Grobe Verfehlungen im Arbeitsverhältnis – wie z.B. tätliche Angriffe oder schwere Beleidigungen – können eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen (Symbolbild).
Die fristlose Kündigung (außerordentliche Kündigung) beendet ein Arbeitsverhältnis sofort und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Sie ist das schärfste Schwert des Arbeitsrechts und greift nur in Ausnahmefällen, in denen dem Kündigenden (Arbeitgeber oder Arbeitnehmer) die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses keine zwei Wochen länger zumutbar ist. Häufig stellt sich die Frage, ob ein solch drastischer Schritt ohne vorherige Abmahnung rechtmäßig sein kann. Arbeitgeber möchten Mitarbeiter bei schwerem Fehlverhalten mit sofortiger Wirkung entlassen, während Arbeitnehmer sich fragen, ob sie nicht zunächst eine Chance zur Besserung (durch Abmahnung) erhalten müssen. Im Folgenden geben wir einen juristisch präzisen Rechtstipp zu diesem Thema, basierend auf den Regelungen des deutschen Arbeitsrechts – insbesondere § 626 BGB – und der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Der Beitrag richtet sich gleichermaßen an Arbeitgeber und Arbeitnehmer und erläutert die rechtlichen Grundlagen, typische Fallgruppen sowie praktische Beispiele aus der Gerichtsentscheidungspraxis, bevor er mit einem Fazit schließt.
Rechtlicher Rahmen: Außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB
§ 626 Abs. 1 BGB bildet die gesetzliche Grundlage für die fristlose (außerordentliche) Kündigung von Arbeitsverhältnissen. Danach kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn objektiv Tatsachen vorliegen, aufgrund derer – unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Parteien – die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist unzumutbar ist. Diese Vorschrift verdeutlicht bereits, dass stets eine hohe Hürde besteht: Nur schwerwiegende Umstände („wichtiger Grund“) rechtfertigen eine sofortige Beendigung. Zudem muss der Kündigende rasch reagieren – § 626 Abs. 2 BGB schreibt vor, dass die außerordentliche Kündigung innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis des Kündigungsgrundes erklärt werden muss. Arbeitgeber sollten diese Zwei-Wochen-Frist im Blick haben, da eine verspätet ausgesprochene fristlose Kündigung unwirksam ist.
In der arbeitsgerichtlichen Praxis hat das BAG für § 626 BGB einen zweistufigen Prüfungsmaßstab entwickelt:
- Stufe 1 – „Grund an sich“: Zunächst wird geprüft, ob der festgestellte Sachverhalt an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. Hierbei geht es abstrakt darum, ob das Verhalten oder Ereignis typischerweise so gravierend ist, dass es eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte. Beispielsweise kann ein vorsätzlicher Vertrauensbruch (etwa Diebstahl, Betrug, tätliche Angriffe) grundsätzlich einen wichtigen Grund bilden. Fehlt es an dieser Eignung bereits, ist die fristlose Kündigung unwirksam.
- Stufe 2 – Interessenabwägung: Ist die erste Stufe bejaht, erfolgt eine konkrete Würdigung aller Umstände des Einzelfalls. Insbesondere werden das Ausmaß der Pflichtverletzung, der entstandene Schaden, der Grad des Verschuldens, eine Wiederholungsgefahr und die persönlichen Verhältnisse berücksichtigt (z.B. Dauer der Betriebszugehörigkeit und bisheriges Verhalten). In dieser Abwägung wird geprüft, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist) tatsächlich unzumutbar ist. Nur wenn auch die Interessenabwägung zulasten des gekündigten Arbeitnehmers ausfällt, ist die fristlose Kündigung gerechtfertigt.
Ein zentrales Prinzip des Arbeitsrechts ist dabei die Verhältnismäßigkeit bzw. das Ultima-Ratio-Prinzip. Das bedeutet: Der Arbeitgeber muss – bevor er zur fristlosen Kündigung greift – prüfen, ob es nicht ein milderes Mittel gibt, um auf die Vertragsstörung zu reagieren. Als mildere Reaktion kommt insbesondere eine Abmahnung in Betracht. Die Abmahnung ist eine formelle Warnung an den Arbeitnehmer, in der ein bestimmtes Fehlverhalten gerügt und für den Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen (bis hin zur Kündigung) angedroht werden. Sie hat vor allem Warn- und Hinweisfunktion: Dem Mitarbeiter soll die Chance gegeben werden, sein Verhalten zu ändern, um den Verlust des Arbeitsplatzes abzuwenden. Aus diesem Grund gilt grundsätzlich, dass eine verhaltensbedingte Kündigung – also eine Kündigung wegen steuerbaren Fehlverhaltens des Arbeitnehmers – im Regelfall erst nach vorangegangener Abmahnung wirksam ausgesprochen werden kann. Vereinfacht gesagt: Bei erster Pflichtverletzung folgt in der Regel zunächst eine Abmahnung; erst wenn der Arbeitnehmer trotz Abmahnung erneut ähnlich gegen seine Pflichten verstößt, darf gekündigt werden.
