Kündigung einer Polizeiärztin wegen Kritik an Corona-Politik

24. März 2022 -

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, hat mit Urteil vom 02.02.2022 zum Aktenzeichen 10 Sa 66/21 entschieden, dass auch Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die nur eine „einfache“ politische Treuepflicht trifft, ein Mindestmaß an Verfassungstreue insoweit aufbringen müssen, als sie nicht darauf ausgehen dürfen, den Staat, die Verfassung oder deren Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen.

Das gilt gleichermaßen für den dienstlichen wie den außerdienstlichen Bereich. Handelt ein Arbeitnehmer diesen Anforderungen zuwider, kann dies ein Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung sein, wenn durch den Loyalitätsverstoß eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist.

Die Parteien streiten um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin war seit dem 01.11.2019 beim beklagten Land als Polizeiärztin im polizeiärztlichen Dienst (PÄD) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-L Anwendung. Die Klägerin rief im Frühjahr 2020 zu insgesamt drei öffentlichen Kundgebungen gegen die Corona-Politik auf. Am 15.11.2020 veröffentlichte die Klägerin in einer Sonntagszeitung im „Sonntagsmarkt“ unter „Verschiedenes“ eine Kleinanzeige, in der sie u.a. das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten gleichgesetzt. In der Anzeige sprach sie außerdem von „Zwangsimpfungen“ und verwies im gleichen Atemzug auf eine Demonstration vor dem Bundestag gegen das Infektionsschutzgesetz. Mit Schreiben vom 10.02.2021 kündigte das beklagte Land die Klägerin zum 31.03.2021. Gegen diese Kündigung wehrt sich die Klägerin mit der streitgegenständlichen Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach der hier einschlägigen Tarifregelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L sind die Beschäftigten des beklagten Landes verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zu bekennen. Die Regelung normiert für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des öffentlichen Dienstes eine besondere politische Loyalitätspflicht. Sie konkretisiert insoweit die ihnen allen obliegende Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, auf die berechtigten betrieblichen Interessen des Arbeitgebers in zumutbarer Weise Rücksicht zu nehmen. Das gilt gleichermaßen für den dienstlichen wie den außerdienstlichen Bereich. Auch außerhalb ihrer Arbeitszeit sind Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des öffentlichen Dienstes verpflichtet, sich ihrem Arbeitgeber gegenüber loyal zu verhalten und auf dessen berechtigte Integritätsinteressen in zumutbarer Weise Rücksicht zu nehmen. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen kann ein Grund für eine verhaltensbedingte – außerordentliche oder ordentliche – Kündigung sein, wenn durch den Loyalitätsverstoß eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, sei es im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich (BAG, Urteil vom 06.09.2012 – 2 AZR 372/11). Hier hat die Klägerin insbesondere mit der Anzeige vom 15. November 2021 die einfache Treuepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB, § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L verletzt, weil sie damit die gesetzgebenden Organe verächtlich gemacht hat. Die Klägerin hat das 3. Bevölkerungsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 gleichgesetzt und den Verlust wichtiger, wenn nicht gar „aller Rechte“ der Bürger als bevorstehend behauptet. Sie hat zwar nicht – klarstellend – das Jahr 1933 hinzugefügt. Jedoch verbindet sich der Gesamtzusammenhang der einzelnen Aussagen zu einem Bild, das allein diese Deutung zulässt. Die Gleichsetzung von „Infektionsschutzgesetz“ und „Ermächtigungsgesetz“ ist durch ein Gleichheitszeichen (=) erfolgt. Insofern lässt die Anzeige keine andere Deutung zu als dass der eine Begriff mit dem anderen inhaltsgleich ist. Mit diesem Sinngehalt hat die Klägerin die gesetzgebenden Organe und damit einen Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in einer Weise verächtlich gemacht, die mit der einfachen Treuepflicht des § 241 Abs. 2 BGB, § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L nicht in Einklang zu bringen ist. Das Arbeitsverhältnis ist durch das Verhalten der Klägerin konkret gestört worden. Der personale Vertrauensbereich ist gestört.

Das Verächtlichmachen der gesetzgebenden Organe in der Anzeige vom 15.11.2020 wiegt auch derart schwer, dass eine vorangegangene Abmahnung entbehrlich gewesen ist. Eine Ärztin, die bei der Polizei beschäftigt ist, und die sich mit der Gewaltenteilung und den Grundrechten auskennt, kann nicht davon ausgehen, dass das Land Baden-Württemberg die Gleichsetzung der gesetzgebenden Organe mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auch nur einmal hinnimmt.