Das Projekt stockt, der Kunde macht Druck – und plötzlich rastet der Vorgesetzte aus. Manche Führungskräfte haben eine kurze Zündschnur. Doch müssen Mitarbeitende es hinnehmen, angebrüllt zu werden? Klare Antwort: Nein. Egal wie groß das Problem ist – anschreien sollte der Arbeitgeber seine Angestellten nicht. Auch am Arbeitsplatz haben Arbeitnehmer ein Anrecht auf respektvolle, sachliche Behandlung.
Nicht überall herrscht ein respektvoller Ton – lautes oder ausfälliges Verhalten von Vorgesetzten müssen Beschäftigte nicht akzeptieren.
Sachliche Kritik statt lautes Anschreien
Grundsätzlich dürfen Vorgesetzte natürlich die Arbeit ihrer Angestellten beurteilen, Kritik üben oder Weisungen erteilen. Doch dabei müssen sie sachlich bleiben – ein unangemessener, verletzender Ton ist fehl am Platz. Es gibt zwar kein spezielles Gesetz, das das Schreien ausdrücklich verbietet, aber herabwürdigendes oder beleidigendes Verhalten überschreitet eindeutig die Grenzen des Zulässigen. Persönliche Beleidigungen sind in Deutschland sogar strafbar: § 185 StGB stellt die Beleidigung – etwa wüste Beschimpfungen – unter Strafe und sieht Geldstrafen oder bis zu zwei Jahre Haft vor. Beschäftigte müssen sich Anschreien und Beschimpfungen am Arbeitsplatz daher nicht gefallen lassen.
Zudem verletzt ein cholerisches Ausrasten des Chefs die Würde der betroffenen Mitarbeiter. § 75 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes verpflichtet Arbeitgeber und Betriebsräte, im Betrieb “darüber zu wachen, dass alle Beschäftigten nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden”. Ein Chef, der einen Mitarbeiter anbrüllt oder drangsaliert, verstößt gegen diesen Grundsatz fairer Behandlung.
Fürsorgepflicht: Schutz der körperlichen und psychischen Gesundheit
Arbeitgeber haben gegenüber ihren Beschäftigten eine besondere Fürsorgepflicht. Das heißt, sie müssen auf die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer Rücksicht nehmen und Leben und Gesundheit der Mitarbeiter im Arbeitsverhältnis schützen. Diese Fürsorgepflicht ist in mehreren Rechtsquellen verankert – unter anderem als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 241 Abs.2 BGB) und in § 618 BGB, der sichere Arbeitsbedingungen verlangt. Dazu gehört längst nicht nur der Schutz vor Unfällen, sondern ausdrücklich auch vor psychischen Gesundheitsgefahren. Arbeitgeber müssen den Arbeitsplatz so gestalten, dass weder die körperliche noch die psychische Gesundheit der Mitarbeiter gefährdet wird.
Ein Vorgesetzter, der seine Leute regelmäßig anschreit, verstößt gegen diese Pflichten. Unsachliche, lautstarke Kritik oder Anschreien bedeuten eine erhöhte psychische Belastung für Arbeitnehmer. Neben Stress und Demütigung können solche Ausbrüche beim Betroffenen zu gesundheitlichen Beschwerden führen – etwa Herzrasen, Nervosität oder Schlaflosigkeit. Die Forschung zeigt, dass wiederholtes extremes Anschreien durch Vorgesetzte als eine Form von Mobbing einzustufen ist. In der Folge leiden nicht nur Motivation und Betriebsklima; oft steigen auch die Krankmeldungen und viele Betroffene kündigen innerlich oder tatsächlich. Kurz: Ein cholerischer Führungsstil ist nicht nur menschlich fragwürdig, sondern schlechter Führungsstil und obendrein rechtlich problematisch.
Rechte der Arbeitnehmer: Niemand muss Schikane erdulden
Kein Arbeitnehmer muss dauerhaft unter einem schreienden, schikanösen Chef leiden. Das Arbeitsrecht gibt Beschäftigten Werkzeuge an die Hand, sich gegen unangemessene Behandlung zu wehren. Wiederholtes Anschreien, Beleidigen oder Demütigen gilt als Mobbing, auch wenn es im Gesetz nicht ausdrücklich als eigener Tatbestand definiert ist. In solchen Fällen – oder generell bei grob unfairer Behandlung – sollten Beschäftigte nicht zögern, ihre Rechte wahrzunehmen und Unterstützung zu suchen.
