Oettinger schließt Braunschweiger Traditionsbrauerei – was betroffene Mitarbeiter jetzt wissen müssen

22. Juli 2025 -

Die Oettinger-Brauerei hat angekündigt, ihre über 150 Jahre alte Braustätte in Braunschweig im Frühjahr 2026 zu schließen. Die Produktion soll auf andere Standorte (Oettingen und Mönchengladbach) verlagert werden, wodurch etwa 150 Arbeitsplätze in der Herstellung und Abfüllung wegfallen. Unter Vorbehalt der Zustimmung des Betriebsrats sollen die betroffenen Mitarbeiter in eine Transfergesellschaft wechseln und dort befristet weiterbeschäftigt werden, um sich beruflich neu zu orientieren. Am Standort Braunschweig bleiben lediglich Teile der Logistik und Materialwirtschaft erhalten. (Die Brauerei in Braunschweig wurde 1871 gegründet und erst 2009 von Oettinger übernommen – die Schließung trifft also ein echtes Traditionsunternehmen.)

Angesichts dieser angekündigten Betriebsänderung stellen sich für die betroffenen Arbeitnehmer viele drängende Fragen: Wie sicher ist mein Arbeitsplatz bis 2026? Was bedeutet die Überführung in eine Transfergesellschaft konkret? Habe ich Anspruch auf eine Abfindung? Welche Rechte hat der Betriebsrat, und was kommt in einem Sozialplan auf mich zu? Im Folgenden geben wir einen umfassenden Rechtstipp zu Kündigungsschutz, Abfindung, Betriebsratsrechten und Sozialplan in dieser Situation – und zeigen auf, was Mitarbeiter jetzt tun können, um ihre Rechte zu wahren.

Betriebsbedingte Kündigungen: Voraussetzungen und Sozialauswahl

Sollte es – trotz Transfergesellschaft-Angebot – zu Kündigungen kommen, handelt es sich voraussichtlich um betriebsbedingte Kündigungen. Diese sind nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Der Arbeitgeber muss einen dringenden betrieblichen Grund nachweisen, etwa die endgültige Stilllegung einer Abteilung oder die Verlagerung von Produktion, wodurch Arbeitsplätze dauerhaft wegfallen. Die geplante Schließung der Brauerei-Produktion in Braunschweig erfüllt diesen Grund zweifellos.

Allerdings reicht ein betrieblicher Grund allein nicht aus – der Arbeitgeber muss sozial gerechtfertigt kündigen. Dazu gehört die Sozialauswahl: Besteht eine Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer (etwa mehrere Brauerei-Beschäftigte mit ähnlichen Aufgaben), muss der Arbeitgeber prüfen, wen er kündigt. Gesetzlich vorgegebene Kriterien sind insbesondere die Betriebszugehörigkeit (Beschäftigungsdauer), das Lebensalter, bestehende Unterhaltspflichten (z.B. Kinder) und eine evtl. Schwerbehinderung. Vereinfacht gesagt: Geschützt werden sollen die Arbeitnehmer, die einen Arbeitsplatzverlust am schwersten verkraften könnten. Je länger jemand im Betrieb ist, je älter er ist oder je mehr Familienmitglieder von seinem Einkommen abhängen, desto stärker sein Kündigungsschutz. Schwerbehinderte genießen sogar besonderen Kündigungsschutz und sollen nicht vorrangig entlassen werden.

Ausnahme vollständige Schließung: In manchen Fällen kann auf eine Sozialauswahl verzichtet werden. Das ist dann zulässig, wenn ein ganzer Betriebsbereich vollständig und dauerhaft dichtmacht und alle dort beschäftigten Arbeitnehmer entlassen werden. Im vorliegenden Fall werden die Bereiche Produktion und Abfüllung in Braunschweig komplett eingestellt; alle ~150 Mitarbeiter dieser Bereiche sind betroffen. Damit liegt in diesem Teilbereich faktisch eine vollständige Stilllegung vor. Praktisch bedeutet das: Innerhalb der Produktions- und Abfüllbelegschaft muss der Arbeitgeber keine Auswahl treffen – es sind ohnehin alle dortigen Arbeitnehmer gleichermaßen vom Wegfall ihrer Arbeitsplätze betroffen. Allerdings verbleiben am Standort noch Mitarbeiter in anderen Abteilungen (Logistik/Materialwirtschaft), die ihren Job behalten. Diese erfüllen aber andere Aufgaben und sind mit den Produktionsmitarbeitern nicht vergleichbar, sodass eine Sozialauswahl abteilungsübergreifend nicht in Betracht kommt. Jede Kündigung muss dennoch formal gegenüber jedem einzelnen Arbeitnehmer begründet und dem Betriebsrat zur Anhörung vorgelegt werden (§ 102 BetrVG). Zudem sind Sonderkündigungsschutz-Regelungen zu beachten: Kündigungen von z.B. Schwangeren oder schwerbehinderten Menschen sind entweder ganz unzulässig oder nur mit behördlicher Zustimmung möglich. Wird dem Arbeitgeber eine zum Kündigungszeitpunkt bestehende Schwangerschaft innerhalb von zwei Wochen nachträglich angezeigt, ist die Kündigung unwirksam; auch bei schwerbehinderten Mitarbeitern bedarf jede Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.