Diese Abmahnungspflicht wird von der Rechtsprechung auch auf viele Fälle im Vertrauensbereich erstreckt, z.B. sogar bei einem Diebstahl geringwertiger Sachen. Hintergrund ist, dass nicht in jedem Fall von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückgewonnen wird. Beispiel: Ein langjähriger Arbeitnehmer, der sich erstmals etwas zu Schulden kommen lässt, könnte sein Verhalten nach einer ernsten Abmahnung künftig bessern. Aber gilt das immer? – Nein. Es gibt Ausnahmen, in denen eine Abmahnung entbehrlich ist. Im nächsten Abschnitt erklären wir, unter welchen Voraussetzungen auf eine Abmahnung verzichtet werden kann und dennoch fristlos gekündigt werden darf.
Voraussetzungen: Wann ist eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung zulässig?
Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hat klare Kriterien herausgearbeitet, wann ausnahmsweise keine Abmahnung vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung erforderlich ist. Entscheidend ist, ob im konkreten Fall die Abmahnung als milderes Mittel überhaupt eine Chance auf Erfolg bieten würde. Nach ständiger BAG-Rechtsprechung ist eine Abmahnung insbesondere dann entbehrlich, wenn entweder beim Arbeitnehmer auch nach einer Abmahnung keine Verhaltensänderung zu erwarten wäre oder wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – von vornherein offensichtlich ausgeschlossen ist. Mit anderen Worten: Erster Ausnahmefall – der Arbeitnehmer zeigt durch sein Verhalten, dass er sich hartnäckig nicht an seine Pflichten halten will, sodass eine Abmahnung ins Leere ginge. Zweiter Ausnahmefall – das Fehlverhalten ist derart gravierend, dass jedem klar sein muss: Dafür gibt es keine zweite Chance. In beiden Konstellationen würde die Warnfunktion der Abmahnung wirkungslos bleiben, daher kann sie entfallen.
Typischerweise werden Fälle, in denen eine Abmahnung entbehrlich ist, im Bereich gravierender Vertrauensbrüche gesehen. Insbesondere strafbare Handlungen des Arbeitnehmers zum Nachteil des Arbeitgebers (Diebstahl, Unterschlagung, Betrug etc.) galten in der älteren Rechtsprechung fast automatisch als ausreichender Grund für eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung. Allerdings hat das BAG – spätestens seit dem bekannten Fall „Emmely“ – klargestellt, dass es auch bei Vermögensdelikten keine absoluten Kündigungsgründe gibt. Vielmehr ist immer eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, in die der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen ist. Das bedeutet: Selbst bei einer vorsätzlichen Straftat zulasten des Arbeitgebers (z.B. Entwendung einer geringwertigen Sache) muss geprüft werden, ob im Einzelfall Milde walten kann – etwa wegen sehr langer Betriebszugehörigkeit, fehlender einschlägiger Vorkommnisse in der Vergangenheit und geringer Schadenshöhe.