Wichtiger Anlaufpunkt ist zunächst der Betrieb selbst. Arbeitgeber sind verpflichtet, für ein gesundes Arbeitsklima zu sorgen. § 84 Abs. 1 BetrVG räumt jedem Arbeitnehmer das Recht ein, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Kollegen ungerecht behandelt oder beeinträchtigt fühlt. Von diesem Beschwerderecht sollten Mitarbeiter Gebrauch machen, wenn der direkte Vorgesetzte Grenzen überschreitet. Adressaten können je nach Unternehmensstruktur z.B. die Personalabteilung, höhere Führungskräfte oder direkt der Betriebsrat sein. Wichtig: Die Beschwerde darf nicht zu Nachteilen für den Beschwerdeführer führen, der Arbeitgeber muss der Sache nachgehen und für Abhilfe sorgen (vgl. § 84 Abs. 2 BetrVG).
Auch der Betriebsrat (oder Personalrat im öffentlichen Dienst) kann ein wichtiger Verbündeter sein. Er hat ein offenes Ohr für solche Probleme und kann vermitteln oder den Druck erhöhen, dass die Arbeitgeberseite reagiert. In Betrieben ohne Betriebsrat können sich Mitarbeiter an andere Vertrauenspersonen im Unternehmen wenden (z.B. Gleichstellungsbeauftragte, HR-Manager oder übergeordnete Chefs). Letztlich hat der Arbeitgeber die Pflicht, “schikanöses Verhalten” von Vorgesetzten zu unterbinden – Arbeitnehmer dürfen das einfordern.
Was können betroffene Arbeitnehmer tun?
Wenn der Chef ausrastet, heißt es zunächst: Ruhe bewahren. So verständlich es ist – schreit der Vorgesetzte einen an, sollte man nicht ebenfalls laut werden oder den Chef beleidigen. Bloßes Zurückschreien kann den Job kosten, da Beleidigungen oder respektloses Verhalten gegenüber dem Vorgesetzten arbeitsrechtlich sanktioniert werden können. Stattdessen sollten Arbeitnehmer besonnen reagieren und das weitere Vorgehen planvoll angehen. Folgende Schritte sind zu empfehlen:
- Das direkte Gespräch suchen: Sobald die Situation sich beruhigt hat, sollte der Mitarbeiter – falls zumutbar – das Vier-Augen-Gespräch mit der Führungskraft suchen. Machen Sie sachlich deutlich, dass der lautstarke Ton unangebracht war und Sie sich eine künftig sachliche Kritik wünschen. Mitunter ist dem Chef sein Ausraster im Nachhinein selbst unangenehm, und ein klärendes Gespräch kann zukünftige Vorfälle verhindern. Wichtig ist, klarzustellen, dass Sie Anschreien nicht mehr dulden werden.
- Vorfälle dokumentieren: Notieren Sie Zeitpunkt, Ort und Inhalt des vorgefallenen Anschreiens so genau wie möglich. Halten Sie auch fest, wer anwesend war oder den Ausbruch mitbekommen hat. Solche Aufzeichnungen können im Zweifelsfall vor Gericht als Beweismittel dienen. Fachanwälte raten, möglichst unmittelbar nach dem Vorfall ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen. Zeugen aus dem Kollegenkreis sind wertvoll – sprechen Sie Kollegen des Vertrauens an, ob sie im Ernstfall bereit wären, das Geschehene zu bestätigen.
- Unterstützung im Betrieb holen: Informieren Sie frühzeitig Ihren Betriebsrat (sofern vorhanden) über die Vorfälle. Betriebsratsmitglieder können Ihnen beratend zur Seite stehen und das Thema in Gesprächen mit der Geschäftsführung ansprechen. Alternativ oder zusätzlich kann eine formelle Beschwerde gemäß § 84 BetrVG eingereicht werden. Darin sollte der Vorfall sachlich geschildert und verlangt werden, dass der Arbeitgeber geeignete Schritte unternimmt, um weitere derartige Ausfälle des Vorgesetzten zu verhindern. Wichtig: Bleiben Sie in Ton und Inhalt der Beschwerde sachlich und konkret, vermeiden Sie Übertreibungen. Ihr Ziel ist es, Gehör zu finden und Besserung zu erreichen.