Massenentlassung: Anzeige bei der Agentur für Arbeit

Eine Entlassungswelle dieses Umfangs stellt rechtlich eine Massenentlassung dar. Nach § 17 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei der Bundesagentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten, bevor die Kündigungen ausgesprochen werden. Diese Anzeige muss erfolgen, wenn innerhalb von 30 Tagen eine bestimmte Anzahl von Kündigungen geplant ist – im Betrieb Braunschweig (mit deutlich über 60 Beschäftigten) liegt die Schwelle bei mehr als 10 % der Belegschaft oder über 25 Arbeitnehmern. Mit rund 150 Kündigungen ist diese Grenze hier offensichtlich überschritten. Oettinger muss also die Entlassungen rechtzeitig der Agentur für Arbeit schriftlich anzeigen, bevor Kündigungen an Mitarbeiter verteilt werden.

Die Inhalte der Anzeige sind gesetzlich genau geregelt. Unter anderem sind anzugeben: Name und Anschrift des Unternehmens, Art des Betriebs, Zahl und Berufsgruppen der zu kündigenden sowie der insgesamt beschäftigten Arbeitnehmer, der Zeitraum der Kündigungen, die Gründe für die Entlassungen und die Kriterien für die Auswahl der betroffenen Mitarbeiter. Fehlen Pflichtangaben oder wird die Anzeige zu spät erstattet, sind die ausgesprochenen Kündigungen rechtlich unwirksam. Hier lauert also für den Arbeitgeber ein erhebliches Risiko – gleichzeitig ein wichtiger Prüfpunkt für Arbeitnehmer, die eine Kündigung erhalten: Wurden die Massenentlassung ordnungsgemäß angezeigt?

Zwingend ist auch die Beteiligung des Betriebsrats im Vorfeld der Anzeige. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat über die geplanten Kündigungen informieren und beraten (§ 17 Abs.2 KSchG). Die Stellungnahme des Betriebsrats soll der Anzeige an die Behörde beigefügt werden. Gibt der Betriebsrat keine Stellungnahme ab, darf der Arbeitgeber die Anzeige erst nach Ablauf von 2 Wochen nach der Unterrichtung erstatten. Ohne diese Frist oder ohne ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats ist die Anzeige unwirksam – und damit auch die darauf basierenden Kündigungen. Für betroffene Mitarbeiter heißt das: Formfehler im Anzeigeverfahren machen die Kündigung angreifbar. Es lohnt sich also nachzufragen, ob die Anzeige erstattet wurde und ob der Betriebsrat korrekt einbezogen war. Wurde z.B. die Agentur für Arbeit nicht oder nicht fristgerecht informiert, können Betroffene im Rahmen einer Kündigungsschutzklage die Unwirksamkeit der Kündigung geltend machen.

Betriebsrat: Interessenausgleich und Sozialplan

Bei einer so gravierenden Maßnahme wie der (Teil-)Schließung des Braunschweiger Werks handelt es sich um eine Betriebsänderung im Sinne der §§ 111 ff. Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). In diesem Fall hat der Betriebsrat weitreichende Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan verhandeln.