Ein illustratives Beispiel ist der bereits erwähnte Emmely-Fall (BAG-Urteil vom 10.06.2010 – Az. 2 AZR 541/09). Dabei ging es um eine Kassiererin, der vorgeworfen wurde, zwei liegengebliebene Pfandbons im Gesamtwert von 1,30 € eingelöst zu haben. Trotz des objektiv gegebenen Vertrauensbruchs entschied das BAG, dass hier keine fristlose Kündigung ohne Abmahnung gerechtfertigt war. Angesichts der über 30 Jahre beanstandungsfreien Tätigkeit der Mitarbeiterin hätte der Arbeitgeber den Vorgang zunächst mit einer Abmahnung ahnden müssen – eine sofortige Kündigung war unverhältnismäßig. Wichtig ist: Das BAG hat damit nicht gesagt, dass Diebstähle kleiner Beträge generell folgenlos bleiben. Vielmehr betonte es, dass stets alle Umstände zu berücksichtigen sind. So hat der gleiche Senat des BAG nur ein halbes Jahr später – in einem anderen Fall – die fristlose Entlassung einer Kassiererin ohne Abmahnung als rechtmäßig bestätigt, obwohl es sich um den erstmaligen Vorfall handelte. Dort hatte die Arbeitnehmerin jedoch Gutscheine im Wert von 36 € missbräuchlich für einen Personaleinkauf verwendet und war „nur“ 13 Jahre im Betrieb; eine Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich gewesen und dem Arbeitgeber auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar. Die beiden Fälle verdeutlichen: Kontext ist alles. Eine geringe Schadenssumme schützt nicht absolut vor Kündigung – aber bei langjährig unbescholtenen Mitarbeitern kann ein einmaliger Ausrutscher eher verziehen werden, während in anderen Situationen auch ein scheinbar geringfügiges Fehlverhalten zur sofortigen Entlassung führen kann.
Zusammengefasst lässt sich festhalten: Eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung ist rechtlich erlaubt, aber nur unter sehr strengen Voraussetzungen. Entscheidend sind die Schwere des Fehlverhaltens und die Prognose für das zukünftige Verhalten des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber muss darlegen können, dass eine Abmahnung im konkreten Fall nicht erfolgversprechend gewesen wäre – entweder weil der Vertrauensbruch so gravierend ist, dass kein Arbeitgeber ihn hinnehmen würde, oder weil der Arbeitnehmer offenkundig uneinsichtig ist und auch eine Abmahnung ihn nicht zur Besserung veranlasst hätte. In diesen Ausnahmefällen darf der Arbeitgeber sofort kündigen. In allen anderen Fällen gilt: Ohne Abmahnung keine (wirksame) Kündigung – eine voreilig ausgesprochene fristlose Kündigung „ohne Warnschuss“ ist dann angreifbar und kann vor dem Arbeitsgericht für unwirksam erklärt werden.
Praktische Beispiele aus der Rechtsprechung
Nachfolgend einige typische Fallgruppen mit Beispielen, in denen Gerichte über fristlose Kündigungen ohne Abmahnung entschieden haben. Diese Beispiele veranschaulichen, wann eine Abmahnung entbehrlich sein kann – und wann nicht:
- Diebstahl und Unterschlagung von Firmeneigentum: Wenn ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber vorsätzlich etwas entwendet oder dessen Eigentum unterschlägt, liegt ein schwerer Vertrauensbruch vor. Die Rechtsprechung nimmt solche Vermögensdelikte sehr ernst. So hat das BAG etwa entschieden, dass auch geringwertige Vermögensstraftaten einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen können, wenn sie vorsätzlich begangen wurden und das Vertrauen zerstören. Jedoch kommt es – wie oben erläutert – auf die Umstände an: Im Emmely-Fall (Pfandbons im Wert von 1,30 €) erhielt die langjährige Arbeitnehmerin trotz des Diebstahls letztlich eine zweite Chance, weil ihre 30-jährige Betriebszugehörigkeit und das Fehlen vorheriger Verstöße zu ihren Gunsten sprachen; eine Abmahnung hätte hier als milderes Mittel ausgereicht. In anderen Fällen wurde dagegen hart durchgegriffen: Als eine Verkäuferin 36 € durch Gutscheintrickserei erbeutete, bestätigte das BAG die fristlose Kündigung ohne Abmahnung – der Schaden war zwar moderat, aber der Vorsatz und der Vertrauensmissbrauch wogen schwer, zumal die Betriebszugehörigkeit kürzer war. Fazit: Diebstahl/Unterschlagung rechtfertigt in der Regel die sofortige Entlassung; eine Abmahnung ist hier meistens entbehrlich – außer wenn ganz besondere Milderungsgründe vorliegen.
