Die Stimmung ist gedrückt, die Zukunft vieler ungewiss: Bei HanseYachts, einem der größten Yachtbauer Europas, stehen rund 190 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Nachdem IG Metall, Betriebsrat und Unternehmensleitung nun eine Einigung erzielt haben, soll der massive Stellenabbau in Greifswald schrittweise umgesetzt werden. Doch für viele Beschäftigte bleiben zahlreiche Fragen – insbesondere rechtlicher Natur.
Kündigungen trotz guter Zahlen: Wie passt das zusammen?
Der Sparkurs bei HanseYachts kommt für viele überraschend. Noch im ersten Quartal 2025 konnte das Unternehmen solide Umsätze verzeichnen. Dennoch spricht die Unternehmensführung von einem „strukturellen Anpassungsprozess“, der notwendig sei, um auf sinkende Nachfrage im Yachtbau zu reagieren.
Diese Diskrepanz wirft nicht nur moralische, sondern auch juristische Fragen auf: Ist eine betriebsbedingte Kündigung überhaupt rechtens, wenn das Unternehmen wirtschaftlich nicht unmittelbar in der Krise steckt?
Rechtlicher Hinweis: Eine betriebsbedingte Kündigung ist grundsätzlich nur dann zulässig, wenn der Arbeitsplatz dauerhaft entfällt und keine anderweitige Beschäftigung im Unternehmen möglich ist. Die bloße Umstrukturierung reicht nicht aus – sie muss nachvollziehbar und begründet sein.
Sozialplan und Auswahlkriterien: Wer muss gehen – und warum?
Laut Betriebsrat sollen die Kündigungen gestaffelt erfolgen. Die ersten 60 Beschäftigten – vorwiegend Bootsbauer – sollen bereits zum 31. Mai ihre Kündigungen erhalten. Ein Sozialplan wurde vereinbart. Berücksichtigt werden dabei laut IG Metall insbesondere:
- Familiäre Umstände (z. B. alleinerziehende Eltern oder Schwerbehinderte)
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Lebensalter
Tipp für Betroffene: Arbeitnehmer können Einsicht in die Auswahlrichtlinien verlangen und prüfen lassen, ob die sogenannte Sozialauswahl korrekt durchgeführt wurde. Bei Fehlern besteht die Chance, sich erfolgreich gegen die Kündigung zu wehren.
Abfindungen: Ein schwacher Trost?
Obwohl Abfindungen zugesichert wurden, fällt deren Höhe offenbar geringer aus als von vielen Beschäftigten erhofft. Zwar konnte IG Metall im Verhandlungsmarathon ein verbessertes Angebot erzielen – doch ob dieses für alle Betroffenen eine echte Entlastung bedeutet, bleibt fraglich.
Wichtig: Abfindungen sind nicht automatisch gesetzlich vorgesehen – sie müssen im Sozialplan, Tarifvertrag oder als Teil eines gerichtlichen Vergleichs vereinbart werden. Wer eine Kündigungsschutzklage anstrebt, sollte Abfindungsfragen stets im Gesamtpaket mit anwaltlicher Unterstützung prüfen.
Fristen und Rechte: Was Arbeitnehmer jetzt tun sollten
Wer ein Kündigungsschreiben erhält, sollte schnell reagieren. Denn:
- Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht werden (§ 4 KSchG).
- Ein späteres Vorgehen ist nur in seltenen Ausnahmefällen möglich.
- Auch die Agentur für Arbeit muss unverzüglich informiert werden, um Nachteile beim Arbeitslosengeld zu vermeiden.
Hinweis: Eine frühzeitige anwaltliche Beratung hilft, Fehler zu vermeiden und Verhandlungsspielräume – etwa bei Abfindung oder Freistellung – optimal zu nutzen.
IG Metall spricht von Erpressung – Drohkulisse „Insolvenz“?
Besonders brisant: Laut Gewerkschaft habe die Geschäftsführung massiven Druck aufgebaut. Sinngemäß: Entweder der Betriebsrat stimmt dem Stellenabbau zu – oder es droht die Insolvenz. Solche Drohkulissen sind nicht nur ethisch fragwürdig, sondern auch juristisch angreifbar, wenn sie Entscheidungen unter Zwang beeinflussen.
Rechtsexperten warnen: Betriebsräte dürfen unter Druck gesetzte Einigungen anfechten, wenn sie unter wirtschaftlicher Erpressung zustande kamen. Auch für individuelle Kündigungsschutzklagen kann dies ein Argument sein.
Zukunft ungewiss: Eigentümerwechsel steht bevor
Parallel zum Stellenabbau steht ein möglicher Eigentümerwechsel an: Der Finanzinvestor Aurelius plant den Ausstieg – der Unternehmer Andreas Müller könnte übernehmen. Doch der Verkauf steht unter Vorbehalt – unter anderem muss eine Einigung mit dem Land, Banken und dem Betriebsrat erzielt werden.
Für die Beschäftigten bedeutet das: Noch ist nichts sicher. Der geplante Verkauf könnte neue Spielräume schaffen – oder bestehende Risiken verschärfen.
Fazit: Viele offene Fragen, großer Beratungsbedarf
Der Fall HanseYachts zeigt einmal mehr, wie schnell Arbeitnehmer von unternehmerischen Entscheidungen betroffen sein können – selbst in wirtschaftlich scheinbar stabilen Zeiten. Für viele der rund 190 Beschäftigten beginnt jetzt ein nervenaufreibender Weg durch Kündigungen, Verhandlungen und Neuorientierung.
Wer betroffen ist, sollte nicht zögern, rechtlichen Beistand einzuholen – insbesondere bei Zweifeln an der Kündigung oder der Abfindungshöhe. Die Drei-Wochen-Frist ist entscheidend.
Anlaufstellen für betroffene Arbeitnehmer:
- IG Metall Vorpommern-Rügen
- Arbeitsrechtliche Beratungsstellen der DGB Rechtsschutz GmbH
- Fachanwälte für Arbeitsrecht
- Agentur für Arbeit Greifswald
Sie haben eine Kündigung von HanseYachts erhalten? Wir informieren regelmäßig über die rechtlichen Entwicklungen und bieten Betroffenen kostenlose Ersteinschätzungen!