  • Interessenausgleich: In dieser Vereinbarung wird zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat das “Ob, Wann und Wie” der geplanten Betriebsänderung festgehalten. Konkret geht es z.B. um die Frage, ob die Schließung stattfindet bzw. ob es Alternativen gibt, wann die Maßnahme umgesetzt wird und wie genau (etwa: genaue Zahl und Terminierung der Kündigungen, Versetzungsmöglichkeiten, Einsatz von Kurzarbeit etc.). Der Betriebsrat kann im Interessenausgleich versuchen, die Schließung abzuwenden oder abzumildern – etwa durch Vorschläge wie Kurzarbeit, interne Umsetzung von Mitarbeitern oder andere Konzepte. Kommt keine Einigung zustande, kann der Betriebsrat zwar eine Einigungsstelle (Schlichtungsgremium) anrufen; letztlich kann er die Schließung als solche aber nicht verhindern. Der Arbeitgeber darf den Interessenausgleich auch einseitig für gescheitert erklären, wenn keine Einigung möglich ist. (Allerdings: Wenn der Arbeitgeber eine Betriebsänderung ohne Versuch eines Interessenausgleichs durchzieht, kann der Betriebsrat ggf. einen Nachteilsausgleich zugunsten der Mitarbeiter einklagen, § 113 BetrVG.)
  • Sozialplan: Parallel zum Interessenausgleich wird ein Sozialplan verhandelt. Dabei handelt es sich um eine betriebsverbindliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die Ausgleichs- und Entschädigungsmaßnahmen für die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer regelt. Vereinfacht: Der Sozialplan soll die Folgen der Entlassungen finanziell und durch Unterstützungsangebote **abfedern. Typische Inhalte sind z.B. Abfindungszahlungen pro Jahr der Betriebszugehörigkeit, Überbrückungszahlungen für ältere Arbeitnehmer bis zur Rente, Outplacement- oder Qualifizierungsmaßnahmen, die Einrichtung einer Transfergesellschaft usw.. Über die konkreten Leistungen wird intensiv verhandelt – hier hat der Betriebsrat ein wichtiges Druckmittel. Im Gegensatz zum Interessenausgleich ist der Sozialplan erzwingbar: Können sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht einigen, entscheidet die Einigungsstelle verbindlich (§ 112 Abs.4 BetrVG). Die erzielten Sozialplan-Regelungen wirken für alle betroffenen Arbeitnehmer unmittelbar und verbindlich; jeder hat einen einklagbaren Anspruch auf die vereinbarten Leistungen (z.B. Abfindungshöhe).

Im aktuellen Fall in Braunschweig dürfte der Betriebsrat – ähnlich wie bei früheren Fällen in anderen Betrieben – auf einen möglichst günstigen Sozialplan drängen. In einem ähnlichen Stellenabbau (beim Autozulieferer Eberspächer) forderte der Betriebsrat z.B. Abfindungen von 0,8 Monatsgehältern pro Jahr Betriebszugehörigkeit sowie die Einrichtung einer Transfergesellschaft. Wie hoch die Abfindungen am Ende ausfallen und welche Leistungen genau vereinbart werden, hängt vom Verhandlungsgeschick beider Seiten ab. Wichtig zu wissen: Einen gesetzlichen Automatismus für Abfindungen gibt es in Deutschland nicht – sie beruhen immer auf Vereinbarung (Sozialplan, Tarifvertrag oder individuelle Aufhebungsverträge). In Betrieben mit Betriebsrat und einer größeren Entlassungswelle besteht aber faktisch ein Anspruch auf einen Sozialplan (§ 112 BetrVG), solange der Betrieb nicht zu klein ist oder es sich um eine Unternehmensneugründung handelt. Die Mitarbeiter in Braunschweig können also erwarten, dass ein Sozialplan ausgehandelt wird, der zumindest eine Abfindung und Übergangsleistungen enthält.

Abfindung und Transfergesellschaft

Abfindung: Wie erwähnt, gibt es ohne entsprechende Vereinbarung keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Abfindung bei Kündigung. In der Praxis erhalten Arbeitnehmer bei Massenentlassungen aber häufig Abfindungsangebote – entweder im Sozialplan oder im Rahmen eines Aufhebungsvertrags. Sollte in Braunschweig ein Sozialplan abgeschlossen werden, wird er aller Voraussicht nach einen Abfindungsanspruch für die 150 Mitarbeiter vorsehen. Üblich sind Pauschalen pro Dienstjahr (z.B. 0,5 bis 1 Monatsgehalt pro Jahr Betriebszugehörigkeit) und ggf. Zuschläge für ältere Mitarbeiter oder soziale Härtefälle. Die genaue Formel wird im Sozialplan festgelegt und kann von den genannten Werten abweichen. Wichtig ist: Abfindungen aus Sozialplänen sind verbindlich und einklagbar. Wer eine betriebsbedingte Kündigung erhält, behält seinen Sozialplan-Abfindungsanspruch übrigens auch dann, wenn er Kündigungsschutzklage erhebt – man riskiert ihn also nicht durch eine Klage. Allerdings werden Abfindungen meist nur gezahlt, wenn das Arbeitsverhältnis tatsächlich endet (kein Weiterbeschäftigungsanspruch geltend gemacht wird).

