat und NGG im Interessenausgleich und im Sozialplan die bestmöglichen Rahmenbedingungen für die betroffenen Beschäftigten aushandeln. Gleichzeitig können individuelle Kündigungsschutz– und Härtefallklagen dazu beitragen, die Folgen für einzelne Arbeitnehmer abzumildern und eine Perspektive für Qualifikation und Weiterbeschäftigung zu schaffen. Eine konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten bleibt der Schlüssel, um den drohenden Arbeitsplatzverlust so sozialverträglich wie möglich zu gestalten.

Zahlen und Fakten

Standort Beschäftigte heute Geplante Maßnahme Übernahme/Verlagerung
Neuss (Nähe Düsseldorf) ca. 151 Schließung Mitte 2026 30 Tuben-Produktionsjobs gehen nach Lüdinghausen (Münster) und werden dort angeboten
Conow (Mecklenburg‑Vorpommern) ca. 83 Verkauf des Werks Anfang 2026; Produktionsstop Käufer übernimmt alle 80 verbleibenden Arbeitsplätze