- Arbeitszeitbetrug und Spesenabrechnungsbetrug: Das Erschleichen von Arbeitszeit oder Spesen ist ebenfalls ein Vertrauensdelikt. Wer z.B. Arbeitszeiten bewusst falsch erfasst oder Spesen bewusst falsch abrechnet, täuscht den Arbeitgeber und schädigt ihn finanziell. Hier gilt: Nicht die Höhe des Schadens, sondern die Absicht und der Vertrauensbruch sind ausschlaggebend. So hat das BAG in einem Fall entschieden, dass wiederholtes vorsätzliches Fälschen der Arbeitszeiterfassung einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellt – selbst ohne Abmahnung. In diesem Fall hatte die Arbeitnehmerin über längere Zeit insgesamt 135 Minuten Arbeitszeit erschlichen, indem sie die Stempeluhr manipulierte; das Gericht sah hierin einen systematischen Arbeitszeitbetrug und eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die das Vertrauen unwiederbringlich zerstörte. Ähnlich entschied das Sächsische Landesarbeitsgericht bei einem Spesenbetrug: Ein Mitarbeiter hatte in kleinerem Umfang falsche Spesen abgerechnet – obwohl der finanzielle Schaden gering war, rechtfertigte der vorsätzliche Abrechnungsbetrug die fristlose Kündigung ohne Abmahnung, da der Arbeitnehmer nicht ernsthaft damit rechnen durfte, dass der Arbeitgeber ein solches Verhalten toleriert. Merke: Betrügt ein Arbeitnehmer bewusst bei Arbeitszeit oder Spesen, kann der Arbeitgeber in der Regel sofort handeln – eine Abmahnung ist dann häufig entbehrlich, weil das Vertrauensverhältnis bereits durch den einmaligen Betrug massiv beschädigt ist.
- Körperliche Gewalt und tätliche Angriffe: Tätlichkeiten am Arbeitsplatz stellen eine äußerst schwere Pflichtverletzung dar. Greift ein Arbeitnehmer einen Kollegen oder Vorgesetzten körperlich an, verletzt er fundamental die arbeitsvertragliche Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme. In solchen Fällen ist dem Arbeitgeber regelmäßig selbst bei einmaligem Vorfall die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar – eine Abmahnung braucht es nicht, da jedem klar sein muss, dass körperliche Übergriffe null Toleranz genießen. Das BAG hat z.B. entschieden, dass eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung bei einer Prügelei unter Arbeitskollegen grundsätzlich gerechtfertigt ist. Ein tätlicher Angriff ist so gravierend, dass der Arbeitnehmer auch ohne vorherigen „Warnschuss“ damit rechnen muss, seinen Job zu verlieren. Praxisbeispiel: In einem BAG-Fall aus 2005 schlug ein Mitarbeiter einen Kollegen; das Gericht bestätigte die fristlose Kündigung, da der Vertrauensbruch und die Störung des Betriebsfriedens so erheblich waren, dass keinerlei Abmahnung geboten war. Ebenso würden etwa schwere Formen von sexueller Belästigung oder Bedrohungen am Arbeitsplatz in aller Regel eine sofortige Kündigung rechtfertigen – hier verlangt sogar das AGG (§ 12 Abs. 3) vom Arbeitgeber, angemessene Maßnahmen bis hin zur Kündigung zu ergreifen. Kurz: Gewalt am Arbeitsplatz führt quasi automatisch zum sofortigen „Roten Karte“, weil derartiges Verhalten offensichtlich nicht hingenommen werden kann.
- Grobe Beleidigungen und diskriminierende Äußerungen: Auch verbale Entgleisungen können einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen – allerdings kommt es stark auf die Schwere der Beleidigung und den Kontext an. Eine besonders krasse Beleidigung des Chefs oder von Kollegen (etwa unter Verwendung ehrverletzender Schimpfwörter oder rassistischer Bezeichnungen) kann grundsätzlich eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer betitelte seinen Vorgesetzten im Streitgespräch als „Du Arschloch“ – zweifellos ein gravierender Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Achtungspflicht. Rein objektiv ist eine solche Äußerung ein wichtiger Grund, und das Arbeitsgericht Mönchengladbach bestätigte in diesem Fall, dass diese Beleidigung an sich geeignet war, eine fristlose Kündigung zu tragen. Dennoch wurde der langjährige Mitarbeiter in jenem Fall nicht endgültig entlassen: Das Gericht stellte nämlich im Rahmen der Interessenabwägung fest, dass die einmalige Entgleisung angesichts 25+ Jahre störungsfreier Betriebszugehörigkeit und einer besonderen Stellung (der Arbeitnehmer war Mitglied eines Wahlvorstands) nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führte. Die Kündigung wurde unwirksam, der Arbeitnehmer durfte bleiben – allerdings wohl nicht ohne erhebliche Konsequenzen im Betriebsklima. Dieses Beispiel zeigt: Schwere Beleidigungen können eine fristlose Kündigung rechtfertigen, doch selbst bei drastischen Ausdrücken wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip berücksichtigt. Bei kürzerer Betriebszugehörigkeit oder vorausgegangenen Abmahnungen hätte das Ergebnis sicher anders ausgesehen. Im Zweifel sollten Arbeitnehmer sich hüten, ihren Unmut in beleidigender Weise zu äußern – die Gerichte verstehen hier bei groben Verstößen wenig Spaß, und ein Freifahrtschein für Beschimpfungen ist eine vorherige Abmahnung nicht.