Transfergesellschaft: Das wohl interessanteste Angebot von Oettinger ist die geplante Transfergesellschaft für die Braunschweiger Mitarbeiter. Dieses Instrument wird bei größeren Stellenstreichungen häufig genutzt, um Entlassungen sozial abzufedern. Die Idee: Die Arbeitnehmer wechseln mit einem Aufhebungsvertrag aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis in ein befristetes Arbeitsverhältnis bei einer eigens eingerichteten Transfer- oder Auffanggesellschaft. Dort bleiben sie für eine bestimmte Dauer (maximal 12 Monate) weiterbeschäftigt – allerdings ohne produktive Arbeit im bisherigen Sinn, sondern mit dem Schwerpunkt auf Weiterbildung, Qualifizierung und Stellensuche. Ziel ist es, den Mitarbeitern den Übergang in einen neuen Job zu erleichtern, ohne dass sie sofort in die Arbeitslosigkeit fallen. Finanziert wird dies dadurch, dass die Bundesagentur für Arbeit für die Transfergesellschaft Transferkurzarbeitergeld zahlt, das in etwa dem Kurzarbeitergeld entspricht. Konkret sind das 60 % des letzten Nettolohns (bzw. 67 % bei Arbeitnehmern mit Kind). Oft stockt der (ehemalige) Arbeitgeber diesen Betrag noch auf – im Eberspächer-Beispiel um rund 20 %, sodass ca. 80 % des vorherigen Nettoentgelts weitergezahlt wurden. Ähnliche Aufstockungen können auch Oettinger-Mitarbeiter erwarten, damit der Gehaltseinbruch in der Transfergesellschaft nicht zu groß ist.

Die Teilnahme an der Transfergesellschaft erfolgt freiwillig und üblicherweise durch einen dreiseitigen Vertrag zwischen Arbeitnehmer, altem Arbeitgeber und der Transfergesellschaft. Darin wird das ursprüngliche Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet (oft unter Abkürzung der normalen Kündigungsfrist) und nahtlos ein neues, befristetes Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft begründet. Für die Mitarbeiter bedeutet das zwar den Verlust ihres bisherigen Jobs, aber zunächst weiter Gehalt (wenn auch reduziert) und vor allem aktive Unterstützung bei der Jobvermittlung. Wichtig: Niemand kann gezwungen werden, dieses Angebot anzunehmen. Wer den Wechsel in die Transfergesellschaft ablehnt, erhält im Regelfall stattdessen eine „klassische“ Kündigung.

Für Arbeitnehmer, die vor der Entscheidung stehen, ist es entscheidend zu prüfen: Wie wirkt sich der Wechsel auf meine Abfindung aus? In Sozialplänen wird oft vereinbart, dass Mitarbeiter, die in die Transfergesellschaft gehen, eine etwas geringere Abfindung erhalten – schließlich bekommen sie ja bis zu 12 Monate Gehalt weiter. Die Abfindung darf jedoch laut Rechtsprechung nicht komplett gestrichen werden, nur weil man das Transferangebot annimmt. Meist wird sie gekürzt, z.B. um einen gewissen Faktor, oder in zwei Raten gezahlt (eine bei Ausscheiden in Transfer, eine ggf. nach Ende der Transferzeit). Betroffene sollten darauf achten, dass im Sozialplan klar geregelt ist, was mit der Abfindung bei Wechsel in die Transfergesellschaft passiert. Gegebenenfalls kann der Betriebsrat hier noch Nachbesserungen verhandeln – etwa eine Erfolgsprämie, wenn man aus der Transfergesellschaft heraus binnen kurzer Zeit einen neuen Job findet, oder eine Restabfindung, falls die Vermittlung erfolglos bleibt.

Tipp: Lassen Sie sich im Zweifel individuell beraten, bevor Sie einen Aufhebungsvertrag zur Transfergesellschaft unterschreiben. Man sollte die Höhe der angebotenen Abfindung plus Transfer-Gehalt insgesamt bewerten und mit den Risiken einer Kündigungsschutzklage abwägen. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, den Aufhebungsvertrag nicht zu unterschreiben und stattdessen die Kündigungsschutzklage zu nutzen, um ggf. eine höhere Abfindung zu erstreiten (falls z.B. Formfehler passiert sind oder die SozialplanAbfindung ungewöhnlich niedrig ausfällt). Andererseits bietet die Transfergesellschaft die Chance, ohne Joblücke und mit Unterstützung neu anzufangen – was man gegen die Unsicherheit eines Kündigungsschutzprozesses abwägen muss. Ein Fachanwalt kann helfen, diese Entscheidung auf Grundlage der individuellen Situation zu treffen.