- Externe Hilfe in Anspruch nehmen: Sollte keine Besserung eintreten oder die Firmeninstanzen nicht helfen, zögern Sie nicht, professionelle Hilfe außerhalb des Betriebs zu suchen. Eine Beratung bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht oder – falls Sie Mitglied sind – bei der Gewerkschaft kann Ihre Optionen aufzeigen. In gravierenden Fällen kommt etwa eine Abmahnung des Arbeitgebers wegen Verletzung der Fürsorgepflicht, eine Schadensersatz- oder Schmerzensgeldklage oder sogar eine Strafanzeige gegen den Vorgesetzten in Betracht. Letzteres (Strafanzeige wegen Beleidigung, Nötigung o.ä.) sollte gut überlegt und mit anwaltlicher Hilfe vorbereitet sein, da Sie die Vorwürfe auch beweisen müssen. Die bloße Behauptung, der Chef habe „in ungebührlicher Weise“ geschrien, reicht nicht – ideal sind Zeugen oder schriftliche Belege für das Fehlverhalten. Werden Vorwürfe ins Blaue hinein erhoben, riskiert man im schlimmsten Fall selbst arbeitsrechtliche Konsequenzen. Deshalb: Holen Sie Rat, bevor Sie juristisch gegen den Chef vorgehen.
Tipp: Egal welchen Schritt Sie gehen – halten Sie Ihre Emotionen im Zaum und agieren Sie besonnen und professionell. Auch wenn es schwerfällt: Bleiben Sie höflich, aber bestimmt. So wahren Sie selbst Ihre Professionalität und erhöhen die Chance, dass Ihre Beschwerde ernst genommen wird. Mitarbeiter sollten sich nicht einschüchtern lassen, aber auch nicht vorschnell handeln.
Pflichten der Arbeitgeber: Für ein gesundes Betriebsklima sorgen
Auch für Arbeitgeber und obere Führungskräfte gilt: Wegschauen ist keine Lösung. Wenn bekannt wird, dass ein Teamleiter seine Mitarbeiter anschreit oder drangsaliert, muss der Arbeitgeber einschreiten – die Fürsorgepflicht verbietet, einfach nur zuzusehen. Leider erleben Arbeitnehmer in der Praxis oft, dass Unternehmen zögerlich reagieren. Aus Angst, die Autorität der Führungskraft zu untergraben, stellen sich manche Arbeitgeber zunächst schützend vor den Vorgesetzten. Doch das ist kurzsichtig: Dauerhaftes Ignorieren von Mitarbeiterbeschwerden kann rechtliche Folgen haben. Verletzt der Arbeitgeber seine arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht, indem er trotz Beschwerden nichts gegen bekanntes Mobbing oder Fehlverhalten eines Vorgesetzten unternimmt, macht er sich schadenersatzpflichtig. Das Fehlverhalten der Führungskraft wird dem Unternehmen zugerechnet – im Ernstfall haften Arbeitgeber für Gesundheitsschäden oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die durch das Arbeitsklima verursacht werden.
Arbeitgeber sollten daher schon im eigenen Interesse für ein respektvolles Miteinander sorgen. Führungsriege und HR-Abteilung sind gut beraten, Prävention zu betreiben. Dazu gehört z.B. Schulungen für Führungskräfte im Umgang mit Stress und Konflikten anzubieten, klare Verhaltensrichtlinien (Code of Conduct) aufzustellen und ein offenes Ohr für die Anliegen der Mitarbeiter zu haben. Es empfiehlt sich, ein Betriebsklima zu fördern, in dem Probleme konstruktiv angesprochen werden können, bevor sie eskalieren. Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter einbeziehen und offen kommunizieren, beugen Eskalationen vor – wer hingegen autoritär durch Schreien führen will, erntet meist Unmut, Angst und sinkende Produktivität.