- Wettbewerbsverstöße und Geheimnisverrat: Arbeitnehmer sind während des bestehenden Arbeitsverhältnisses verpflichtet, keine Konkurrenz zum Arbeitgeber zu betreiben (§ 60 HGB für kaufmännische Angestellte und aus der allgemeinen Treuepflicht für alle Arbeitnehmer). Ein schwerwiegender Wettbewerbsverstoß – etwa das heimliche Abwerben von Kunden oder der Aufbau eines Konkurrenzunternehmens während laufender Anstellung – gilt als gravierender Vertrauensbruch. Hier sehen die Gerichte eine Abmahnung oft als entbehrlich an, weil dem Mitarbeiter bewusst sein muss, dass sein Arbeitgeber ein derartiges illoyales Verhalten keinesfalls duldet. Beispiel: Ein Vertriebsmanager gründete eigenmächtig eine Firma im selben Geschäftsbereich und warb Kunden seines Arbeitgebers aktiv ab. Obwohl der Manager 18 Jahre im Betrieb war, hielt das zuständige Arbeitsgericht die fristlose Kündigung ohne Abmahnung für rechtmäßig – die Schwere des Pflichtverstoßes überwog bei der Interessenabwägung klar das langfristige Betriebsinteresse des Arbeitnehmers. Das Gericht betonte, dass hier vorsätzlich und in Kenntnis der Wettbewerbssituation gehandelt wurde; dem Mitarbeiter musste klar sein, dass ein solcher Vertrauensbruch vom Arbeitgeber nicht einmalig hingenommen wird. Folglich konnte der Arbeitgeber sofort kündigen. Merke: Beim Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot (oder auch beim Verrat von Geschäftsgeheimnissen) versteht die Rechtsprechung keinen Spaß – schon ein einmaliger massiver Vertrauensbruch in diesem Bereich kann die fristlose Entlassung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen. Arbeitnehmer sollten äußerst vorsichtig sein: Bereits das Anbahnen von Konkurrenzgeschäften kann den Job kosten.
- Sonstige schwere Täuschungen oder Pflichtverstöße: Schließlich gibt es diverse weitere Konstellationen, in denen Gerichte eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung akzeptiert haben, wenn der Vertrauensbruch offensichtlich war. Ein aktuelles Beispiel liefert das BAG aus dem Jahr 2023 im Kontext der Corona-Pandemie: Eine Krankenschwester legte ihrem Klinik-Arbeitgeber ein gefälschtes Attest vor, das ihr eine medizinische Impfunfähigkeit gegen COVID-19 bescheinigte, um die damals geltende einrichtungsbezogene Impfpflicht zu umgehen. Das Attest stellte sich als Totalfälschung heraus (die angebliche Ärztin existierte gar nicht). Das BAG beurteilte diese vorsätzliche Täuschung als erheblichen Verstoß gegen die Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag und als irreparablen Vertrauensbruch – die fristlose Kündigung ohne Abmahnung war gerechtfertigt. In der Entscheidung vom 14.12.2023 stellten die Erfurter Richter klar, dass eine aktive Täuschung über einen so wichtigen Umstand (hier die Impffähigkeit) grundsätzlich schwerwiegend genug ist, um die Abmahnung entbehrlich zu machen. Ein Arbeitgeber müsse eine derartige Pflichtverletzung auch bei einmaligem Auftreten nicht hinnehmen. Die Krankenschwester verlor folglich ihren Arbeitsplatz fristlos. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass arglistige Täuschungen – sei es durch gefälschte Atteste, manipulierte Zeugnisse, Vortäuschen einer nicht bestehenden Arbeitsunfähigkeit oder ähnliche Betrügereien – den Arbeitgeber berechtigen, sofort das Arbeitsverhältnis zu lösen, ohne erst eine Abmahnung aussprechen zu müssen. Denn in all diesen Fällen hat der Arbeitnehmer das Vertrauen seines Arbeitgebers auf einen Schlag zerstört.
Eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung ist im deutschen Arbeitsrecht zwar möglich, aber nur unter engen Voraussetzungen rechtmäßig. § 626 BGB verlangt einen wichtigen Grund und eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall. Grundsätzlich gilt: Die außerordentliche Kündigung ist das letzte Mittel (Ultima Ratio). Eine Abmahnung als Warnschuss ist bei steuerbarem Fehlverhalten in der Regel erforderlich, damit der Arbeitnehmer die Chance erhält, sein Verhalten zu korrigieren. Ohne Abmahnung zu kündigen, ist nur erlaubt, wenn die Abmahnung im konkreten Fall erkennbar sinnlos wäre oder das Fehlverhalten so gravierend ist, dass kein Arbeitgeber es hinnehmen würde. Die Rechtsprechung formuliert es so: Eine Abmahnung ist entbehrlich, „wenn eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber – für jeden Arbeitnehmer ersichtlich – ausgeschlossen ist“.
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt von einer Einzelfallbewertung ab. Die Gerichte berücksichtigen dabei regelmäßig Faktoren wie Art und Schwere der Verfehlung, den Vorsatz oder Grad des Verschuldens, die Folgen der Pflichtverletzung, eine eventuelle Wiederholungsgefahr, die Betriebszugehörigkeit und das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers sowie ggf. besondere Schutzvorschriften (z.B. Kündigungsschutz für Betriebsräte). Daraus ergibt sich, dass kein Fehlverhalten automatisch zur fristlosen Kündigung ohne Abmahnung führt – stets sind die gesamten Umstände zu würdigen. So war im Fall einer geringwertigen Unterschlagung mit 30 Dienstjahren eine Abmahnung zumutbar, während in anderen Fällen (größerer Vertrauensbruch oder weniger mildernde Umstände) der sofortige Rauswurf bestätigt wurde. Absolute Kündigungsgründe kennt das Gesetz nicht.
Für die Praxis bedeutet das: Arbeitgeber sollten sehr genau prüfen, ob wirklich ein wichtiger Grund vorliegt und ob sie nicht zunächst abmahnen müssen. Gerade in Grenzfällen – etwa mittelschwere Verfehlungen oder einmalige Ausrutscher – kann eine vorschnelle fristlose Kündigung ohne Abmahnung vor dem Arbeitsgericht scheitern. Dann drohen kostspielige Prozesse und ggf. die Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters. Im Zweifel ist es ratsam, arbeitsrechtlichen Rat einzuholen, bevor man eine fristlose Kündigung ausspricht. Arbeitnehmer wiederum, die eine fristlose Kündigung „ohne Warnung“ erhalten, sollten ihre Rechte kennen: Oft lohnt es sich, per Kündigungsschutzklage prüfen zu lassen, ob die Kündigung wirksam war oder mangels vorheriger Abmahnung unwirksam ist. Auch ihnen ist zu raten, umgehend einen Fachanwalt für Arbeitsrecht zu konsultieren, da im Kündigungsschutzprozess kurze Fristen gelten.
Abschließend lässt sich festhalten: Eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung ist erlaubt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 626 BGB erfüllt sind – insbesondere also ein erheblicher Vertrauensbruch vorliegt, der keine zweite Chance zulässt. In klaren Fällen wie Diebstahl, Betrug, Gewalt oder grober Illoyalität wird dies von den Gerichten bejaht. In weniger eindeutigen Fällen muss der Arbeitgeber darlegen, warum eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich war. Beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – sollten sich der hohen Hürden bewusst sein. Für Arbeitgeber gilt: Sorgfältig abwägen und dokumentieren, bevor zur fristlosen Kündigung geschritten wird. Für Arbeitnehmer gilt: Schwerwiegende Pflichtverstöße vermeiden – im Ernstfall kann schon ein einmaliges Fehlverhalten die Kündigung bedeuten, ohne dass vorher eine Abmahnung ergeht. Letztlich dient diese strenge Handhabung dem Schutz eines fairen und vertrauensvollen Arbeitsverhältnisses: gravierendes Fehlverhalten soll nicht hingenommen werden müssen, aber die Sanktion muss stets angemessen und begründet sein.