Praktische Handlungsmöglichkeiten für Betroffene

Abschließend möchten wir auf konkrete Schritte eingehen, die betroffene Mitarbeiter jetzt unternehmen können, um ihre Rechte bestmöglich zu schützen:

  • Nicht vorschnell unterschreiben / reagieren, aber Fristen wahren: Solange noch nichts unterschrieben oder erhalten wurde, bewahren Sie Ruhe. Falls Sie ein Kündigungsschreiben erhalten, läuft jedoch eine Frist von 3 Wochen für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht (§ 4 KSchG)! Versäumen Sie diese 3-Wochen-Frist, wird die Kündigung – selbst wenn sie eigentlich unwirksam wäre – bestandskräftig. Markieren Sie sich also das Fristende (3 Wochen ab Zugang des Kündigungsschreibens) im Kalender und suchen Sie rechtzeitig rechtlichen Rat, wenn Sie eine Klage in Betracht ziehen. Sollte Ihnen bereits vorab ein Aufhebungsvertrag zur Unterschrift vorgelegt werden (z.B. zum Wechsel in die Transfergesellschaft), unterschreiben Sie nicht übereilt. Ein Aufhebungsvertrag kann nicht widerrufen werden – holen Sie unbedingt Beratung ein, da Sie damit auf Kündigungsschutz und evtl. Abfindungsanteile verzichten könnten.
  • Formalitäten prüfen: Achten Sie auf mögliche Formfehler seitens des Arbeitgebers. Wurde der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört vor Ihrer Kündigung? Wurden die Vorgaben der Massenentlassungsanzeige erfüllt (Anzeige an die Agentur für Arbeit, inkl. aller Pflichtangaben)? Wie oben erläutert, führen Fehler hierbei zur Unwirksamkeit der Kündigungen. Diese Punkte können in einer Kündigungsschutzklage aufgegriffen werden. Fragen Sie zur Sicherheit beim Betriebsrat nach, ob das Anzeigeverfahren ordnungsgemäß lief, insbesondere wenn Ihr Kündigungsschreiben keine Hinweise dazu enthält.
  • Betriebsrat und Gewerkschaft einbeziehen: Ihr Betriebsrat verhandelt gerade über Interessenausgleich und Sozialplan. Bleiben Sie mit dem Betriebsrat in Kontakt – er hat Infos zum Verhandlungsstand und kann Sie über Ihre Ansprüche informieren. Unterstützen Sie ggf. gemeinsame Aktionen (Belegschaftsversammlungen, Proteste), denn eine geschlossene Belegschaft stärkt die Position des Betriebsrats am Verhandlungstisch. Sofern Sie Mitglied der Gewerkschaft (in diesem Fall vermutlich NGG) sind oder werden, ziehen Sie auch dort Rat. Die Gewerkschaft kann zusätzlichen Druck aufbauen (z.B. über Öffentlichkeit oder Warnstreiks, wie sie bei Oettinger bereits im Vorfeld der Ankündigung liefen) und bietet Rechtsschutz im Ernstfall.
  • Angebot genau prüfen (Abfindung/Transfer): Wenn Ihnen ein Aufhebungsvertrag mit Abfindung und Wechsel in die Transfergesellschaft angeboten wird, prüfen Sie das Angebot genau oder lassen Sie es von einem Anwalt prüfen. Zentral ist die Abfindungshöhe: Vergleichen Sie, ob sie im Rahmen üblicher Sozialplan-Abfindungen liegt (häufig 0,5 bis 1,0 Monatsgehälter pro Jahr Betriebszugehörigkeit als grober Richtwert). Ist die Abfindung deutlich geringer, sollten Sie nachverhandeln oder die Gründe erfragen. Beachten Sie, dass bei Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag in die Transfergesellschaft möglicherweise ein Teil der Abfindung einbehalten oder nur bei Nichtvermittlung ausgezahlt wird. Schauen Sie also in die Sozialplanregelung: Steht Ihnen trotz Wechsel eine Restabfindung zu? Oder erhalten Sie eine Prämie, falls Sie schnell einen neuen Job finden? Lassen Sie sich diese Punkte schriftlich geben. Unklarheiten sollten vor Unterschrift beseitigt werden.
