Stellenabbau bei der Verallia Deutschland AG am Standort Bad Wurzach

25. Mai 2025 -

Der angekündigte Stellenabbau bei der Verallia Deutschland AG am Standort Bad Wurzach – einem der größten Arbeitgeber der Stadt – versetzt viele Beschäftigte in große Unsicherheit. Nach Mitteilung des Betriebsrats könnten in Bad Wurzach und im Werk Essen bis zu 100 Arbeitsplätze wegfallen. Dieser Beitrag richtet sich speziell an betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und erläutert die relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen sowie Ihre Handlungsmöglichkeiten.


Hintergrund des Stellenabbaus

Verallia Deutschland AG befindet sich – wie die gesamte Behälterglasindustrie – in einem herausfordernden Marktumfeld:

  • Rückläufiger Konsum von Glasflaschen und zunehmender Wettbewerb durch alternative Verpackungsmaterialien (z. B. Kunststoff, Metall)
  • Stark gestiegene Energiepreise und angespannte Rohstoffversorgung
  • Verschärfte Umweltauflagen mit zusätzlichen Kostenbelastungen

Vor diesem Hintergrund hat die Unternehmensleitung gemeinsam mit dem Aufsichtsrat ein umfassendes Kostensenkungsprogramm beschlossen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und verbleibende Arbeitsplätze langfristig zu erhalten. Ein Kernbestandteil ist die Reduzierung der Personalkosten durch Stellenabbau in Verwaltung und Produktion.


Mitbestimmungsrechte und Verfahren

Interessenausgleich und Sozialplan

Nach §§ 111 ff. Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) müssen Betriebsleitung und Betriebsrat bei geplanten Betriebsänderungen – zu denen Massenentlassungen zählen können – folgende Schritte durchführen:

  • Verhandlungen über den Interessenausgleich (§ 112 BetrVG):
    • Ziel: Gestaltung der Rahmenbedingungen (Anzahl und Verteilung der abzubauenden Stellen, Zeitplan).
    • Ergebnis: Verbindliche Regelung, in welchen Bereichen wie viele Stellen entfallen.
  • Verhandlungen über einen Sozialplan (§ 112 BetrVG):
    • Ziel: Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile betroffener Arbeitnehmer durch finanzielle Ausgleichsleistungen (Abfindungen, Transfergesellschaft, Qualifizierungsmaßnahmen).
    • Besonderheit: Ohne Einigung kann der Sozialplan notfalls durch das Arbeitsgericht erzwungen werden.

Der Betriebsrat hat bereits signalisiert, intensiv für sozialverträgliche Lösungen zu verhandeln und dabei Freiwilligkeitsangebote (Aufhebungsverträge) einzubringen.

Betriebsratsanhörung

Jede einzelne Kündigung aus betrieblichen Gründen bedarf einer anhängigen Betriebsratsanhörung (§ 102 BetrVG). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Kündigungsgründe darlegen und eine Stellungnahme abwarten. Erfolgt die Kündigung ohne ordnungsgemäße Anhörung, ist sie unwirksam.


Kündigungsschutz und Abfindung

Allgemeiner Kündigungsschutz

Ist Ihr Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden und das Unternehmen beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer (§ 23 KSchG), greift das Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Eine betriebsbedingte Kündigung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Dringende betriebliche Erfordernis, das eine Weiterbeschäftigung ausschließt.
  • Keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf anderem freien Arbeitsplatz im Betrieb (Ultima-Ratio-Prinzip).
  • Sozialauswahl: Die Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiter muss nach Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung erfolgen (§ 1 KSchG).

Abfindung

Einen gesetzlichen Anspruch auf Abfindung gibt es nur in Ausnahmefällen (§ 1 a KSchG: Abfindung, wenn das Unternehmen dies anbietet oder das Arbeitsgericht sie im Rahmen eines Vergleichs zuspricht). Praktisch werden Abfindungen jedoch regelmäßig im Sozialplan oder durch Aufhebungsverträge geregelt. Faustformel für Aufhebungsverträge: 0,5 Bruttomonatsgehälter pro Beschäftigungsjahr – jedoch stark verhandelbar.


Ihre Handlungsmöglichkeiten

  • Frühe Kontaktaufnahme mit dem Betriebsrat
    • Informationen zum Verhandlungsstand und zu freiwilligen Angeboten einholen.
    • Beteiligung an Gruppenversammlungen und Einzelgesprächen.
  • Prüfung von Aufhebungsverträgen
  • Rechtsschutzversicherung oder Beratung durch Fachanwalt
  • Kündigungsschutzklage erheben
  • Weiterbildung und Outplacement
    • Gezieltes Coaching, Qualifizierungen und Netzwerkaufbau für künftige Bewerbungsprozesse.

Praktische Tipps für Betroffene

  • Dokumentation: Führen Sie ein Kündigungstagebuch (Zugang und Inhalte aller Schreiben).
  • Fristen wahren: Drei-Wochen-Frist für Kündigungsschutzklage; Meldefrist bei der Agentur für Arbeit.
  • Arbeitslosmeldung: Unverzüglich persönlich arbeitsuchend melden (spätestens drei Monate vor Vertragsende bzw. binnen drei Tagen nach Kenntnis).
  • Zeugnisanspruch: Achten Sie auf wohlwollende Formulierungen; verlangen Sie ggf. Berichtigung.
  • Netzwerk nutzen: Kontakt zu ehemaligen Kollegen, lokalen Jobbörsen und Gewerkschaften aufbauen.

Der angekündigte Stellenabbau bei Verallia Deutschland AG trifft die Belegschaft hart. Doch durch die gesetzlich vorgesehenen Mitbestimmungs- und Kündigungsschutzrechte haben Sie als Arbeitnehmer zahlreiche Schutzmechanismen und Handlungsmöglichkeiten. Informieren Sie sich frühzeitig, ziehen Sie notwendige Beratungen hinzu und nutzen Sie die Verhandlungskompetenz Ihres Betriebsrats. So können Sie die für Sie bestmögliche Lösung erzielen und die wirtschaftlichen Nachteile minimieren.