Thyssenkrupp nach 214 Jahren vor Zerschlagung – Was Arbeitnehmer jetzt wissen müssen

26. Mai 2025 -

Ein prägender Wendepunkt für die deutsche Industrie: Nach über zwei Jahrhunderten steht Thyssenkrupp vor einem radikalen Umbau. Konzernchef Miguel Lopez (60) plant, die Ruhr-Ikone in eine reine Holding umzuwandeln und weite Teile zu veräußern. Betroffen sind zehntausende Mitarbeiter – für viele könnte dies das Ende ihrer langjährigen Beschäftigung bedeuten. Was Arbeitnehmer jetzt rechtlich wissen und tun sollten, fasst dieser Beitrag zusammen.


Historischer Rückblick: Von Krupp und Thyssen zur Holding

1811 gründete Friedrich Krupp in Essen die „Gusstahlfabrik“. 1891 folgte August Thyssen mit seinem Hüttenwerk in Duisburg. Beide Unternehmen wurden zu Symbolen der deutschen Industrialisierung – nicht nur im zivilen Stahlbau, sondern auch in den Rüstungsprogrammen der Weltkriege. Unter Berthold Beitz entwickelte sich das fusionierte Konglomerat nach 1945 zu einem Motor des Wiederaufbaus.

Vor 25 Jahren schließlich vollzog sich die Fusion zur Thyssenkrupp AG. Doch Fehlentscheidungen, insbesondere teure Stahlprojekte in Brasilien und den USA, stürzten den Konzern in eine tiefe Krise. Nun, 214 Jahre nach Krupps Gründung, soll das Kapitel Stahl weitgehend geschlossen werden.


Der geplante Umbau im Überblick

  • Holding-Struktur
    Die Zentrale soll von derzeit rund 500 auf nur noch 100 Mitarbeiter geschrumpft werden; in der Verwaltung kommen weitere Streichungen von etwa 1.000 Stellen hinzu. Übrig bliebe nur eine „Dachgesellschaft ohne operatives Geschäft“.
  • Verkäufe und Börsengänge
    • Stahlsparte (16.000 Mitarbeiter, zuletzt € 12,1 Mrd. Umsatz) soll an den tschechischen Investor Daniel Křetínský gehen.
    • Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) wird per Börsengang ausgegliedert; Marinewerft Wismar ist ebenfalls betroffen.
    • Stahlhandel: Vorbereitung eines Börsengangs der Handelstochter mit rund 16.000 Beschäftigten.
    • Autozulieferer-Sparte: Teilweise Verkauf oder Schließung.

Am Ende verbleiben laut Insider-Aussagen weniger als die Hälfte der aktuell rund 98.000 Beschäftigten im verbliebenen „Grüne Technologien“-Geschäftsfeld.


Arbeitsrechtliche Einordnung

1. Betriebsübergang und Mitbestimmung

Nach § 613a BGB gilt beim Verkauf ganzer Betriebe oder von Betriebsteilen: Arbeitsverhältnisse gehen automatisch auf den Erwerber über. Die wesentlichen Vertragsbedingungen bleiben erhalten. Das bedeutet, dass Käufer wie Křetínský für bestehende Arbeitsverträge einstehen müssen. Wird jedoch lediglich eine rechtliche Hülle (Holding) geschaffen und operative Einheiten abgetrennt, kann das Mitbestimmungsrechte und Übergangsregeln auslösen:

2. Massenentlassungen und Kündigungsschutz

Sollten Käufer nach Übernahme Personal abbauen wollen, greift das Massenentlassungsverfahren nach § 17 KSchG (Kündigungsschutzgesetz). Entscheidend sind dabei die Schwellenwerte – in der Regel ab 5 Kündigungen in Betrieben mit 21 bis 59 Beschäftigten; ab 10 Kündigungen in größeren Betrieben. Die Bundesagentur für Arbeit muss vorgängig angehört werden.

3. Interessenausgleich und Sozialplan

Bei Betriebsänderungen (Schließung, Stilllegung) verlangt das BetrVG zwingend einen Interessenausgleich über Zeitpunkt und Umfang der Maßnahmen sowie einen Sozialplan zur Abmilderung wirtschaftlicher Nachteile. Ohne Einigung kann das Arbeitsgericht vermittelt entscheiden.

4. Abfindungen und Übergangsleistungen

Im Sozialplan können Abfindungsregelungen vorgesehen werden – üblicherweise ein bis eineinhalb Nettomonatsgehälter pro Beschäftigungsjahr. Zudem können Transfergesellschaften, Qualifizierungsmaßnahmen oder Härtefallfonds Teil des Pakets sein.


Handlungsempfehlungen für betroffene Arbeitnehmer

  1. Betriebsratskontakt suchen
    Treten Sie umgehend mit Ihrem Betriebsrat in Kontakt. Dieser muss alle Pläne transparent machen und Verhandlungen führen.
  2. Informationsrechte wahrnehmen
    Fordern Sie rechtzeitig Einsicht in Unterlagen zum Betriebsübergang und -umbau. Halten Sie Fristen für Einwendungen (meist 14 Tage) ein.
  3. Kündigungsschutz prüfen
    Lassen Sie sich bei Erhalt einer Kündigung anwaltlich beraten. Innerhalb von drei Wochen muss Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht werden.
  4. Sozialplan aktiv mitgestalten
    Arbeitnehmervertreter sollten auf einen fairen Sozialplan drängen – ggf. mit Ausgleichszahlungen, Qualifizierungsprogrammen und vielem mehr.
  5. Rechtsberatung und Gewerkschaft
    Nutzen Sie die kostenlose Rechtsberatung der IG Metall oder unabhängiger Fachanwälte für Arbeitsrecht. Gewerkschaften können zusätzlich Druck im Aufsichtsrat erzeugen.

Ausblick: Die Zukunft nach Thyssenkrupp

Obwohl der Aufsichtsrat voraussichtlich wenig Widerstand leisten wird, besteht für die Politik – Bund und Land NRW – die Option, etwa beim TKMS-Börsengang ein Veto aus Gründen der nationalen Sicherheit einzulegen. Für viele Beschäftigte dürfte die Zeit der Ungewissheit jedoch nicht enden: Betriebsänderungen können sich über Monate hinziehen, Ausschüttungen an Aktionäre und Vorstandsverträge können parallel beschlossen werden.

Fazit: Wer künftig in den verbliebenen „Grünen Technologien“ arbeitet, sollte sich frühzeitig über Qualifizierungschancen informieren. Wer von Verkauf oder Schließung betroffen ist, muss seine Rechte kennen und professionelle Unterstützung suchen. Nur so lassen sich finanzielle Nachteile und Existenzrisiken minimieren.


Rechtstipps im Überblick

Ihr nächster Schritt: Sprechen Sie heute noch mit dem Betriebsrat oder Ihrer IG-Metall-Beratung, um keine Frist zu versäumen.