Kommt es dennoch zu einem Vorfall, muss der Arbeitgeber konsequent reagieren. Folgende Maßnahmen stehen – je nach Schwere des Falls – zur Verfügung, um die Situation zu bereinigen:
- Klärungsgespräch mit der Führungskraft: Die vorgesetzte Person sollte deutlich darauf hingewiesen werden, dass ihr Verhalten inakzeptabel ist. Oft lässt sich durch ein klärendes Gespräch, ggf. mit Beteiligung von HR oder Betriebsrat, bereits eine Verhaltensänderung bewirken. Gegebenenfalls kann der Arbeitgeber dem Betreffenden Hilfe anbieten (z.B. Coaching zur Führungskompetenz).
- Verwarnung oder Abmahnung: Zeigt der Betreffende kein Einsehen oder war der Vorfall gravierend (z.B. laute und beleidigende Anschuldigungen vor versammelter Mannschaft), kann der Arbeitgeber eine formelle Abmahnung aussprechen. Die Abmahnung hält das Fehlverhalten schriftlich fest und warnt vor Konsequenzen im Wiederholungsfall. Eine mildere Form, falls angemessen, wäre eine Ermahnung oder Rüge ohne direkte arbeitsrechtliche Folgen – aber mit unmissverständlicher Aufforderung, das Verhalten zu ändern.
- Versetzung oder organisatorische Maßnahmen: In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, den cholerischen Vorgesetzten aus der Konfliktsituation zu nehmen. Eine Versetzung in einen anderen Aufgabenbereich oder Standort kann erwogen werden. Auch die Trennung der konfliktbeteiligten Personen in der Teamstruktur oder zusätzliche Führungskontrolle (vier-Augen-Prinzip bei Mitarbeitergesprächen) können helfen.
- Ultima Ratio Kündigung: Bleiben alle Bemühungen erfolglos, muss der Arbeitgeber im äußersten Fall auch personelle Konsequenzen ziehen. Setzt ein Vorgesetzter sein beleidigendes Verhalten fort, obwohl er verwarnt wurde, oder liegt ein extremer Vorfall vor, kann dies eine Kündigung rechtfertigen. Die Entlassung einer Führungskraft wegen fortgesetzten Mobbings zeigt, dass das Unternehmen seine Fürsorgepflicht ernst nimmt und die übrigen Mitarbeiter schützt. Dieser Schritt will allerdings gut geprüft sein – meist wird man erst nach wiederholten Abmahnungen und ergebnislosen Verbesserungsversuchen zur Kündigung greifen.
Für Arbeitgeber zahlt sich ein proaktives Vorgehen aus: Ein respektvolles Betriebsklima vermindert Fehlzeiten und Fluktuation. Zudem bewahrt es das Unternehmen vor Imageschäden und Rechtsstreitigkeiten. Führungskräfte, die ihre Emotionen im Griff haben und konstruktiv Kritik üben, schaffen ein motivierendes Umfeld – während Schreien und Schikane nur Angst und Abwehr erzeugen. Im Ergebnis profitieren also beide Seiten von Fairness und Sachlichkeit: Arbeitnehmer bleiben gesund und engagiert, und Arbeitgeber erhalten produktive, loyale Teams.
Arbeitnehmer müssen es nicht hinnehmen, von Vorgesetzten angeschrien oder beleidigt zu werden. Der Chef darf zwar Ansprüche stellen und Fehler kritisieren – aber immer in angemessener Form. Ein lauter, unsachlicher Tonfall verletzt die Würde der Beschäftigten und oft auch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Betroffene sollten solches Verhalten klar beanstanden und ihre Rechte nutzen, statt den Frust in sich hineinzufressen. Vom ruhigen Hinweis an den Vorgesetzten über die Beschwerde im Betrieb bis hin zur Hinzuziehung von Anwalt oder Betriebsrat gibt es wirksame Schritte, um Grenzen zu ziehen. Auf der anderen Seite sollten Arbeitgeber nicht vergessen, dass ihre Mitarbeiter kein „Blitzableiter“ für schlechten Stressmanagement sein dürfen. Respekt und Sachlichkeit sind Grundpfeiler eines guten Arbeitsverhältnisses – und letztlich auch Voraussetzung für den gemeinsamen Erfolg. Ein schlechtes Arbeitsklima kann teuer werden, ein gutes hingegen ist unbezahlbar. Deshalb gilt: Laut werden bringt nichts – reden Sie miteinander! 🏢🤝