  • Alternative: Kündigungsschutzklage erwägen: Sollten Sie mit dem Angebot unzufrieden sein oder grundsätzlich die Rechtmäßigkeit einer möglichen Kündigung anzweifeln, können Sie die Kündigungsschutzklage in Betracht ziehen. Insbesondere wenn Sie das Gefühl haben, dass die Sozialauswahl fehlerhaft war, besondere Schutzrechte ignoriert wurden (siehe z.B. Schwangerschaft/Schwerbehinderung) oder formale Fehler passiert sind, kann eine Klage lohnend sein. Das Arbeitsgericht prüft, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt war; falls nicht, wird sie für unwirksam erklärt. In der Praxis enden viele Kündigungsschutzklagen mit einem Vergleich, d.h. der Arbeitgeber zahlt eine höhere Abfindung, und das Arbeitsverhältnis wird beendet. Beachten Sie aber: Mit einer Klage riskieren Sie – sofern kein Sozialplan abgeschlossen wurde – auch die Unsicherheit eines Prozesses. Lassen Sie sich unbedingt individuell beraten, wie Ihre Chancen stehen. Einen bereits zugesagten Sozialplan-Anspruch auf Abfindung verlieren Sie durch die Klage nicht, aber Sie sollten wissen, dass ein Interessenausgleich mit Namensliste (falls vereinbart) die Erfolgsaussichten der Klage reduzieren kann. Im Oettinger-Fall ist der Weg über die Transfergesellschaft plus Abfindung vermutlich der vom Betriebsrat favorisierte – doch die Entscheidung liegt letztlich bei jedem einzelnen Arbeitnehmer.
  • Arbeitsagentur frühzeitig informieren: Unabhängig davon, ob Sie in eine Transfergesellschaft wechseln oder eine Kündigung erhalten – melden Sie sich frühzeitig bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend. Spätestens drei Monate vor Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses, oder innerhalb von 3 Tagen nach Kenntnis der Beendigung, muss die Meldung erfolgen. Andernfalls droht eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld. Im Klartext: Sobald Sie die Kündigung erhalten (oder dem Aufhebungsvertrag zugestimmt haben), informieren Sie die Agentur über das Ende Ihres Jobs. Die Meldung können Sie online oder telefonisch vornehmen; wichtig ist, dass sie fristgerecht erfolgt. Die eigentliche Arbeitslosmeldung (zur Beantragung von Arbeitslosengeld) muss dann persönlich erfolgen, sobald Ihr Oettinger-Arbeitsverhältnis tatsächlich endet. Tipp: Falls Sie in die Transfergesellschaft gehen, erfragen Sie bei der Agentur, wann Sie sich arbeitslos melden müssen – in der Regel erst zum Ende der Transferlaufzeit. Eine verspätete Meldung kann den Leistungsbezug jedenfalls verzögern oder kürzen. Es wäre ärgerlich, durch Fristversäumnisse finanzielle Nachteile zu erleiden, wo doch die Kündigung selbst bereits Verlust bedeutet.

Die Schließung der Oettinger-Brauerei in Braunschweig stellt 150 Mitarbeiter vor eine harte Situation. Doch das deutsche Arbeitsrecht hält für solche Fälle Schutzmechanismen bereit – vom Kündigungsschutz über die Mitbestimmung des Betriebsrats bis hin zu Sozialplan-Abfindungen und Transfergesellschaft als Auffanglösung. Als betroffener Arbeitnehmer sollten Sie diese Rechte kennen und nutzen. Informieren Sie sich, bleiben Sie nicht passiv, und holen Sie bei Bedarf rechtlichen Rat ein. So können Sie das Beste aus der schwierigen Lage machen und eventuell mit finanzieller Kompensation oder Unterstützung den Übergang in eine neue Beschäftigung schaffen. Der Betriebsrat und ggf. Ihre Gewerkschaft stehen an Ihrer Seite, um einen fairen Ausgleich zu verhandeln. Und denken Sie daran: Jede Kündigung kann geprüft und, wenn sie nicht rechtens ist, angefochten werden. Sie stehen in dieser Situation nicht alleine – nutzen Sie die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel und Beratungsangebote, um Ihre Zukunft bestmöglich zu gestalten. Viel Erfolg dabei!